Von Maria Frickenstein
Bielefeld "Erst mal war alles verboten.' Peter Glaser ist ein Pionier, ein Internaut der ersten Stunde des Online und Internets. Als Computerexperte, humorvoller Zeitgeist, präziser Beobachter und Autor erlebte Glaser seine persönliche Computer- und Online-Geburtsstunde und die anderer User mit offenen Augen und Ohren. in Österreich geboren, arbeitet Glaser seit 1984 in Hamburg. In Bielefeld las er im Bunker Ulmenwall aus seinem Manuskript zur Technikgeschichte: Er las aus der Zeit- und Kulturgeschichte, über die innige Wechselbeziehung zwischen Mensch und Computer.
Glaser schreibt für "Konr@ad", veröffentlicht auch im "Spiegel", in der "Zeit" und in der "Süddeutschen Zeitung". Gummibärchen, Legosteine und Verschwörungstheorien: Glaser läßt sich in seinen Kolumnen auch von der kuriosen Muse küssen.
"Wir müssen uns damit abfinden, daß wir in einer technischen Frühzeit leben", plauderte Glaser. Die heutige Computertechnik habe schon Jahrzehnte auf dem Buckel und sei morgen vielleicht schon wie Glasers erstes Modern Museumsexponat. Der Computerliebhaher erinnerte an das generelle Modernverbot der Post und an die Chaostreffen der CeBit. Wie lange es damals dauerte, bis man ein Spiel geladen hatte, es nutzen konnte, bevor es abstürzte.
1968 gab es schon von Doug Engelbart einen Computer mit Tastatur, Maus und Fenstern am Bildschirm. "15 Jahre zu früh", meinte Glaser. 1969 startete die Keimzelle des Internet, das ARPAnet Allee. Drei Jahre später erfand Ray Tomlinson das erste E-Mail-Programm, und Dortmund schaltete 1984 die erste Internetverbindung in Deutschland.
Selbst Mitglied des Chaos Computer Clubs, schrieb sich Glaser in seiner ersten Hackerbibel (1984) die Freiheit der Daten aufs Banner. "Privat und öffentlich, die Grenzen schwinden durchs Internet", sagte der Autor. "Heute hat die ganze Welt auf einem Schreibtisch Platz."
Der Cyberspezialist, selbst ein universeller Datenträger, hält Techniker, die den Menschen durch künstliche Intelligenz austauschbar machen wollen, für vermessen. Unkritischer Technikglaube ist nicht seine Sache. Auf amüsante Art philosphierte er über nützliche Dinge ebenso wie über Banalitäten und historische Unzulänglichkeiten - menschliche wie technische. Die Technik habe Bidtelefone längst erfunden - doch wer wolle sie? Niemand. Er selbst nutze sein Bildtelefon lediglich noch als Rasierspiegel.
"Die Zeit der Enden hat ein Ende", sagte der Autor mit Sinn für digitale Seins-Fragen. In den Netzen gebe es keinen Anfang und kein Ende sieht, eiklärte Glaser den Unterschied zur linearen Buchkultur. Lineare Texte gibt es vor dem kühl-blauen Bildschirmlicht im Online nicht mehr. Hypertexte heißen die Neuen. Früher eine Fußnote, ist die Anmerkung im Hypertext der neue Hauptpfad ins unendliche Textgewebe der Querverbindungen und Links. "Die Tinte ist mein Licht", schreibt Glaser und widmet sich sowohl dem Technikwissen, als auch den philosophischen und poetischen Gedanken, die sie aufwerfen.
Auch Offline verändert sich die Schreibmethode vor dem flimmernden Monitor. Für Glaser wandelt sich das Schreiben zur skulpturalen Textarbeit. jetzt würde er ähnlich wie ein Bildhauer arbeiten und mal hier, mal dort etwas wegnehmen oder hinzufügen.
Glaser schätzt den praktischen Nutzen der Computer und betonte gleichzeitig, daß die Datenbank eines Menschen um vieles komplexer sei als jedes Programm. Als meditativen Impulsgeber genießt der den Computer, der eigene Gedanken und Ideen wie ein grober Spiegel zurückwerfe. "Der Geist ist das Netz der Netze", daran ließ der Kosmopolit keinen Zweifel. Computer gebe es nur, weil die notwendigen Dinge dazu schon in uns sind, nicht umgekehrt. Resümee des Cyberman: "Das beste Multimedium sind wir selbst."
STICHWORT
Bücher von Peter Glaser
Neue Westfälische, 18. Juni 1999