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Von Ratten und anderen Schmusetieren

Heide Platen las im Bunker Ulmenwall aus ihrem Rattenbuch / Kulturgeschichte der Nager

VON ACHIM POLLMEIER

Heide Platen und Karl-Heinz Bender Bielefeld-Mitte. Heide Platen ist nicht unbedingt eine Ratten-Verehrerin: "Ich finde sie niedlich, aber sie sind mir zu hektisch", sagt die Frankfurterin und grinst verschmitzt. Dabei gibt es nur wenige, die so viel über Ratten wissen wie sie: Heide Platen hat "Das Rattenbuch" geschrieben - Eine Kulturgeschichte der Ratten", wie sie selbst sagt. Am Sonntag las sie im Bunker Ulmenwall im Rahmen der "Public Domain - Reihe" des "Vereins zur Förderung des öffentlich bewegten und unbewegten Datenverkehrs" (FoeBuD) aus ihrem Werk vor. Und die Ratten hörten mit.

Es ist ihre erste Lesung mit dem Rattenbuch, das sie schon 1997 veröffentlicht hat. Und man merkt schnell, warum: Sehr speziell, sehr feuilletonistisch, dafür aber mit viel Liebe zum manchmal etwas langatmigen Detail geht es nicht etwa um eine Expedition ins Nagetier-Reich, sondern vor allem um die Wahrnehmung der möglicherweise possierlichen Nager in verschiedenen Kulturen und Epochen. "Anders als der schlaue Fuchs oder die fleißige Biene wechselt die Ratte ihre Chiffren im Laufe der Kulturgeschichte", sagt Platen und meint, dass längst nicht alle Menschen zu allen Zeiten die Ratten eklig, schmutzig und verderblich fanden:
Erst Anfang dieses Jahrhun- derts, als der Rattenfloh als Überträger der Pest entdeckt wurde, begann der Aufstieg der Ratte zum Symbol für Krankheit, Tod und das Elend der Menschheit. Und das, obwohl der Parasit auch anderen Nagern im Fell sitzt, darunter so anerkannt niedliches Getier wie Goldhamster und Lemminge.
Bei Freud sei der "Rattenmann" ein schmutziger kleiner Kerl, der in seiner Kindheit misshandelt worden ist und sich selbst in der Ratte sieht. Die Nazis gingen gar so weit, in ihrer Propaganda Ratten als Symbol für die Juden zu missbrauchen. Auch der französische Schriftsteller Albert Camus verwendet in seinem Roman "Die Pest" das Bild von einer Rattenplage.
Mit Darstellungen, die historisch genauso wenig belegt seien, wie die meisten Erzählungen, in denen Ratten als Folterinstrument auftauchen. So rechnet Platen ab mit zahlreichen Fantasien bis hin zur Assoziation des vermeintlich nackten Rattenschwanzes (in Wahrheit ist er fein behaart) als phallusartiges Etwas. Zu dieser etwas gewagten These bleiben dem Zuhörer die Details allerdings vorenthalten. Platens "inoffizieller Mitautor" Karl-Heinz Bender unterstreicht all dies mit Zitaten aus der Literaturgeschichte vom Expressionismus bis heute. Wie gesagt: sehr feuilletonistisch.
Den Ratten ists egal: Sie liegen in ihrem Käfig und machen ein Nickerchen. Erst in der Pause werden sie munter und posieren als Anschauungsprojekte für die eigene Niedlichkeit. Die Züchterin Karen Bensmann hatte Asrael, Pünktchen, Zoe und Fanesha in den Bunker getragen - ihres Zeichens allesamt Exemplare der "rattus norvegicus domesticus", die von der Wanderratte abstammende "Haustiergattung". Bensmann ist sichtlich vernarrt in ihre offenbar schnuckeligen Nager, die putzig auf den Schultern von mutigen Gästen herumturnen. Warum? "Weil Ratten absolut intelligent und sehr individuell sind", sagt sie, und beweist damit die These der Buchautorin: Ratten wandeln ihre Symbolik. Allerdings ließ manche Zuschauer-Reaktion erahnen, dass die Ratten als Schmusetiere noch Akzeptanz-Probleme haben. . .

Neue Westfälische, 17. März 2000

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