Von Ariana Mirza
Bielefeld. Wirtschaftsprognosen gelten als unabdingbar - kein Unternehmen, kein Staat verzichtet auf den Rat der Wirtschaftsexperten. Wie aber kommen die Prognosen zustande? Und welche Theorien liegen ihnen zugrunde? Auf Einladung der "Public Domain"-Initiative Bielefeld war zuletzt ein Experte zur Wirtschaftstheorie zu Gast im Bunker Ulmenwall. Martin Strobel ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschaftstheorie der Humboldt-Universität Berlin. Der sympathische junge Mann mit dem Erscheinungsbild eines aufgeweckten Oberschülers hat Ungewöhnliches aus seiner Forschungsarbeit im Gepäck.
Er bringt ein sogenanntes "Ultimatumsspiel" mit und verspricht den "Mitspielern" eine zu "erwirtschaftende" Bezahlung. Liegt es vielleicht an der verlockenden Aussicht, den Heimweg mit gefüllten Taschen antreten zu können? Spielerisch lernen auch diejenigen Zuhörer, an denen der Geldsegen vorübergeht, einiges dazu.
"In der neoklassischen Wirtschaftstheorie", so erläutert der Experte, "bestimmt noch immer das Bild vom homo oeconomicus die Ausgangsposition." Solch ein homo oeconomicus ist immer darauf bedacht, sein Kapital zu vergößern. Menschliche Regungen, wie Neid, Mißgunst, aber auch Fairneß und Mitleid sind ihm fremd. Kurz: Einem homo oeconomicus ist alles egal, solange er einen Pfennig dazugewinnt. jetzt stellt sich natürlich die Frage, wie realistisch ist die Annahme eines derart emetionslosen Handelns? Und führt nicht eine falsche Grundannahme zu falschen Verhaltensprognosen?
Martin Strobel geht in seinem Forschungsbereich der experimentellen Ökonomie dieser Frage nach. im Fachgebiet der spieltheoretischen MikroÖkonomie suchen Wirtschaftsforscher nach einer besseren Einschätzung des "Prototyps Mensch im wirtschaftlichen Gefüge". Durch Experimente sollen Daten aus der Realität gewonnen werden, um alte Modelle zu überprüfen. Im Bunker Ulmenwall wird ein solches Experiment - ein Ultimatumsspiel -unter den Zuhörern durchgeführt:
50 Mark sollen unter jeweils zwei Personen aufgeteilt werden. Die erste
Person darf entscheiden, wieviel sie erhält und wieviel der Partner abbekommt. Dieser Partner hat nur die Wahl, anzunehmen oder abzulehnen. Er wird vor ein Ultimatum gestellt. Falls er ablehnt, werden die 50 Mark an niemanden ausgezahlt.
Ein homo oeconomicus, so wie er in den Lehrbüchern steht, würde einerseits 50 Mark fordern und andererseits würde er sich mit einem Pfennig Gewinn zufriedengeben. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus: Weder fordern die Probanden soviel, noch geben sich ihre Mitspieler mit sowenig zufrieden. im Bunker geht es halbwegs fair zu. 30 Mark, 20 Mark lautet die favorisierte Aufteilung der Versuchspersonen. Jeder, der zu forsch einen größeren Anteil gefordert hätte, mußte mit einer Ablehnung des Vorschlags rechnen, dann wäre das Geld futsch gewesen", erklärt Strobel das undogmatische Verhalten. Und es stellt sich heraus, daß Bielefelder nicht anders agiert haben, als Versuchspersonen mikroökonomischer Forschung anderswo.
In einem anschaulichen Beispiel erklärt der junge Wissenschaftler den Ansatz der Forschung: "Die Versuche der experimentellen Okonomie decken Widersprüche zwischen Theorie und Praxis auf und helfen somit bessere Vorhers agen machen zu können." Und auf die Dringlichkeit besserer, soliderer Wirtschaftsvorhersagen weist Martin Strobel in seinen Schlußworten noch einmal hin: "Gerade die Aktienmärkte suchen händeringend nach besseren Methoden zur Vorhersage. Daß die derzeitigen Prognosen oft danebenliegen, hat schlimme Folgen."
Schlimme Folgen für den Bereich der öffentlichen Bildung in Bielefeld hätte auch ein Wegfall der seit 1987 stattfindenden "Public Domän-Veranstaltungen zu Zukunftsfragen", der wir diesen spannenden Exkurs in die Welt der Wirtschaftsforschung zu verdanken haben. Denn eine akute Finanzknappheit bedroht das bürgernahe Bildungsprojekt. Mitorganisator padeluun will weiter wissenschaftsinteressierte Einrichtungen und Privatpersonen für eine "Patenschaft" gewinnen. Am morgigen Sonntag ist um 15 Uhr im Bunker eine Public Domain Veranstaltung zum Thema "Öffentlicher Raum und sein Verschwinden".
Neue Westfälische, 10. April 1999