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Wir haben ein Recht aufs Flüstern

Phil Zimmermann, der Erfinder des weit verbreiteten Verschlüsselungsprogramms PGP, über Privatsphäre im Internet, Spracherkennung und die Gefahr von zuviel Macht

Zum Hintergrund

Phil Zimmerman com!: Herr Zimmermann, verschlüsseln Sie eigentlich jede E-Mail, die Sie verschicken?
Zimmermann: Nein, dazu bin ich zu faul.

com!: Dann ist ihr Programm PGP - Pretty Good Privacy - ja ziemlich nutzlos.
Zimmermann: Das würde ich nicht sagen. Während der Ermittlungen gegen mich habe ich es zum Beispiel gut brauchen können, um mit meinen Anwälten zu kommunizieren. Ein Problem ist allerdings, daß es sich bei PGP um ein separates Programm handelt, das in der Regel nicht in die Mail-Software integriert ist. Wir haben gerade eine Programmbibliothek entwickelt, auf die Mailer, Browser und andere Internet-Werkzeuge zugreifen können. So lassen sich Nachrichten dann auf einen Mausklick hin automatisch codieren und decodieren, was sicherlich zu einem stärkeren Gebrauch von Verschlüsselung führen wird.

com!: Viele Leute fragen sich allerdings: Wozu überhaupt verschlüsseln, wenn ich nichts zu verbergen habe?
Zimmermann: Wer so denkt, sollte auch niemals Briefumschläge verwenden, sondern immer nur auf Postkarten schreiben. Warum verschicken wir denn Liebesbriefe in Umschlägen? Oder Briefe an Geschäftspartner und an die Bank - wenn wir nichts zu verbergen haben?

com!: Briefumschläge lassen sich leicht über Wasserdampf öffnen - anders als mit PGP verschlüsselte Mails, die ja sogar den Geheimdiensten Kopfzerbrechen bereiten.
Zimmermann: Das Öffnen von Briefumschlägen setzt aber gezielte Bemühungen voraus. Wenn man jedermanns Briefe kontrollieren wollte, müßte man die Hälfte der Bevölkerung einstellen, um die Post der anderen Hälfte zu öffnen. Nebenbei bemerkt ein guter Weg, Vollbeschäftigung zu erreichen.
In der elektronischen Welt ist das anders: Man kann durchaus sämtliche E-Mails automatisch scannen. Zig Millionen Stück jeden Tag - das ginge nicht einmal mit Postkarten. Wir sollten uns unsere Privatsphäre auch bei elektronischer Post bewahren. Der einzige Weg dazu ist Verschlüsselung. Ich habe auch dann das Recht, Ihnen etwas ins Ohr zu flüstern, wenn Ihr Ohr tausend Meilen weit entfernt ist.

com!: Andererseits hat der Staat die Aufgabe, seine Bürger vor Verbrechen zu schützen, und durch den Gebrauch von sicheren Verschlüsselungsmethoden - so argumentieren Polizei und Geheimdienste - wird ihm diese Aufgabe deutlich erschwert.
Zimmermann: Es wäre ein leichtes, eine Gesellschaft ohne Verbrechen zu schaffen. Wir bräuchten nur Videokameras in jedem Zimmer anzubringen und sie alle mit der nächsten Polizeiwache zu verbinden. Wir könnten Abhöreinrichtungen in unseren Häusern und Autos montieren, und man könnte jeden verpflichten, einen Positionsgeber mit sich herumzutragen, so daß die Polizei ständig weiß, wo wir uns gerade aufhalten. Niemand würde in einer solchen Gesellschaft leben wollen - aber es gäbe darin kein Verbrechen.

com!: In den Augen Ihrer Gegner bedeutet die Verschlüsselung einen Rückschritt - schließlich konnten die Behörden bisher jede Kommunikation überwachen.
Zimmermann: In der Regel kommt doch jeder technologische Fortschritt den Gesetzeshütern zugute. Die Erfindung der Kreditkarte zum Beispiel führt dazu, daß immer mehr Ausgaben nicht mit anonymem Bargeld getätigt werden, sondern mit verfolgbaren Transaktionen. Und unsere Konversation läuft nicht mehr von Angesicht zu Angesicht ab, sondern in leicht überwachbaren elektronischen Kanälen. In ein paar Jahren gibt es keine herkömmliche Post mehr. Dann ist alles E-Mail.
All das hilft der Polizei. Die Kryptografie ist der einzige Fall, in dem nicht der Staat, sondern wir, die Bürger, vom Fortschritt profitieren. Die Behörden haben keinen Grund zum jammern.

com!: Sie tun so, als wollte die Regierung jeden abhören. Dabei geht es doch - zumindest in Demokratien wie den USA - nur um ganz spezielle Fälle mit richterlicher Anordnung.
Zimmermann: In den Vereinigten Staaten hat das FBI kürzlich die Telefongesellschaften aufgefordert, ihnen die technische Möglichkeit zu verschaffen, ein Prozent aller Telefongespräche automatisch zu überwachen. Ein Prozent! Das ist eine tausendfache Steigerung gegenüber der bisherigen Abhörpraxis. Es gibt dafür auch gar nicht genug FBI-Agenten. Der einzige Weg, das zu schaffen, ist automatische Spracherkennung. Das ist ein Orwellscher Alptraum, wie "1984". Wir können das nicht zulassen.

com!: Wie gut funktioniert Spracherkennung per Computer denn inzwischen?
Zimmermann: ie Telefongesellschaft Sprint bietet zum Beispiel eine spezielle Telefonkarte für Ferngespräche an. Damit rufen Sie einen Computer an und sagen zum Beispiel "Call office" oder "Call home". Die Software erkennt Ihre Stimme und wählt die gespeicherte Nummer. Das ist kein Laborexperiment, sondern wird täglich von Millionen Menschen benutzt. Die NSA ...

com!: ... die National Security Agency, der für Abhörmaßnahmen und Verschlüsselung zuständige US-Geheimdienst ...
Zimmermann: ... hat Technologien, die weit fortgeschrittener sind. Ein Freund von mir hat mit einem Programm gearbeitet, das die NSA der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt hat. Er sagte mir, diese Software ist besser als alle Spracherkennung, die er bisher gesehen hat. Sie bewältigt flüssiges Sprechen und arbeitet sprecherunabhängig löst also die härtesten Probleme auf diesem Feld. Und das ist Software, die die NSA veröffentlicht hat - liegt also mehrere Stufen unter dem, was sie intern benutzt.

com!: Also brauchen wir ein PGP fürs Telefon?
Zimmermann: Das gibt es schon. Wir bieten PGPfone zum kostenlosen Download auf unserer Homepage an. Das macht aus einem PC oder Macintosh ein sicheres Telefon. Man spricht in das Mikrofon, die Software komprimiert das Signal, verschlüsselt es und schickt es durch ein Modern zu einem anderen Computer, der dieselbe Software verwendet und den Prozeß wieder umkehrt.

com!: Die meisten Leute benutzen allerdings keinen PC oder Macintosh zum Telefonieren, sondern ein Telefon.
Zimmermann: Das ist wahr. Aber die Telefontechnologie verändert sich. Mit der vollständigen Digitalisierung der Netze wird Verschlüsselung sehr einfach und billig werden. Die Frage ist nur: Werden die digitalen Telefone der Zukunft für die Verschlüsselung Verfahren verwenden, die die Regierung knacken kann, oder werden die Bürger ihre eigenen Schlüssel kontrollieren können? Mir wäre die letzte Variante viel lieber.

com!: Ihre Regierung dagegen drängt mit dem sogenannten Clipper-Chip ja darauf, daß ihr stets ein Hintertürchen offen bleibt.
Zimmermann: Der Clipper-Chip war ein politischer Fehler. Die Idee war, daß dieser Chip in alle Telefone eingebaut werden sollte, die Verschlüsselung verwenden wollen. Jeder Chip hat einen individuellen Schlüssel, der bei der Herstellung in ihn einprogrammiert wird. Die Regierung wollte ein Monopol auf die Herstellung dieser Chips behalten und von jedem Schlüssel eine Kopie behalten, die für den Fall einer Überwachung - in einer riesigen Datenbank gespeichert werden sollte. Die Regierung war sehr überrascht festzustellen, daß die Leute diese Vorstellung nicht mochten. Seitdem haben sie verschiedene Alternativen vorgestellt, die aber nur Varianten derselben Sache sind.

com!: Sie klingen so, als ob Sie nicht in einer Demokratie lebten, sondern mitten im Faschismus.
Zimmermann: Ich glaube, wenn man eine Infrastruktur aufbaut, die auf optimale Überwachung ausgerichtet ist, dann führt man damit auch eine gute Regierung in Versuchung. Zuviel Macht korrumpiert.
Sogar, wenn man das nicht glaubt, besteht immer noch die Gefahr, daß in der Zukunft eine bösartige Regierung an die Macht kommt. Gelegentlich passiert das sogar in Demokratien. Normalerweise kann man sie mit den nächsten Wahlen wieder loswerden, aber wenn diese Regierung eine Infrastruktur erbt, mit der sie ihre politischen Gegner bis ins letzte Detail überwachen kann - ihre Finanzen, ihre Probleme, ihre Kommunikation, ihre Beziehungen, jede kleine Bewegung - dann könnte das die letzte Regierung sein, die wir jemals gewählt haben.

com!: Warum haben Sie Ihr Programm eigentlich Pretty Good Privacy genannt - also "Ziemlich gute Geheimhaltung"? Das ist nicht gerade die Euphorie, die man sonst von Amerikanern kennt.
Zimmermann: Ich ziehe Understatement vor. PGP ist immerhin gut genug, die Regierung in Aufregung zu versetzen. Frühere Programme konnten das nie. Das sagt doch einiges über seine Stärke aus.

com!: Aber was ist, wenn die Regierung PGP längst geknackt hat und der Clipper-Chip oder - das Verfahren gegen Sie nur Ablenkungsmanöver waren, um die Benutzer des Programms in Sicherheit zu wiegen?
Zimmermann: Klar, das ist möglich. Ich behaupte ja auch nicht, daß PGP unknackbar ist. Ich kann nur sagen, daß ich die sichersten Verschlüsselungsalgorithmen verwendet habe, die in der zivilen akademischen Literatur zu finden waren. Einige von ihnen verwendet sogar die US-Regierung, um ihr Atomwaffenarsenal zu schützen. Kürzlich habe ich mit einern leitenden Kryptografen der NSA gesprochen. Selbst er benutzt PGP zuhause.

Oliver Buschek - oliver@cube.net

com!, Januar 1997

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