Bielefeld (pn). Die Chaoten blieben moderat. Auch Computerviren, die ganze Programme durcheinanderbringen, waren auf dem Treffen für Computerbe- und -entgeisterte im Bunker Ulmenwell nicht zu erspähen. Wer gehofft hatte, daß sich Matthias Kühn und Reinhard Schrutzkl vom Hamburger Chaos Computer Club (CCC) In fremde Datenverarbeitungssysteme einschleichen würden, ging leer aus. Dafür gab es für die meist jugendlichen Gäste ein Programm namens "Krakel" zu sehen und allerlei Fachjargon zu hören.
Reinhard Schrutzki hat es geschafft, mit all den Lightpens und Floppys wie die biegsamen Datenträger genannt werden - fertigzuwerden. Das CCC-Vorstandsmitglied präsentierte dem Publikum aus der Region mittels eines grünflimmernden Monitors seinen Computerbriefkasten. Wer sucht, der findet in dem Sammelsurium aus rund zwei Millionen Zeichen Informationen über Umweltschutz und Volkszählung; im nichtöffentlichen Teil verkehren Computerfreaks unter Kennungen wie .Sysop" oder "Mannix" miteinander. Über drei Telefonleitungen und das Postdatenkabel Datex-P gehen Mitteilungen in Schrutzkis "Mailbox" ein und aus. "Ein Spaß". so der Hamburger, "für den ich jeden Monat 250 Mark zahle."
Etwas mehr, nämlich zirka 135000 Mark, hätte die Hamburger Sparkasse ein Coup gekostet, den sich CCC-Mitglieder 1985 mit dem Kommunikationssystem Bildschirmtext leisteten. Sie schafften es, den Computer des Geldinstituts dazu zu bringen, sich in endloser Folge und für teures Geld Informationen des Klubs überspielen zu lassen. Damit wollte der inoffiziell seit 1981, offiziell seit März 1986 bestehende Verein (dem übrigens nur ein - dazu noch angehender - Informatiker angehört) auf mangelhaften Datenschutz aufmerksam machen.
Von solch politischem Wirken, so war auf dem Treffen zu hören, ist die Bielefelder Szene indes weit entfernt. Abgesehen von Informatikkursen an Schulen und seltenen privaten Zusammenkünften werkelt jeder Computerbesitzer alleine vor sich hin, weiß Oliver lonescu. Der Neunzehnjährige hatte sein erstes Datenverarbeitungsgerät mit zwölf. Mit Videospielen begann er sein Hobby.
"Computer werden nur selten für sinnvolle Zwecke gekauft", erzählt der Bavinkgymnasiast. Dennoch zieht dieses Gerät seinen "User" schon bald in den Bann. "Man muß lernen, das Ding auch einmal wegzustellen", sagt Oliver, "wer sich in ein Problem versteigt, kapselt sich oft von der Umwelt ab." Auch er habe sich manchmal mehrere Stunden über seiner Tastatur versenkt, "weil es mich nervt, wenn ein Programm nicht läuft."
Ganz von alleine läuft zumindest "Krakel". Mit stoischer Gelassenheit, die sich alsbald auf den Betrachter überträgt, malt es die weiße Bildfläche eines Monitors mit zentimeterkurzen Strichen voll. Das geht so lange, bis der Fernsehschirm zum größten Teil gefüllt ist. Dann wird die Fläche wieder weiß, und .,Krakei" legt von neuem los. "Es ist halt ein zweckfreies Programm", meint auch der junge Mann names Padeluun, der dieses erste Computertreffen der Stadt organisiert hat. Den Bielefelder Galeristen, der sich vor Jahren mit einer Schallplatte hervorgetan hatte, die nichts weiter enthielt als eine Endlosrille, fasziniert an der Computerkunst deren stilles Chaos. "Eine Revolutionierung von Ordnung geht darin vor", findet Padeluun. Sogenannte Apfelmännchen-Programme beispielsweise schafften es, chaotische mathematische Gleichungen als kunstvolle Spiralen auf dem Monitor abzubilden.
Dagegen mutet das Wirken des "Video-Digitizers" geradezu reailistisch an. Eine Videokamera nimmt Gäste ins Visier und speist das Bild in einen Computer, der es durch Raster verfremdet. Das Programm gehört Dirk, der sich seit über drei Jahren Computern widmet. Wenn man rumhängt", erzählt er, "hat man oft eine Menge Zeit dafür.
Neue Westfälische, 27. Februar 1987