Von unserem Mitarbeiter Karl-Otto Sattler
FREIBURG. Ärzte erhalten oft Besuche von Pharmavertretern. Die lassen sich allerhand einfallen, um für Arzneimittel zu werben. Mancher Mediziner hat schon über das Wissen des Gegenübers gestaunt. Da hört ein Weißkittel also Folgendes: Warum er denn dieses Medikament so selten verschreibe, ein Kollege verordne die Arznei viel häufiger? Eigentlich können Firmenrepräsentanten solche Dinge gar nicht wissen, aber irgendwoher müssen diese Informationen über bestimmte Ärzte ja stammen.
Mit solchen Beispielen erläutert Sabine Sauerwein vom Datenschutzbüro des Landes Nordrhein-Westfalen die Möglichkeiten zum Missbrauch der unzähligen Daten, die im verzweigten Gesundheitssystem an verschiedensten Stellen registriert werden. Sauerwein wirft auch die Frage nach der Rolle der Apothekenrechenzentren auf: Diese Einrichtungen regeln für Apotheken die Abgeltung von Rezepten durch Krankenkassen - doch die im Prinzip sowohl den Ärzten wie den Patienten zuzuordnenden Verschreibungen werden nach den Erkenntnissen der Datenschützerin in einer Grauzone auch für andere Zwecke genutzt. Auf diesem Wege könnten etwa Apotheken ein Krankheitsprofil von Kunden gewinnen, sagt Sauerwein. In Norddeutschland musste einmal ein solches Rechenzentrum Millionen von gesetzeswidrig gespeicherten Daten vernichten, berichtet der schleswig-holsteinische Datenschützer Thilo Weichert.
Rena Tangens kennt diesen Einwurf: Was denn daran schlimm sei, wenn Kaufhäuser oder E-commerce-Anbieter im Internet mit Hilfe von elektronischen Rabattsystemen wie Kundenkarten ermittelten, wer was wo einkaufe? Als Antwort verweist die Bürgerrechtlerin von der Bielefelder Medieninitiative "FoebuD" auf das Modell Payback, das diese Art von "Kundenbetreuung" für eine wachsende Zahl von Unternehmen abwickelt: Könne man denn für die Zukunft ausschließen, dass eine kommerzielle Krankenkasse auf diesem Weg Auskünfte über das Verhalten von Versicherten einholt, um etwa Raucher wegen des Krebsrisikos zu identifizieren? Tangens: "Sind Datensammlungen erst einmal da, weiß man nie, wie sie künftig genutzt werden."
Tangens macht auch auf das "Scoring" aufmerksam, das von Auskunftsdiensten angeboten wird und dessen Existenz nur wenige Bürger kennen: Unter anderem auf Grund des Wohnorts in angeblich "guten" oder "schlechten" Lagen werde die so genannte Kreditwürdigkeit von Menschen automatisiert beurteilt - und ein Versandhandel könne dann entscheiden, ob eine Ware gegen Rechnung oder nur gegen Vorkasse oder gar nicht geliefert wird.
Über solch höchst problematische Entwicklungen selbst in Bereichen der Gesundheit und des Konsums wird keine breite kritische Debatte geführt. Hie und da erscheinen Berichte in den Medien, ab und an befasst sich die Justiz mit Streitfällen. Doch eine durchschlagende politische Wirkung haben solche Vorstöße nicht.
Datenschutz hat keine große Konjunktur. Die Speicherung des Kommunikationsverhaltens im Internet, das Mitsurfen des Chefs am Arbeitsplatz, das Abhören von Telefonaten, das Auskundschaften der Konsumenten, die Erfassung von Krankheiten in "Patientenpässen", das Gefilmtwerden durch Überwachungskameras: All diese Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte fallen in der geräuschlosen digitalen Epoche kaum auf. Bei einer bundesweiten Untersuchung der Verbraucherzentralen wussten 50 Prozent der Befragten gar nicht, dass Kundenkarten immer auch der Erhebung von Daten dienen.
Für die Rechtsanwältin Helke Heidemann-Peuser vom Bundesverband der Verbraucherzentralen ist es dringend geboten, die Aufklärung zu verstärken. So sei vielen Bürgern gar nicht klar, dass sie beim Abschluss zahlreicher Verträge etwa mit Telefongesellschaften oder Leasingfirmen ihre Einwilligung zu Datenerhebungen bekunden.
Das digitale Zeitalter bringt auch für Kranke Konsequenzen mit sich, die aus Sicht von Datenschützern wie Thilo Weichert in ihrer Tragweite nicht abzusehen sind. So droht die ärztliche Schweigepflicht ausgehöhlt zu werden, wenn über die Leiden von Patienten an immer mehr Stellen immer mehr Daten registriert werden, oder wenn das Verordnungsverhalten von Medizinern bei Arzneien zunehmend durchleuchtet wird. Das, was künftig in den von Ministerin Ulla Schmidt angestrebten Patientenpässen vermerkt sein wird, dürfte Arbeitgeber sowie kommerzielle Krankenkassen und Lebensversicherer brennend interessieren.
In ersten Modellversuchen läuft die Behandlung von Patienten auf elektronischem Wege an. Da begibt sich dann der Kranke nicht mehr in die Arztpraxis: Vielmehr klinkt sich der Mediziner via Internet in die Wohnung des Patienten ein, holt sich dessen Bild auf den Monitor und begutachtet seinen Zustand. Oder ein Arzt kann über ein Handy und über ein Messgerät am oder im (!) Körper des Kranken ständig überprüfen, ob sich ein Diabetiker richtig einstellt: Das mag einen medizinischen Nutzen haben, doch der Kranke unterliegt mithin der totalen Überwachung.
Badische Zeitung, 3. September 2002