Das neue Jahrzehnt ist jetzt schon wieder ein alter Hut. Am 4. Februar, nachmittags um 15 Uhr, fängt ein neues Jahrhundert an. In Bielefeld, im Bunker, mit einem Computer, der sich gleich ins Gehirn einstöpseln läßt. Und während sich noch Yuppies im Mental-Labor Relaxtheit vom Kopf in den Körper induzieren lassen, löten die Hacker schon am direkten Draht zur reinen Daten-Welt, zum fast sinnenfreien Denk-Diskurs per Telefon.
Pünktlich zum Beginn der neuen Dekade wurden die ideellen Ganzkörper aller Szenen von einem unwiderstehlichen Hirn-Drang erfaßt. Fußreflexzonen-Massage und Iris Diagnostik sind out, sämtliche Zeitgeistmagazine erklärten die "Mind-Machine" zum prägenden Gimmick der 90er, und ob er nun "Megabrain" oder "Cyberpunk" heißt, ob er sich schwingungs-esoterisch oder effizienz-elektronisch gibt, der große Trend ist deutlich auf den Kopf verfallen. Und zerfällt dabei, ganz wie das zentralsymbolische Großhirn selbst, in zwei Hälften: eine emotionale und eine logische, eine zum schneller und eine zum spannender Denken, eine Jane-Fonda- und eine Science-Fiction-artige. Die finden sich gegenseitig völlig daneben, haben aber doch beide gemeinsame Wurzeln in einer vergessenen Revolution.
Es war nämlich einmal, vor vielen Jahren, als es noch keine VHS-Kurse in Biofeedback für Blutdruckpatienten gab, die Fitness-Welle nicht einmal angefangen hatte, und an subversiven Technik-Einsatz gar nicht zu denken war - da stießen Tim Leary, John Lilly und andere mit LSD und Psycho-Tank in die Tiefen des Bewußtseins vor, und unterfütterten die amerikanischen 68er-Aufstände mit der eigentlich konterrevolutionären Idee, auch ein verändertes, vorzugsweise erweitertes, Bewußtsein könne das Sein bestimmen.
Tat es aber nicht. Die Bewegung rutschte in den Rausch ab, das klare kalte Licht der Learyschen Neuro-Logik wich dem Blaken der Meditations-Lampen, alles wurde irgendwie ganzheitlich, ruhig, mystisch. Statt mit fortschrittlichster Wissenschaft an die Neu(ro)programmierung der gesellschaftlich verknoteten Gehirnwindungen zu gehen, baute man Hanf an. Und aus der großen Idee vom Bio-Feedback zum Beispiel wurde ein gesellschaftlich akzeptabler Spoiler für's autogene Training: eine scheinbar unwillkürliche Körperfunktion wie Puls oder Blutdruck wird auf einer Skala oder Mattscheibe sichtbar gemacht, und der Patient lernt, durch richtiges Entspannen und Konzentrieren den Zeiger in die richtige Richtung zu bewegen. Das hat nichts revolutionäres mehr, und schon gar nichts modisches.
Erst über den Umweg der alles umgreifenden Fitness, der Wellness der Jungen, Schönen und Erfolgreichen, kam die Bewußtseins-Technologie wieder auf Touren. Und hätte nicht der Walkman die Kundschaft sturmreif gedudelt (und die schnellen Designer-Drogen den besserverdienenden Teil ans taktische Stimulieren gewöhnt), die Mind-Machines wären nie über die Akzeptanz von z.B. batteriebetriebenen Pop-Corn-Bereitern herausgekommen. So aber finden immer weniger Leute die Idee abwegig, sich unter Umgehung möglichst vieler Sinne von zum Beispiel einem Synchro-Energizer oder Brain Tuner direkt ins Hirn pfuschen zu lassen.
In den Standard-Versionen werden meist einfache optische und akustische Reize über flackernde Leuchtdioden und brummende Kopfhörer so in den Kopf gepustet, daß das Gehirn sich den aufgesetzten Rythmen und Frequenzen anpaßt (in der Regel zwischen 15 und 4 Hertz, der Schwingungszahl entspannter hirneigener Alphaund Theta-Wellen» und so von innen heraus auf relaxen schaltet. Oder auf Overdrive, ganz nach Schalterstellung. Manche Maschinen (die billigste, der Relax mini, für 298.- DM - der edlere, frei programmierbare Inner Quest für 1995.- DM) versprechen als Zusatznutzen Intelligenzsteigerung, Erhöhung der Arbeitsgeschwindigkeit der Synapsen, Drogentherapie, Streßreduktion und, bei Anbietern aus dem esoterischen Umfeld, auch noch ein bißchen Bewußtseinserweiterung obendrauf. Und weil in postmodernen Zeiten eben alles geht, gibt es auch Hirnhälften-Synchronisatoren (Hemisynch) mit angeflanschten Motivations-Kassetten, auf denen professionelle Einreder vom Rauchen abraten oder das Selbstbewußtsein fördern.
Als die bundesdeutsche Computer-Szene sich im Dezember zum Hamburger Chaos-Congress traf, waren erstmals in der Ruhezone Brain-Machnies installiert (vom eigentlich für permanente Graswurzelrevolution und Grüne Kraft berühmten Medien-Wizard Werner Pieper) und scharenweise ließen sich Hacker ein Pausenprogramm ins Hirn blasen - hatten aber in der Mehrzahl nur autogene Schweißausbrüche und Kopfschmerzen davon.
Ohnehin ist dem technologisch fortgeschrittensten Teil der Jugend das Ertragen von StandardProgrammen ein Greuel, und so wird schon seit einigen Jahren privat an einer interaktiven Kopplung von Kopf und Computer gelötet, die demnächst einmal die Tastatur überflüssig machen soll. Und das simple Konsumieren fertiger Elektro-Drogen durch kommunikatives Miteinander ersetzen.
Ganz wie es William Gibson in seinen, übrigens auf einer normalen Schreibmaschine getippten, Cyberspace-Romanen vorerfunden hat. Da stürzen sich BitPiloten mit einer Buchse im Nacken ins interkontinentale Daten-Netz und leben körperlos in einer totalsimulierten Realität. Irgendwie punkig, frei und antiautoritär machen sie wahr, was Prof. Leary damals wirklich meinte mit dem Motto turn an, tune in, drop out. "Wir werden die 60er aussehen lassen wie ein Pfadfindertreffen" sagte der greise Meister neulich und erklärte den interaktiven Chip-Trip für eröffnet.
Zwei Computer-Spezialisten ist jetzt ein erster Schritt in diese Richtung gelungen: Bernd von den Brineken und Mark Weber schalteten das alte ElektroEnzephaloGramm-Verfahren zur Gehirnstrommessung mit einem handelsüblichen Computer und der Biofeedbackidee zusammen - und heraus kam ein grafisches Gewusel auf der Mattscheibe des Rechners, das sich mit etwas Übung durch bloßes Denken verändern lassen soll. Fernziel der beiden Bastler ist das allmähliche Vergehen von Hören und Lesen, die Vernetzung von Kopf zu Kopf ohne Umweg über Sprache oder Text. Nahziel ist eine Art elektronischer gedankengesteuerter Pinsel und der Austausch so erzeugter Hirn-Bilder per Telefon.
Technisch sind sie damit weiter als die NASA, die für ein ähnliches Projekt die Steuerimpulse des Computers von Drucksensoren in einem Handschuh (Data-Glove) abnimmt und der amerikanischen Avantgarde der Unterhaltungsindustrie damit ein hübsches Spielzeug lieferte. Brincken/Weber dagegen arbeiten direkt mit den EEG-Signalen, die den Sehvorgang begleitend an Schläfe und Hinterkopf anfallen. An der endgültigen Umsetzung der zackeligen Aktivitätskurven in digitale Nutz-Informationen muß zwar noch allerlei gearbeitet werden, erste Erfolge aber sind schon sichtbar.
Nach Vorträgen und Workshops bei der Linzer Ars Electronica und auf dem Chaos Congress kommen die beiden nun nach Bielefeld, mit einem Prototyp ihrer Cyberbox und einem mit künstlerisch arbeitenden Co-Cybernauten erstellten Video, sind bereit, interessierte Besucher mit dem Kopf malen zu lassen - und sind überzeugt davon, daß ihr Weg in den cerebralen Cyberspace zukunftsträchtiger ist, als alle Megabrains der New AgeAnhänger sich denken können.
WING
Zur Einführung in den "Cyberspace"Gedanken empfiehlt sich William Gibsons Story - Sammlung gleichen Titels (Heyne 0614468), über Mind-Machines informiert umfassend der Sammelband Brain-Tech", herausgegeben von Lutz Berger und Werner Pieper (Der Grüne Zweig 133). Näheres über den Termin im Bunker am Ulmenwall (4.2.15:00) ist beim FoeBuD e. V. für Computer unter 0521-171188, für Menschen unter 0521-175254 zu erfahren. Weitere Kontaktadressen: Bernd von den Brincken, Hohenzollernring 74, 5000 Köln, Braintech und Realitätsdesign, Postfach 10160.5, 6900 Heidelberg. Die Illustrationen verdanken wir dem FoeBuD e. V. sowie dem Band "Das Ich und sein Gehirn" von Karl R. Popper und John C Eccles (Serie Piper 1096).
Ultimo, Februar 1990