FoeBuD e.V.  ·  Marktstraße 18  ·  D-33602 Bielefeld
http(s)://www.foebud.org  ·  foebud@bionic.zerberus.de

Skandal: Erwerbsloser erhält Geld vom Staat!!!

Skandal: Erwerbsloser erhält Geld vom Staat!!! "Skandal: Erwerbsloser erhält Geld vom Staat". Eine Überschrift, die es so wohl noch nicht gegeben hat. Doch das kann sich bald ändern. Keine journalistische Gattung an sich, handelt es sich beim Skandal um eine mediale Inszenierung von etwas, dass die gesellschaftlichen Regeln, Werte und Normen verletzt.

Von Manfred Horn

Zur 125. "Public Domain" hatte der Verein "FoeBuD" am vergangenen Sonntag den Züricher Soziologie- und Publizistik-Professor Kurt Imhof geladen. Der nahm die ZuhörerInnen auf eine unterhaltsame und gleichsam wissenschaftliche Reise in die Geschichte der Skandale mit. Skandale sind für Imhof ein Deutungsmuster eines Ereignisses. Skandale sind in der Lage, bestehende Werte und Normen einer Gesellschaft anzugreifen und manchmal auch zu verändern. Von daher passen Skandale jeweils zu der Gesellschaft, in der sie stattfinden. Als 1972 Rosa von Praunheim den ersten Schwulenfilm fürs Fernsehen produzierte, weigerte sich die ARD, diesen auszustrahlen. Nur der WDR zeigte ihn in seinem dritten Programm, mit anschließender Diskussion. Der doppelte Skandal war da: Eine öffentlich-rechtliche Institution weigerte sich, eine gesellschaftlich vorhandene Form von Zusammenleben und Sexualität zu zeigen. Doch das war der kleinere Skandal von beiden. Der größere war, dass der WDR es schließlich wagte, den Film zu zeigen. Die Feindseligkeit gegen Homosexuelle bestimmte damals noch den öffentlichen Diskurs.

Heute, gut 30 Jahre später, nimmt kaum noch jemand Anstoß an der Erscheinung von Schwulen oder Lesben auf dem Bildschirm. Hier waren die Medien, auch die 1984 hinzugekommenen privaten TV-Stationen, mitverantwortlich dafür, dass sich das Wertegefüge zumindest im öffentlichen Diskurs verschob. Imhof spricht hier von einem "Strukturwandel der Öffentlichkeit".Ob sich im Privaten die ablehnende Einstellung der Mehrheit der Bevölkerung gegenüber Homosexuellen mit geändert hat, ist damit allerdings nicht gesagt.

"Am Anfang war nicht das Wort, sondern der Skandal", sagt Imhof und geht zurück in die Aufklärungsgeschichte, um die Bedeutung von Skandalen zu unterstreichen. In der Aufklärung liege die heutige Potenz von Skandalen begraben. Erstmals im 13. Jahrhundert sei der Begriff "offentliches Gericht" benutzt worden. Es handelte sich damals noch um ein sakrales Gerichtsverständnis: Die Sünden passieren im Dunkeln, das Gericht holt sie ans Tageslicht, um sie dort auszugleichen. Hinrichtungen passieren bis heute im Morgengrauen: Eine deutliche Referenz auf den Ursprung öffentlicher Gerichte: Mit dem ersten Sonnenstrahl kann das Dunkle, die Sünde, am hellen Tag gerichtet werden. Die Norm sei simpel: Wenn es dunkel ist, sehen wir nichts; am Tag bei Licht sehen wir: Dann geben sich das Gute und das Offensichtliche die Hand. Daraus habe sich auch die Utopie der Moderne entwickelt: Vernunft und Tugendhaftigkeit. Der Mensch müsse sich frei unterhalten können, dies sei die Voraussetzung einer aufgeklärten Gesellschaft. Lüge hingegen ist das schlimmste Vergehen in einer solchen Gesellschaft. Sie soll der Bannstrahl der Öffentlichkeit treffen. So wird die Öffentlichkeit zur Erzieherin.

Die Kabinettspolitik Ludwig des XIV war nicht öffentlich, genauso, wie die G-8 Staaten heute hinter verschlossenen Türen verhandeln: Aus Sicht der Aufklärung nicht nur unvernünftig, sondern auch unsittlich. Gegen diese dunklen Zustände gibt es seit der Aufklärung diejenigen, die die Mauer zwischen Öffentlichem und Privatem angreifen. Historisch zum Beispiel diejenigen, die am Vorabend der französischen Revolution den König Ludwig den XVIII in pornographischen Situationen mit Geliebten zeigen, um die Unsittlichkeit des Adels zu plakatieren. Imhof verwies an dieser Stelle amüsiert darauf, dass es sich dabei einen Treppenwitz der Geschichte handele: Anderen Quellen zu Folge wusste sich Ludwig der XVIII gar nicht sexuell zu reproduzieren, da er nicht aufgeklärt wurde. Dennoch funktionierte die systematische Diskreditierung der herrschenden Elite damals. Die Revolution war demzufolge vor allem ein Kommunikationsereignis.

Skandal ist auch in der Gegenwart ein starkes Wort, es betont die Einzigartigkeit der Regelverletzung. Und das, obwohl das 20. Jahrhundert ein inflationäres Anschwellen von medialen Skandalen erlebt hat. Die von Imhof so genannte "Empörungsbewirtschaftung" ging dabei Hand in Hand mit dem Phänomen, dass das Intime, Private immer bedeutungsvoller wurde. Selbst im Wirtschaftsteil einer Zeitung stehen Meldungen zum Privatleben von Unternehmensmanagern. Niemand, der prominent ist, kann sich dem öffentlichen Zur-Schau-stellen oder bewussten Spekulieren über sein Privates noch entziehen. Ein neues Phänomen, das auch in Deutschland zunehmend um sich greift, ist die Skandalisierung der Wirtschaftseliten. Waren in den vergangenen Jahrzehnten vor allem die politischen Eliten dran, startet jetzt die Abzockerdebatte. In England gibt es zur Zeit fette Schlagzeilen darüber, welcher Manager ein Unternehmen gegen die Wand gefahren hat und gleichzeitig noch Millionen Pfund Abfindung kassierte. Dies wird gegenwärtig zunehmend als Skandal empfunden, sagt Imhof.

Betroffen von Skandalen sind vor allem Prominente. Manche neigen gar zur Selbstskandalisierung, um in den Schlagzeilen zu bleiben. Dieter Bohlen und Co sind geübt darin, die Boulevard-Presse mit Enthüllungen zu bedienen. Und: Häufig funktioniert es nach wie vor über die Sexualitätsschiene. Ein Seitensprung ist auch im 21. Jahrhundert noch ein Skandal. Und das, obwohl spätestens seit 1968 die Gesellschaft als aufgeklärt gelten könnte. Imhof erklärt das so, dass die private Kommunikation verklemmter sei als die öffentliche. Promiskuität sei eben auch heute alles andere als selbstverständlich. Im Gegenteil: In der jüngeren Vergangenheit habe es ein "Roll-Back" alter Werte gegeben.

Skandal hat für Imhof viel mit Klatsch zu tun. Klatsch funktioniert nicht über Medien, sondern in der direkten Kommunikation unter Menschen im Freundeskreis, in der Schule, am Arbeitsplatz. Klatsch werde häufig negativ gesehen. Imhof hingegen schlug wollte Klatsch auch positiv sehen: Er habe eine zentrale Bedeutung im sozialen Leben. Wer Regeln und Normen verlasse, begebe sich in die Gefahr, "beklatscht" zu werden. Klatsch diene dabei der sozialen Kontrolle, sei für die konfrontationsfreie Abwicklung von Feindseligkeit brauchbar. Imhof sprach von einer "modernen Variante zur Lösung von Affektstau" und behauptete, Klatsch reduzierte die Gewalt- und Mordrate erheblich. Wer klatsche, könne den, über den er gerade geklatscht habe, anschließend freundlich grüßen. Weil er eben Luft rausgelassen habe.

Im organisatorischen Umfeld diene Klatsch zudem dazu, das Führungspersonal zu validieren. Allzuehrgeizige könnten so sozial bestraft werden. Schließlich habe Klatsch die Funktion, ein- und auszugrenzen, also eine gemeinschaftsbildende Wirkung. Damit verhelfe Klatsch Gruppen dazu, sich zu bilden und eine Grenze zwischen sich und den Anderen, der Gesellschaft, zu ziehen. Für Imhof liefert Klatsch sogar ein "soziales Wunder": Er ermögliche die Aufrechterhaltung von Geheimnissen. Und das, obwohl alle davon ein wissen. Der Grund: Klatsch unterliege der Diskretion, niemand stelle Unmittelbarkeit her.

Geheimhaltung ist allerdings kein Merkmal des Skandals. Hier geht es vielmehr darum, ein "Geheimnis" hinter dem Vorhang hervorzuziehen und es mit samt den handelnden Personen auf die beleuchtete Bühne der Öffentlichkeit zu stellen. Dabei würden die Medien heute die Rolle übernehmen, die früher soziale Bewegungen hatten. Die seien heute mangels Masse nur noch selten in der Lage, zu skandalisieren, sagt Imhof. Doch damit hätten sich die Medien auch auf eine gefährliche Ebene begeben: Behaupten nachweislich Unwahrheiten, können sie ihre gesellschaftliche Anerkennung und damit auch ihre Existenzgrundlage gefährden.

WebWecker, 11. Juni 2003
Original: http://www.webwecker-bielefeld.de/servlet/is/13369/

© WWW-Administration, 08 Mar 06