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Zweckdienliche Hinweise für soziale Bewegungen

Bei einer Veranstaltung im Bunker Ulmenwall am Sonntag skizzierte der Politologe Felix Kolb, welche Faktoren zum Erfolg einer sozialen Bewegung beitragen. Dass er sich am Tag X des Castor-Transports dabei häufig auf die Anti-Atombewegung bezog, verlieh seinem Vortrag besondere Aktualität. Eine besonders traurige, wie sich während der Public Domain herausstellte.

»1000 Tipps für eine gelungene Revolution«, versprach die Einladung des FoeBuD zur Public Domain 133 am vergangenen Sonntag im Bunker Ulmenwall. Das Versprechen konnte Felix Kolb, der erste Pressesprecher von Attac Deutschland, zwar nicht einlösen. Dafür gelang es ihm zweckdienliche Hinweise für soziale Bewegungen zu geben, wie eine erfolgreiche Strategie aussehen könnte. Kolb promoviert zum Thema, anhand konkreter Beispiele beleuchtete er Faktoren, die den Erfolg einer solchen Bewegung befördern könnten. Immer wieder tauchte die Bewegung gegen Hartz IV in dem gut strukturierten Vortrag auf. Passend zum Veranstalter FoeBud gab es auch Tipps für Menschen, die sich für Bürgerrechte im digitalen Zeitalter engagieren.

Das wichtigste Objekt der Untersuchungen Kolbs ist allerdings die Anti-Atombewegung in verschiedenen Ländern. Der aktuelle Castor-Transport verlieh dem Vortrag dabei besondere Aktualität. Dass in der Pause der Veranstaltung die Nachricht eintraf, dass ein Anti-Atomaktivist in Frankreich vom Castor-Zug überrollt wurde, sorgte für Betroffenheit unter den Anwesenden.

Auch wenn immer noch Castor-Transporte durchs Land rollen und der Ausstieg aus der Technik so langsam von statten geht, dass die Industrie unrentable Atomkraftwerke vorzeitig stilllegt: In der Bundesrepublik Deutschland war die Bewegung aus Sicht Kolbs ziemlich erfolgreich. »Man muss sich ansehen, wie viele geplante Anlagen nicht gebaut wurden«, sagt Kolb und belegt dies mit einer Grafik. Ein Drittel des Atomprogramms wurde danach in der BRD verhindert. »Der Erfolgsmaßstab sozialer Bewegungen darf nicht der Vergleich der Wirklichkeit mit dem Wünschenswerten sein, sondern ausschließlich das Erreichte«, lautet seine frustvorbeugende These.

In seiner Dissertation, an der Felix Kolb gerade arbeitet, geht er auf die Suche nach Gründen des Erfolgs einer Bewegung. »Um erfolgreich zu sein, braucht man Strategien«, hat er herausgefunden. Bei Strategien, die er vom Begriff der Taktik unterscheidet, die zeitlich und räumlich begrenzt sei, handle es sich um »situationsübergreifende erfolgsorientierte Ziel-Mittel-Umwelt-Kalküle«, zitiert Kolb den Parteienforscher Joachim Raschke.

Umwelt meint in diesem Fall den gesellschaftlichen Kontext einer sozialen Bewegung. Diese müsste analysieren, welche Gegner und Verbündete sie hat, empfiehlt Felix Kolb. Das bedeute im Fall der Proteste gegen Hartz IV, dass die Gewerkschaften als Verbündete unter einer rot-grünen Regierung nur bedingt taugen. Zum Kontext gehörten Faktoren, die nicht beeinflusst werden können, lautet eine weitere These. So sei der Ölpreis von Anti-Atomaktivisten nicht beeinflussbar, er beeinflusst aber die Stimmung in der Bevölkerung.

Auch die Verteilung von Atomanlagen in einem Land hat Auswirkungen auf den Erfolg der dortigen Anti-Atombewegung. »In Ländern wo AKWs mit der Gieskanne verteilt worden sind, gab es starke Bewegungen«, weiß Kolb. In Ländern, in denen die Anlagen an wenigen Standorten konzentriert sind, waren sie hingegen schwach. Wobei die Stärke der Bewegung auch kein Erfolgsgarant ist: In Frankreich ist die Anti-Atombewegung, gemessen an der Zahl der Proteste und lokalen Gruppen, stark, dennoch ist sie erfolglos. Die dänische oder norwegische Bewegung ist nur mittelstark, aber sehr erfolgreich, zeigen Kolbs Studien.

Zur Begründung dieses Phänomens formuliert Kolb eine weitere These: »Soziale Bewegungen müssen die politische Elite spalten«. Je mehr Streit es in der Elite gebe, desto größer seien die Chancen für eine Bewegung. Tatsächlich haben in Skandinavien viele Polititker auf die Vorbehalte der Bevölkerung der Technologie gegenüber reagiert, in Frankreich hingegen gibt es im Establishment fast nur Befürworter der Atomkraft. Außerdem seien die Anti-Atom-Aktivisten in Dänemark und Norwegen in den Ring gestiegen, bevor in dem Land eine Entscheidung für die Technologie gefallen sei. »Es geht darum schnell zu sein«, sagt Kolb. Nach diesen beiden Thesen haben die Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV kaum Aussicht auf Erfolg. Die Elite ist sich einig und die Proteste begannen viel zu spät.

Eine weitere These von Felix Kolb dürfte Gegner der aktuellen Entwicklung der Sozialsysteme auch nicht gerade optimistisch stimmen: »Soziale Bewegungen müssen einen Kampf um die Konstruktion der Wirklichkeit führen« lautet diese. Felix Kolb verdeutlicht das am Irak-Krieg. Während die Kriegsbefürworter die angebliche Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen propagierten, führte die Friedensbewegung die Ölinteressen der USA ins Feld. »Problemmuster« heißt das bei Kolb und wie in diesem Konflikt gibt es bei allen politischen Auseinandersetzungen mindestens zwei davon.

Die Frage lautet, welches Problemmuster sich durchsetzt. Im Falle Hartz IV heißt das: Müssen die sozialen Systeme umgebaut werden, um die faulen Arbeitslosen zur Arbeit zu bewegen oder muss das Wirtschaftssystem verändert und die Reichen stärker belastet werden? In dieser Frage scheint sich das erste Problemmuster durch die Lobbyarbeit der Wirtschaftsverbände durchgesetzt zu haben.

Ob ein Problemmuster Erfolg hat, hängt dabei weniger davon ab, ob es der Wirklichkeit entspricht, sondern eben wie diese konstruiert wird. Felix Kolb erläutert am Beispiel »Waldsterben«, was ein »gutes Problemmuster« ausmacht: Der Name ist griffig und biete über die Bilder von kaputten Bäumen ein gutes »Identifizierungsschema«. Weitere Zutaten zu einem erfolgreichen Problemschema sind nach Kolb eine klare Problembeschreibung, in diesem Fall der Straßenverkehr. Zudem habe Waldsterben auch einen klaren Bewertungsmaßstab. »Wir müssen die Umwelt für die kommenden Generationen erhalten«, formuliert Kolb. Die Bewertung bietet zudem die Prise »affektiver Bestandteil«: »Wir erinnern uns daran, wie wir als Kinder in einem gesunden Wald gespielt haben«, erklärt der Politikwissenschaftler.

Durch die äußeren Faktoren, die eine soziale Bewegung nicht beeinflussen kann, braucht sie aber auch bei einem guten Problemmuster ganz einfach Glück um erfolgreich zu sein. Felix Kolb spricht von »Windows for reform«. Sie gibt es vor allem nach Krisen und bei einem Regierungswechsel, wenn die neue Regierung ein starkes Mandat erhält. Kolb erinnert an die Anfänge der Regierung Willy Brandt, die viele Reformen mit sich brachte und an die Krise nach Tschernobyl, die der Atomlobby schwer schadete. Auch die BSE-Krise war so eine Chance, das Problemmuster gut. »Das hätte das Ende der Massentierhaltung sein können«, glaubt Felix Kolb. »Aber die Umweltverbände haben das verschlafen«, bedauert er. Aber immerhin bescherte die Krise dem Land ein Ministerium für Verbraucherschutz.

Vielleicht gibt es ja bald auch ein Datenschutzministerium. Denn eigentlich passt für die Datenschützer vom FoeBuD alles für eine erfolgreiche soziale Bewegung gegen Datenkraken: Die erste Verleihung der Big Brother Awards fand 2000 statt, kurz nach der Krise des 11. September, rot-grün war noch recht frisch im Amt. Und mit den RFID-Chips des Metrokonzerns haben sie ein würziges Problemmuster, für das abstrakte Problemlösungen, sprich entsprechende Verordnungen zum Schutz der Privatsphäre, möglich sind. Sogar konkrete Handlungsanleitungen biete FoeBuD: Der Verein bietet eine Schutzfolie gegen die Chips in Verpackungen an. Vor allem aber waren die Datenschützer schnell genug. »Sie haben es noch nicht geschafft, das Thema positiv zu besetzen«, freut sich Rena Tangens vom FoeBuD, dass sie und ihre Mitstreiter vorher vor den Risiken und Nebenwirkungen der Technologie warnen konnten.

Mario A. Sarcletti

WebWecker, Bielefeld, 10. November 2004
Original: http://www.webwecker-bielefeld.de/?22763

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