FoeBuD e.V.  ·  Marktstraße 18  ·  D-33602 Bielefeld
http(s)://www.foebud.org  ·  foebud@bionic.zerberus.de

Die Sozialreformen aus Gütersloh

Hersch Fischler bei der PUBLIC DOMAIN im Bunker Ulmenwall

Voll war es am Sonntag Nachmittag im Bunker Ulmenwall: Rund 130 BesucherInnen waren gekommen, um Hersch Fischler und seinen Ausführungen über die Bertelsmann-Stiftung zu lauschen. Veranstaltet wurde der Vortrag mit Diskussion vom Bielefelder FoeBuD, der zur Public Domain #138 geladen hatte.

Die Bertelsmann-Stiftung, die auf dem Prachtboulevard ?Unter den Linden? in Berlin und in Gütersloh gleich neben dem Medienriesen Bertelsmann residiert, hat der Bertelsmann-Patriarch Reinhard Mohn ? nach dem bereits heute zu seinen Lebenszeiten schon ein Berufskolleg in Gütersloh benannt ist ? 1977 eingerichtet. 1993 dann übertrug Mohn der Stiftung den Großteil des Grundkapitals der Bertelsmann AG, die bis heute ihren Stammsitz in Gütersloh hat.

Ein »strategischer Geniestreich«, wie Frank Böckelmann, der zusammen mit Hersch Fischler das bei Eichborn erschienene Buch ?Bertelsmann? geschrieben hat, findet. Denn die Stiftung ist gemeinnützig, Mohn spart kräftig Steuern. Heute hält die Stiftung 57 Prozent der Bertelsmann-Aktien, hat aber kein Stimmrecht. Dies wird von der Bertelsmann-Verwaltungsgesellschaft ausgeübt. In diesem achtköpfigen Gremium ist die Familie Mohn mit vier Personen vertreten, unter ihnen auch noch der inzwischen 84-jährige Reinhard Mohn. So habe sich die Familie die Macht gesichert, findet Böckelmann.

Weil die Stiftung so viel Kapital hat, kann sie jährlich rund 64 Millionen Euro für ihre Vorhaben ausgeben und 250 hoch qualifizierte Akademiker beschäftigen. Dies ist achtmal so viel wie zum Beispiel die Initiative ?Neue Soziale Marktwirtschaft?, die vom Metall-Arbeitgeber-Verband mit dem Ziel einer Deregulierung des Staates und der Wirtschaft betrieben wird. Ein Vergleich mit der Initiative ?Neue Soziale Marktwirtschaft? bietet sich an, weil beide Organisationen offenbar ähnliche Ziele verfolgen: Denn hinter den ganzen Symposien, Tagungen und Veröffentlichungen zu allen möglichen gesellschaftlichen Themen sieht Fischler eine verbindende Absicht: Die Bertelsmann-Stiftung sei eine Denkfabrik, um die Gesellschaft wie ein Unternehmen zu organisieren.

Die Wohlstandsgesellschaft sei am Ende, findet die Bertelsmann-Stiftung und bietet auch gleich Rezepte für eine neue Gesellschaftsformierung an. So seien alle Bereiche der berühmt-berüchtigten Agenda 2010 von der Bertelsmann-Stiftung vorkonzeptioniert worden, betont Fischler. Auch Gesundheits- und Hochschulreformen hat die Stiftung ersonnen. Heribert Meffert von der Bertelsmann-Stiftung bezeichnet diese gar als »Identifikationspunkt der Reformarbeit«. Die meisten Projekte der Stiftung haben sich längst zu Netzwerken entwickelt, betrieben in Kooperationen mit Regierungen, Verbänden, Firmen und Initiativen.

Bildungspolitik als Schlüssel

Bis heute steht dabei die Bildungspolitik im Vordergrund: Rund die Hälfte des immensen Jahresbudgets gehen in diesen Bereich, den Mohn für den Schlüssel der Gesellschaftsreform ansieht. Ein großer Nutznießer ist das 1994 auf Initiative von Mohn gegründete Centrum für Hochschulentwicklung ?CHE?. Es wird zu 75 Prozent von der Bertelsmann-Stiftung finanziert. Das Institut mit 20 Mitarbeitern propagiere mehr Produktivität und Effizienz in Forschung und Lehre, wie Fischler heraustellt. Der höhere Output solle durch mehr Wettbewerb entstehen, auch zwischen den Professoren und Hochschulen. Die Idee der Elitehochschule hatte CHE bereits durchdacht, bevor sie die Bundesregierung publik machte.

Die Hochschulpolitik der rot-grünen Regierung sei mit einem Konzept angetreten, das die »Handschrift des CHE und der Bertelsmann Stiftung trug«, sagt Fischler. Mohns Motto lautet: Entfesselung der Hochschulen. Diese seien in erfolgsorientierte Organisationen zu verwandeln. CHE hat sich selbstverständlich auch zu den Studiengebühren positioniert: Abwägend zwar, aber keineswegs als Gegner (http://www.che.de/studiengebuehren.php?show=Position ). So resümiert CHE in einem Positionspapier: »Aus der Summe der unterschiedlichen Analysen leitet das CHE das Ergebnis ab, dass Studiengebühren vorteilhaft sein können«.

Beeindruckend auch der Urheberschaft der Bertelsmann-Stiftung bei der Agenda 2010. Bereits seit Anfang der 1990er Jahre drängte die Stiftung zu neoliberalen Reformen und empfahl die Abschaffung der Arbeitslosenversicherung. Forderungen, die unter dem ehemaligen CDU-Arbeitsminister, dem »Herz-Jesu-Marxisten« Norbert Blüm nicht umgesetzt wurden. Erst der Sozialdemokrat Wolfgang Clement im Verein mit der Bundesregierung und der SPD und Grünen-Fraktion brachte es fertig, zumindest große Teile des Bertelsmann-Konzepts umzusetzen. Von September 1999 bis April 2003 förderte die Stiftung das Projekt »Reform der Arbeitslosen- und Sozialhilfe«. »Hier aber entstanden die Grundlagen für Hartz IV«, sagt Fischler.

Auch die Umstrukturierung der Bundesanstalt für Arbeit zur Bundesagentur gehe auf das Konto der Bertelsmann-Stiftung. Bereits 1995 startete das Projekt »Leistungsorientierte Führung in er Bundesanstalt für Arbeit«. Die Einführung der Job-Center und Personal-Service-Agenturen gehen auf die Bertelsmann Stiftung zurück, diesmal in Kooperation mit der Unternehmensberatung McKinsey. Das Konzept entwickelten beide Institutionen in Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Arbeit.

Inzwischen begleitet die Stiftung die »Erfolge« der Sozialreformen mit Rankings, in denen Industrienationen in ihrem Kampf gegen Arbeitslosigkeit verglichen werden oder Ämter auf ihre Wettbewerbsfähigkeit hin überprüft werden. Die politischen Folgen eines Konzepts, das bisher nur weitere Kosten für den Staat ? alleine Hartz IV wird in diesem Jahr die Staatskasse wohl mit rund 20 Milliarden Euro zusätzlich belasten statt Einsparungen zu bringen ? und mehr Druck auf Arbeitslose hervorbrachte, führt die rot-grüne Regierung zur Zeit geradewegs in Neuwahlen ? oder wie es Fischler formuliert: »Rot-Grün muss geradezu vor den Wählern flüchten«. Die Bertelsmann-Stiftung jedoch wird weiterarbeiten.

Bertelsmann ist kein SPD-Laden

Denn es ist ein Mythos, dass Bertelsmann und die Stiftung der SPD oder gar den Grünen nahe stünden. Große Teile ? viele Zuhörer fanden: zu große Teile ? des Vortrags verwendete Fischler darauf, den Zuhörern aufzuzeigen, warum sich historisch Bertelsmann und die SPD nähergekommen sind, letztlich sogar die SPD in Abhängigkeit von Bertelsmann geraten ist. Reinhard Mohn habe eben keine parteipolitischen Präferenzen, jedenfalls keine offensichtlichen. Er hat vielmehr ein wirtschaftliches Modell im Kopf, dass er in den USA kennengelernt hat, auf sein Unternehmen übertrug und mit dem er nun auch das ?Unternehmen Deutschland? wieder flott machen will. Und dieses Modell hebt darauf ab, zu privatisieren oder zumindest im staatlichen Bereich privatwirtschaftliche Leistungsbedingungen einzuführen. Unternehmerische Führungsmethoden müssten her.

Rot-grün habe eigentlich keine neoliberale Ausrichtung, sagt Fischler. Warum aber hat sich diese Bundesregierung dann so entscheidend von der Bertelsmann-Stiftung beraten lassen? Nun, Bertelsmann habe ein besonderes Geschick darin, andere dazu zu bringen, etwas zu tun, das sie nicht wirklich wollen, sagt Fischler. Die Expansion der heutigen Bertelsmann AG setzte nach ein paar krummen Geschäften während der NS-Zeit 1945 an. Nach und nach wurde aus dem provinziellen Verlag ein familiengeführtes Großunternehmen. Bekannt wurde Bertelsmann bundesweit durch den Lesering, der mit aggressiven Methoden ? Bertelsmann hatte in den 1950ern die meisten Prozesse wegen unlauteren Wettbewerbs, sagt Fischler ? in den Markt gedrückt wurde.

In den 1960er Jahren wurde der schnöde Standort Gütersloh mit Allerweltsliteratur um die Glitzerwelt Film ergänzt: Bertelsmann kaufte UfA und Constantin. 1969 dann folgte der Einstieg bei Gruner + Jahr, der damaligen Nummer zwei auf dem Printmedienmarkt. Damit war Bertelsmann an ?Stern?, ?Spiegel? und der ?Zeit? beteiligt. Keine ideologische Präferenz für kritische und liberale Medien, sondern der Versuch, dem Branchenriesen Springer Umsatz abzujagen, motivierte damals Mohn. So kam ihm auch die von der Linken geführte Anti-Springer-Kampagnen zu pass, weil sie einerseits den Springer-Konzern mürbe machte und andererseits für das eigene Geschäft die nötige mediale Ruhe zur weiteren Expansion herstellte. Denn da Bertelsmann an den »linken« Leitmedien ?Stern?,?Spiegel? und ?Zeit? beteiligt war, konnte der Konzern sich sicher sein, das ihm nicht unangenehm hinterher-recherchiert wurde.

Anfang der 80er entstand das Privatfernsehen, Bertelsmann erkannte den Wachstumsmarkt, wollte mitmischen. Die Kohlregierung hatte aber eher Verbindung zu Leo Kirch, der der CSU nahestand. So ging Bertelsmann den Umweg über RTL mit Sitz in Luxemburg und kaufte sich SPD-Politiker wie Manfred Lahnstein ein, um zumindest in SPD-regierten Ländern eine terrestrische Privatfernseh-Frequenz zu bekommen. Spätestens da galt Bertelsmann als SPD-Laden, sagt Fischler. Bertelsmann brauchte die SPD, um auf dem deutschen Medienmarkt zu wachsen. Aber die SPD »lehnte sich auch an den Konzern an«, findet Fischler. Denn wer große Medien hat, kann eine Partei auch schon mal ins rechte Licht setzen. So seien Schröder und Fischer lange Zeit Lieblinge der sogenannten ?Hamburger Kumpanei?, also ?Stern?, ?Spiegel? und der ?Zeit? gewesen.

SPD zu stark angelehnt

Diese historische Verquickung zwischen dem Bertelsmann-Konzern, der die SPD benutzte, um dicker ins Geschäft zu bekommen, und der SPD, die wiederum aus Eigeninteresse auf gefällige Publizität in den Bertelsmann-Medien setzte, hätte in der Gegenwart schließlich dazu geführt, dass die SPD eine »große Neigung verspüre, bei Bertelsmann die Wünsche sehr genau zu berücksichtigen«. Seit die Bertelsmann-Stiftung den Konzern ergänzt, hat Bertelsmann ein weiteres publizistisches Instrument, eigene Konzepte populär zu machen ? auch wenn das bei den Sozialreformen deutlich misslang.

Fischler bringt es für sich klar auf den Punkt: Die eigentliche Idee der Sozialreformen komme nicht von der Bundesregierung, sondern von der Bertelsmann-Stiftung mit ihrem Oberhaupt Reinhard Mohn. Diese habe die Bundesregierung mit Popularität und Konzepten ausgestattet. »Man konnte die SPD dazu bringen, diese Reformen zu realisieren«, sagt er, und fügt an: »Mit der CDU wäre das nicht gegangen«. »Stellen sie sich einmal vor, wie viele Montagsdemonstrationen es dann gegeben hätte?«

Das Buch zum Thema: Frank Böckelmann, Hersch Fischler: Bertelsmann. Hinter der Fassade des Medienimperiums. Eichborn Verlag 2004, ISBN: 3-8218-5551-7

Mehr Infos zur Public Domain-Reihe des FoeBuD: http://www.foebud.org/pd/

Manfred Horn

WebWecker, Bielefeld, 08. Juni 2005
Original: http://www.webwecker-bielefeld.de/?14962

© WWW-Administration, 08 Mar 06