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Aus den Anfängen des Onlineseins

Anekdoten von Peter Glaser

Gerald Joerns

Das CCC-Modem Mit etwas Wehmut und vielen kleinen humoristischen Einlagen erzählte der Österreicher Peter Glaser, der seit 1983 als mutierte Schreibmaschine in Hamburg lebt und jetzt bei Konrad, Anekdoten aus der Frühzeit der Datenfernübertragung (DFÜ). Veranstaltungsort dieser Geschichtsstunde war der Bunker Ulmenwall in Bielefeld. Hier wurde dem interessierten Publikum die 96. Veranstaltung des FoeBud e.V. angeboten.

Geht nicht!

Fast unweigerlich ist die Geschichte der DFÜ auch mit der damals noch existierenden Deutschen Bundespost verknüpft, denn dort hieß die Standardaussage fast immer: Geht Nicht!
Man solle sich noch mal vorstellen, so Glaser, daß Modems und auch Anrufbeantworter verboten waren. Egal, was gebastelt wurde - und zu dieser Zeit um 1983 wurde noch sehr viel gelötet und verdrahtet -, es war illegal, verboten und stand unter Strafverfolgung.
Alles fing an mit dem "Datenknochen", also dem Akustikkoppler mit den beiden Gummimuffen, in denen der Telefonhörer versank. Um überhaupt diese phantastische Verbindung zwischen zwei Computern herzustellen, bedurfte es eines kleinen Rituals: Erst wählen - natürlich mit der Wählscheibe - hören, ob eine Verbindung bestand und dann den Hörer in die Muffen pressen. Nun hieß es leise sein und hoffen, daß kein Flugzeug das Haus überfliegt oder ein Auto vorbeifährt. Zu husten oder an den Tisch zu stoßen, war ebenso untersagt, denn jedes Geräusch verursachte eine Störung. Aber auch die Leitungen der Deutschen Bundespost verteilten noch keine digitale Qualität. Fast wie von Zauberhand erschienen dann die ersten Zeichen auf dem Fernsehbild - ja, richtig gelesen, denn einen Monitor hatten die wenigsten mit dem Computer verbunden. Jeder, der die ersten Zeichen auf dem Bildschirm sah, war sofort gebannt von dieser neuen Technik. Saß dann am anderen Computer auch noch ein Mensch und antwortete auf die Eingaben, kam man aus den Staunen nicht mehr heraus. Da war es: das Gefühl, "nun die ganze Welt auf dem Schreibtisch zu haben". Ein zaghaftes "HALLO" in die Tasten getippt, eröffnete den ersten Dialog.
Aus Hannover ist bekannt, daß die Hörergabel des Telefons sogar mit Hilfe von Märklinbausatzteilen fast automatisch den Akustikkoppler aktivierte, wenn der Klingeltrafo einen Anruf verzeichnete. Eine der ersten Versionen der heute noch existierenden Mailbox Aquila (0511-9735320) wurde zum Beispiel mit zwei parallel geschalteten C64er-CPUs mit Diskettenlaufwerken betrieben.

Vernetzung

Nostalgisch verklärt berichtete Peter Glaser von seinem ersten Modem, das ihm sein Freund Wuz mit besonders großen, roten LEDs bestückte. Der Vorteil des Modems war und ist es noch heute, daß der Computer direkt mit dem Telefonnetz verbunden wird und den Datenverkehr keine Störgeräusche behindern. Dieses Modem, gebaut nach einem Schaltplan des Chaos Computer Clubs, befindet sich heute im Heinz-Nixdorf-Museumsforum in Paderborn. Es war das Zeitalter der Vernetzung, einzelne Mailboxen spannten ihre zarten, wenn auch bis heute lebendigen Netze. Das bedeutete nicht mehr, die in jeder Mailbox obligatorisch abgelegten Listen von anderen Mailboxen zu durchforsten, sondern in vielen Großstädten bekam man ein fast identisches Angebot von Nachrichtenbereichen. Im Mittelpunkt der Bretter oder Areas stand der Computer mit all seinen technischen Möglichkeiten. Diesen computerzentrierten, vernetzten Bereichen schlossen sich schon kurz darauf auch gesellschaftsrelevante Themenbretter an. Die Maus-, Fido-, Z-Netz-, CL- und APC-Mailboxen überwanden Protokollhindernisse und übermittelten ihre Bereiche auch noch in die Mailboxen. Sozusagen grenzüberschreitend konnte der Fido-User dem Z-Netz-Benutzer schreiben.
Eine für die Zeit typische Anekdote erzählte Peter Glaser: Als einmal ein Techniker der Post bei ihm zu Besuch war, überdeckte er das Modem mit den ampelgleichen LEDs unter einem Pullover. Und es passierte nach Murphys Gesetz das, was eben passieren mußte, der Pullover rutschte vom Modem und der Postler entdeckte jenes noch nicht erlaubte technische Gerät. Doch es blieb bei der Schrecksekunde.

HALLO

"Hallo" sagt man manchmal am Telefon. "Hallo" tippte man als freundlicher Mensch das erste Mal in die Tastatur des C64. Und einen Bildschirm voller "Hallo´s" brachte das erste kleine Basicprogramm auf den Bildschirm. Peter Glaser versuchte sich mit einem ungleich größeren Basicprogramm. Er wollte den Menschen als dreidimensionales Abbild darstellen. Schließlich blieb aber nur ein minimalistisches Drahtgittergestell des Zeigefingers übrig. Wie viele setzte er sich selbst mit dem Spielen von kleinen Musikstücken auseinander, obwohl er - wie wohl andere auch - weder Noten kenne noch musikalisch sei. Auf Bild und Ton mit dem Computer Einfluß nehmen zu können, war eine der größten Herausforderungen.
Ganz andere Herausforderungen suchten die Hacker, von denen Peter Glaser als Chaos Computer Club-Veteran ebenfalls berichtete. Fast nebenbei erwähnte er Anekdoten vom Ausspähen der sogenannten Leih-NUI´s (Network User Identification) und vom berühmten BTX-Hack, bei dem der Hamburger Sparkasse über Nacht 35.000 DM abgesaugt wurden. Wichtiger erschien ihm, den Zuhörern die Hackerethik zu vermitteln: Es stand weniger das Kriminelle oder Verbotene im Vordergrund, es war vielmehr ein Spiel mit vielen Leveln:

Hacker sind Spieler

Larry aus Hannover knackte einmal ziemlich umständlich, wie er heute betont, den Rechner des Regionalen Rechenzentrums Hannover und stellte fest, als er sich endlich frei bewegen konnte, daß es einen ganz einfachen Zugang gegeben hätte. Denn die Systembetreiber hatten die Auslieferungskonfiguration nicht verändert: Kennung=system und Passwort=system. Über eine Millionen Mark sollte sich der Schaden belaufen. Larry kam mit einem blauen Auge davon und mußte neben abzuleistenden Sozialstunden 1.000 DM zahlen.
Hacker kann man sehr wohl mit Adventurespielern vergleichen, die nächste Aufgabe ist die nächste intellektuelle Herausforderung. Der ebenfalls aus Hannover bekannte "Dr. Dr." bekam beim Hacken immer Schweißausbrüche, qualmte eine Zigarette nach der anderen und rieb sich fortwährend die Hände. Er war also wirklich im wahrsten Sinne des Wortes mit Leib und Seele dabei. Mit dem NASA-Hack und dem KGB-Hack hörte aber spätestens die Idealisierung der Hacker auf. Dennoch freut man sich klammheimlich, wenn dem System wieder mal ein Schnippchen geschlagen wird, und erkennt auch dank der Hacker, wie instabil und sensibel das Netzwerk noch immer ist. Peter Glaser sieht sich als Chronist, der seine Eindrücke niederschreibt und in dem anvisierten Buchprojekt auch andere Zeitzeugen zu Wort kommen lassen möchte. Aber es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis man diese unterhaltsame Plaudereien nachlesen kann.

telepolis, 08. Juni 1999

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