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Freier Blick auf freie Bürger

Mit und ohne rechtliche Grundlage: private und öffentliche Videoüberwachung in Bielefeld

Astrid Paulsen

Helmut Pollähne hat die Polizei verklagt. Durch Installation und Betrieb der Videoüberwachungsanlage im Ravensberger Park sieht der Bielefelder Jurist sein Recht auf informationelle Selbstbestim mung eingeschränkt: "Das heißt, ich kann selbst entscheiden, was mit meinen Daten passiert und wer was weiß; dieses Recht habe ich nicht, wenn ich durch den Ravensberger Park gehe."

Seit dem 23. Februar dieses Jahres überwacht die Polizei den Park im Rahmen eines Pilotprojekts des Landes Nordrhein-Westfalen. Die rechtliche Grundlage dafür ist der Paragraph 15 a des Polizeigesetzes' (siehe stichwort). Helmut Pollähne: "Die Polizei hat die gesetzliche Grundlage nicht korrekt angewandt. Wenn die Voraussetzungen entfallen, muss die Anlage abgebaut werden."

Ob sie das muss, hängt zu einem großen Teil von einem Gutachten ab, das Klaus Boers gerade am Institut für Kriminalwissenschaft der Uni Münster erstellt. Damit soll die Überprüfbarkeit des Pilotprojekts geschaffen werden.

Kontrolle und Freiheit

"Da steht nicht viel drin", sagt Klaus Boers über seine Studie, die er noch diese Woche dem Düsseldorfer Innenministerium vorlegen will, "es gibt keine superdramatischen Dinge zu berichten." Sein Problem ist die Kürze der Zeit, die er zu bewerten hat: "Kein Mensch kann nach drei, vier Monaten sagen, ob die Videoüberwachung was bringt." Problematisch ist auch die kleine Zahl an erheblichen Straftaten, die im Ravensberger Park begangen werden. Im Jahr 2000 waren es nur sechs, und der für das Projekt bei der Bielefelder Polizei zuständige Michael Borchert deutet an, 2001 könnten es noch weniger sein: " Bisher gibt es weniger besonders herausragende Straftaten, aber einen kleinen Anstieg bei den leichteren Delikten."

Gerade um die so genannten erheblichen Straftaten geht es aber. Dazu gehören zum Beispiel Raub oder schwere Körperverletzung. "Der einfache Drogenhandel zählt nicht dazu", erläutert Michael Borchert, und genau der ist das häufigste Vorkommnis unter den Junkies im Ravensberger Park. Was für die Polizeiinspektion Ost zählt, ist das Sicherheitsgefühl der Bürger. Diese Einschätzung ist durch das Polizeigesetz jedoch nicht abgedeckt. Klaus Boers: "Wegen einer Furcht kann der Staat keine hoheitlichen Eingriffe vornehmen."

Mit der Frage, was der Staat kann und ob die Videoüberwachung eine Gefahr für die Demokratie ist, beschäftigte sich am vergangenen Wochenende ein Seminar des Ver eins zur Förderung des öffentli chen bewegten und unbewegten Datenverkehrs (FoeBUD) und des Grünen- Fraktionsgeschäftsführers Klaus Rees. Den vordergründigen Sinn der Park-Kontrolle erklärt der Bielefelder Künstler padeluun von FoeBuD: "Eine Firma hat vier Kameras verkauft, und eine andere Firma bietet für auch nicht wenig Geld vier Standleitungen an: Das ist der Erfolg." So vermischen sich staatliche und wirtschaftliche Interessen.

Privates und Öffentlichkeit

In Bielefeld gibt es wegen des Verkaufs von öffentlichen Plätzen an private Investoren einige Beispiele dafür, dass das Private auch öffentlich und das Öffentliche auch privat werden kann. Für die öffentliche Überwachung von Bürgern gibt es immerhin Regeln, für die private nicht. So werden beispielsweise die Bielefelder Stadtbahnen und der Hauptbahnhof riebst Vorplatz und angrenzenden Straßen von privaten Sicherheitsdiensten und Angestellten der Deutsche Bahn AG videoüberwacht. Die Einhaltung der Bürgerrechte sieht die Bahn durch ihren eigenen Datenschutzbeauftragten gewährleistet: "Wenn das nicht rechtens wäre, hätten wir die Anlage doch gar nicht genehmigt bekommen."

Wieviel Urvertrauen in vermeintliche Sicherheit durch Technik angebracht ist, zeigte sich zwei Tage nach Installation der 250 Millionen Mark teuren DB-Anlage Anfang März: Von den Bahnbeobachtern völlig unbemerkt wurde der Tabakladen in der Bahnhofshalle ausgeräumt. Auch die zwei Beamten in der Polizeiinspektion Ost, die neben ihren Monitoren noch die Telefonzentrale zu überwachen haben, können nicht alles sehen. Sollten durch die Kameras im Ravensberger Park Straftäter einfach an andere öffentliche Plätze abwandern, könnten nach englischem Vorbild immer mehr Kameras installiert, die Stadt flächendeckend überwacht werden. "Seit den Terroranschlägen in den USA werden wir mit Forderungen aus allen Parteien überzogen", stöhnt André Zöhren, wissenschaftlicher Mitarbeiter für Kommunales und Inneres der Grünen Landtagsfraktion, "die CDU fordert Videoüberwachung überall." Seit einigen Tagen läuft bundesweit die so genannte Rasterfahndung wieder, ein Verfahren, mit dem schon in den Siebzigern und Achtzigern nach RAF-Angehöri gen gesucht wurde und bei dem auch die Daten Tausender unbescholtener Bürger abgeglichen werden. Rena Tangens von FoeBuD: "Das widerspricht unserem Rechtsstaat, weil damit die Unschuldsvermutung außer Kraft gesetzt wird. Jeder Bürger wird zum potenziellen Täter."

Die nächste FoeBuD-Veranstaltung ist die public domain am 7. Oktober ab 15 Uhr im Bunker Ulmenwall, Kreuzstraße, zum Thema "Privacy Enhancing Technologies": Datenschutz fördernde Technik. Buchtipp: Christiane Schulzki-Haddouti, Vom Ende der Anonymität. Die Globalisierung der Überwachung, Heise-Verlag. 29 Mark

stichwort
DAS GESETZ

In der Rechtsgrundlage für das Bielefelder Pilotprojekt, dem Paragraph 15a des Polizeigesetzes Nordrhein-Westfalen, heißt es: "Zur Verhütung von Straftaten kann die Polizei einzelne öffentlich zugängliche Orte, an denen wiederholt Straftaten begangen wurden, mittels Bildübertragung beobachten, solange Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dort weitere Straftaten begangen werden ...
Ergibt sich durch die Beobachtung der Verdacht einer begonnenen oder unmittelbar bevorstehenden Straftat, kö nnen die übertragenen Bilder aufgezeichnet werden ...
Straftaten im Sinne dieser Vorschrift sind solche von erheblicher Bedeutung ..."
In der Begründung des Gesetzes wird festgestellt: "Die Norm stellt auch klar, dass die Beobachtung nicht gestattet ist, wenn sie lediglich der Verdrängung dienen soll." Die Landesdatenschutzbeauftragte hält das Bielefelder Pilotprojekt für unzulässig. "Die Voraussetzungen des §15a sehen wir nicht als erfüllt an", sagt ihre zuständige Referentin Carola Holzberg.

Stadtblatt, 04. Oktober 2001

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