Bielefeld. Stolz beobachtet Elena (8), wie ihr selbstgebauter Roboter umherfährt. "Ohne meine Eltern hätte ich es nicht geschafft", gibt die frischgebackene "Ingenieurin" gerne zu. Mehr als zwei Stunden hat die ganze Familie getüftelt, um einen Prototyp aus dem Lego-Kasten Mindstorms nachzubauen. "Die Zeit ist im Nu verflogen", meint Elenas Vater.
Dabei gehört seine Tochter als Grundschülerin eigentlich noch gar nicht zur Zielgruppe des Legoproduktes Mindstorms. Und mit der Spiel- Begeisterung der Eltern hat beim dänischen Spielzeughersteller wohl auch niemand gerechnet. Die elektronische Variante des altbekannten Steckverbindungsbaukastens, die seit zwei Jahren auf dem Markt ist, zielte eher auf die Altersgruppe zwischen zwölf und 18 Jahren ab.
Doch die "Roboter-Spielsucht" grassiert mittlerweile nicht nur unter Jugendlichen. Infiziert haben sich weltweit Menschen jeder Altersgruppe. Ein Grund für Rena Tangens und padeluun vom FoeBuD e. V. (Verein zur Förderung des bewegten und unbewegten Datenverkehrs), diesem Phänomen einen Workshop zu widmen.
Im Rahmen der Reihe zu Zukunftsfragen, der Public Domain, gingen sie den Möglichkeiten des Spielzeugs auf den Grund. Sie luden die beiden Hamburger Programmierer Ralf Prehn und Carsten Müller nach Bielefeld ein, um Theorie und Praxis des "bewegten Legos" zu erklären.
Der Konferenzraum der Bürgerwache am Siegfriedsplatz glich am Workshop-Tag einer Schaltzentrale für Computertech nik. Die Firma Lego hatte leihweise fünf Kästen Mindstorms zur Verfügung gestellt Zwei weitere Sets schickte der Chaos Computer Club aus Berlin. Neben dem Standardbausatz waren für die fortgeschrittenen Tüftler auch diverse Erweiterungsmöglichkeiten vorhanden. Zusätzliches Equipment, wie winzig kleine digitale Kameras, konnten zur Roboterkonstruktion benutzt werden. In kleinen Gruppen saßen die Lego-Freaks vor den Bildschirmen, studierten Schaltpläne, programmierten und probierten elektronische Verbindungen aus.
Ähnlich kreativ muss es wohl auch im Massachusetts Institute of Technologies (MIT) zugehen, wenn neue Robotermodelle entwickelt werden. Denn das weltweit renomierteste Forschungsinstitut für Polytechnik arbeitet schließlich ebenfalls mit Legobausätzen. "Das ist kostensparend und effektiv", weiß Workshop-Leiter Carsten Müller .
Deshalb werden die meisten Prototypen für echte Roboter aus Legobausteinen gefertigt. "Robot Prototyping" nennt sich dieses Legospiel für Wissenschaftler. Besonders im Bereich der Weltraumforschung, wenn neue intelligente Fahrzeugmodelle ent -wickelt werden, ist die Lego-Variante ein gutes Übungsfeld.
Doch nicht nur Wissenschaft und Forschung loten die Möglichkeiten des Legokastens aus. Weltweit erfinden Laien täglich neue Maschinen. Und damit auch andere Freude daran haben, stellen die Erfinder ihre Erzeugnisse gerne in die einschlägigen Netzseiten. Da findet sich neben einem voll funktionstüchtigen Videorecorder und einer Raumschiff-Simulation auch mal ein Dinosauriermodell aus den bunten Plastikklötzchen. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Ein Witzbold konstruierte sogar schon einen Tic Tac-Toe-Spieler aus Legosteinen. Für solche Varianten des "Mindstorrn"-Legos sind allerdings eigene Programmierungen notwendig.
So überrascht es nicht, dass viele der Lego-Ingenieure fortgeschrittenen Alters sind und einige sich auch beruflich mit Computertechnik auseinander setzen. Das Durchschnittsalter in den Lego-Newsgroups liege bei 35 Jahren, erzählt der Fachmann Carsten Müller. Dass sich überwiegend Erwachsene die LegoSucht leisten, mag auch am Preis liegen. Schon der Grundbaukasten "Robotic Invention Systems" kostet 450 Mark.
Diese Investition hat Carsten Müller jedoch bislang nicht bereut. Er lässt seinem Spieltrieb seit einem Jahr freien Lauf. Und neben Müller sind mittlerweile schon zwei seiner Kollegen zu Lego-Ingenieuren mutiert. "Natürlich außerhalb der Arbeitszeit."
Wie spannend und gruppendynamisch der Umgang mit dem modernen Legokasten sein kann, demonstrierten auch die Besucherinnen und Besucher der Public Domain-Veranstaltung in Bielefeld. Farina (7) und ihre Freundin Rosanna (7) hatten genauso viel Spaß am "Roboterbauen" wie die jugendlichen Computerfreaks, die sich um die Rechner scharten..
Der elfjährige Timo kam eigentlich schon ohne die Hilfe seines Vaters aus. Aber der erziehungsberechtigte Begleiter durfte "ruhig mal das Trainingsprogramm durcharbeiten". Und als die Ergebnisse des Workshops ihre Runden auf dem Übungsparcours drehten, gerieten nicht nur die Kids ins Schwärmen. "Eine so spontane Selbstorganisation und kreative Zusammenarbeit habe ich schon lange nicht mehr erlebt", bemerkte die FoeBuD-Aktivistin Rena Tangens.
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Neue Westfälische, 5. Dezember 2000