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Weltweiter Lauschangriff

Schöne neue Welt. Ein internationales Abhörsystem sammelt heikle Daten über Individuen, Regierungen, Handelsorganisationen und internationale Institutionen.

VON CHRISTIANE SCHULZKI-HADDOUTI

Seltsame Kugeln Weltweit sind umfassende Systeme implementiert, die jede wichtige Form moderner Kommunikation abfangen und verarbeiten können. Rund 120 Abhörstationen sammeln im Simultanbetrieb Aufklärungsmaterial. U-Boote werden routinemäßig benutzt, um transkontinentale Telefonkabel anzuzapfen. Zu diesen Ergebnissen kommt ein Bericht, der ven einem Komittee des Europäischen Parlament, dem Science and Technology Options Assessment Panel (STOA), in Auftrag gegeben wurde. Unter dem Titel Abhörfähigkeiten im Jahr 2000" (Interception Capabilities 2000) wurde er dem Parlament übergeben.

Verschlüsselte Internetinformationen machen zu schaffen

Schon Anfang 1998 hatte der STOA-Bericht "An Appraisal of Technologies of Political Control" für großes Aufsehen gesorgt. Der Bericht bezog sich vorallem auf das Buch Secret Power des neuseeländischen Friedensaktivisten Nicky Hager. Hager beschrieb erstmals Details des weltumspannenden Abhörsystems, das auf einer Vereinbarung zwischen Großbritannien, USA, Kanada, Australien und Neuseeland von 1948 beruht. Während des Kalten Krieges entwickelt, ist es heute vorwiegend auf nichtmilitärische Ziele ausgerichtet: Regierungsstellen, Organisationen und die Wirtschaft. Der Bericht untersucht den aktuellen technischen Stand der elektronischen Aufklärung für Geheimdienstzwecke. Verfasst wurde er von Duncan Campbell. Der Schotte arbeitet seit Ende der 70er Jahre über den Themenkomplex Er hatte 1988 als erster Journalist über die Existenz des weltweiten Abhörnetzes Echelon berichtet. Er legt umfassende Materialien vor, in denen Geschichte und Arbeitsweise des Echelon Systems aufgezeigt werden.
So soll das Abhören internationaler Kommunikation seit langer Zeit routinemäßig benutzt worden sein, um heikle Daten über Individuen, Regierungen, Handelsorganisationen und internationale Institutionen zu sammeln. Europäische Wirtschaftsunternehmen seien das Ziel von Abhöraktionen. Regierungen führender westlicher Nationen würden das von Geheimdiensten gewonnene Material benutzen, um eigenen Spitzenunternehmen Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Für das Abhören des Internets sind demnach die US-Geheimdienste, allen voran die National Security Agency (NSA), bestens gerüstet. Die USA, Großbritannien, Kanada und Australien betreiben bereits seit den 80er Jahren ein auf dem Internet-Protokoll beruhendes, geschlossenes Netz. Seit 1995 habe die NSA eine so genannte Sniffer-Software an den neun wichtigsten Internetknoten in den USA installiert.
Eingesetzt werden sie an den von US-Regierungsbehörden betriebenen Knoten FIX East" und .FIX West«, die wiederum mit den kommerziellen Knoten "MAE East« und MAE West" eng verbunden sind. Viele ausländische Datenpakete werden noch heute aus Kapazitätsgründen über diese Knoten geroutet.
Der Bericht weist aber auch auf die Grenzen des grenzenlosen Abhörens hin. So sah der ehemalige NSA-Direktor William Studeman im Informationsmanagement das größte Einzelproblem der US-Geheimdienste: .Ein technisches System zur Informationssammlung allein generiert eine Million Inputs pro halber Stunde. Filter reduzieren sie auf 6500 Inputs, nur 1.000 Inputs entsprechen den Kriterien zur Weiterleitung; Zehn Inputs davon werden von Mitarbeitern analysiert; nur ein Bericht wird schließlich verfasst."
Auch verschlüsselte Internetkommunikation macht den Geheimdiensten zu schaffen. Eine immer aufwendigere Ausrüstung muss beschafft werden, um an die Nachrichten im Klartext zu kommen. Laut Bericht sind jüngste Bemühungen der US-Diplomatie, eine obligatorische Hinterlegung kryptographischer Schlüssel in Europa durchzusetzen, ein Täuschungsmanöver.
Für die Öffentlichkeit werden Argumente wie organisiertes Verbrechen, Drogenhandel und Kinderpornographie genannt. Das eigentliche Motiv der US-Regierung sei aber das flächendeckende Sammeln von nachrichtendienstlichem Aufklärungsmaterial, so Campbell. Für den Schutz der Menschen- und Grundrechte, aber auch für die Wirtschaft sei es daher unbedingt notwendig, eine klare Unterscheidung zwischen inländischem Abhören zu Strafverfolgungszwecken und dem Abhören zu Zwecken der Geheimdienste zu treffen.
Zudem könne der Einsatz von Verschlüsselungsverfahren das Verarbeiten der Inhalte von Nachrichten ebenso wie das Analysieren von Verbindungsdaten einschränken. Auch böten die ökonomischen Kosten einen Ansatzpunkt, um das nicht-autorisierte Abhören von Kommunikation einzudämmen.
Aufgrund der europäischen Berichte versuchen zur Zeit in den USA Bürgerrechtler, den US-Kongress zu einer Untersuchung der Affäre zu bewegen. Die britische und die US-amerikanische Regierung verweigerten nämlich bisher jegliche Stellungnahme. Der Kongressabgeordnete Bob Bart forderte eine Untersuchung von Echelon, deren Hauptaugenmerk auf den Fähigkeiten des Systerns liegen soll.
In einem Brief Janetan Justizministerin Janet Reno ließ der Kongress anfragen, über welche technologischen Fähigkeiten die Geheimdienste und die über welche technologischen Bisjetztliegt keine Antwort vor. Die Geheimdienste.signalisierten allerdings bereits dem Kongress, dass sie Oberhaupt keine Informationen herausgeben werden.

Die Deutschen haben mit den Amerikanern Frieden geschlossen

In Deutschland hat man mit den Amerikanern allerdings schon Frieden geschlossen: Ernst Uhrlau, Geheimdienstkoordinatot im Kanzleramt, erklärte vor wenigen Tagen nach einem Besuch der deutschen NSA-Abhörstation in Bad Aibling, dass die Amerikaner gegen die Deutschen keine Spionage betreiben würden. Zuvorhatte der amerikanische NSA-Chef Michael Hayden versichert, Bad Aibling sei und bleibe weder gegen deutsche Interessen noch gegen deutsches Recht gerichtet«. Für Uhrlau ist damit die in der Offentlichkeit entstandene Geheimniskrämerei um BadAiblingeindeutig beendet". Falls es künftig dennoch zu einem beweisbaren Fall von Wirtschaftsspionage käme der mit Hilfe der Abhöranlage begangen worden ist, wäre dies ein politischer Eklat. Allein: Die Beweisnot liegt bei den Deutschen.

ZUR PERSON: Christiane Schulzki-Haddouti Christiane Schulzki-Haddouti ist Journalistin aus Koblenz. Sie schreibt auch für c't und telepolis. Seit langem beschäftigt sie sich mit Themen wie Privatsphäre, Geheimdienste, Abhören, Wirtschaftsspionage, Verschlüsselung und Internetzensur.
Am Sonntag, 5. Dezember, ist die Journalistin ab 15 Uhr zu Gast bei FoeBuD im Bunker Ulmenwall, Kreuzstraße 0, in Bielefeld. Hier wird sie auch der Frage nachgehen, ob die Privatsphäre Romantik von Gestern ist.

Neue Westfälische, 27. November 1999

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