Von Cornelia Schulze
Bielefeld. "Einbrecher bilden wir nicht aus!" Steffen Wernéry aus Hamburg hat die Lacher des Publikums auf seiner Seite. Viele Interessenten waren in den Bunker Ulmenwall gekommen, um dem "Schloßherrn" des Vereins "Sportfreunde der Sperrtechnik Deutschland" auf die feinfühligen Finger zu schauen. Denn aufs Fingerspitzengefühl und harte Training kommt es an, wenn man beim "Lock-Picking" (Schlösser-Öffnen) erfolgreich sein will.
Lock-Picking gehört noch zu den jungen sportlichen Disziplinen und läßt manchen Sicherheitsbeamten die Haare zu Berge stehen. Ziel der aktiven " Entriegler" ist es, die Sperrtechnik ohne Schlüssel zu überwinden und das Schloß dabei nicht zu zerstören. In unsere Sportordnung haben wir als Grundsatz festgelegt, daß nur Schlösser geöffnet werden dürfen, die einem selbst gehören, oder wenn die Erlaubnis des Besitzers vorliegt", erklärt Wernéry mit Nachdruck.
Die Regeln sind klar. Der Workshop, vom Bielefelder Verein FoeBuD in der Reihe "Public Domain" organisiert, kann beginnen. Wernéry und sein Freund Jürgen Dreeßen, Deutscher Meister in der Handöffnung, führen in die Grundlagen der, Sperrtechnik ein.
Viel Bewegung ist in so einem Schloß. Mit jeder weiteren Erklärung der beiden verliert das Innere der Zylinder für die Zuhörer an Magie. "Wir sind keine Stiftung Warentest für die Schloßindustrie. Wir merken aber schnell, was was taugt", bekräftigt Wernéry, der vielen Workshop-Teilnehmern vom Chaos Computer Club bekannt ist.
Wer das Prinzip verstanden hat, kann mit dem richtigen Werkzeug sein hartes sportliches Training beginnen. Drei Tools (engl. für Werkzeuge) gehören zur Grundausrüstung eines jeden "Pickers". Ohne Haken (engl. hook), Diamant (engl. diamond) und Schlange (engl. snake) läuft gar nichts. Zum Üben werden erstmal einfache Schlösser verteilt, um langsam das nötige Fingerspitzengefühl zu entwickeln.
Druckstellen oder Blasen an den Händen zeugen von zuviel Krafteinsatz, doch der ist beim "picken" nicht gefragt. Das filigran gearbeitete Werkzeug aus gehärtetem Uhrfederstahl soll zum verlängerten Finger werden, um leicht Federn und Stifte zu überwinden.
Bereits im zarten Alter von 12 Jahren entdeckte Steffen Wernéry die Lust am Schlösseröffnen. Damals noch mit einem einfachen Dietrich ausgerüstet, entsprerrte er so manche Schultür. Dann gab es für ihn einige Jahre Schloßabstinenz.
Erst 1994 in New York spürte er wieder die Leidenschaft in sich aufkeimen und kaufte sich ein Sperrwerkzeugköfferchen. Zu seinem Ärger spielte damit sein Freund Dreeßen öfter und erfolgreicher. "Und da wurde klar, daß wir ein zweites Set brauchen und es sich zu zweit besser pickt."
Mit der Vereinsgründung im Februar 1997 legten die beiden Fingertechniker ein sauberes deutsches Fundament, auf dem die ersten Deutschen Meisterschaften ausgetragen werden konnten.
Im Bunker Ulmenwall ist es zwischenzeitlich merklich ruhig geworden. Fast jeder Besucher hat ein Schloß in seinen Händen oder spannt es in einen kleinen Schraubstock ein. Wer zweimal hintereinander die gleiche Sperrtechnik überwunden hat, kann sich an ein schwierigeres Schloß oder auch an Handschellen wagen. Erfahrungen werden ausgetauscht, kleine Tips gegeben.
"Jeder, der mit seinem Werkzeug verreist, kann sich auf kleinere Zwischenfälle gefaßt machen", erzählt Wernéry aus seinem reichhaltigen Erfahrungsschatz." Bei einer Kontrolle am Flughafen hat mir ein Beamter nur mal lächelnd entgegengebracht: James Bond hat auch mal klein angefangen."
Neue Westfälische, 03. März 1998