Die Bürgerrechtsorganisationen Netzwerk Neue Medien, STOP1984 und FoeBuD kritisieren anlässlich des Europäischen Polizeikongress Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble. Sie meinen, dass Schäubles Daten-Exhibitionismus die Sicherheit der Europäer gefährde.
In ihrer Stellungnahme erklären die Bürgerrechtsorganisationen: Laut Pressemitteilung vom 26.Januar will der Bundesinnenminister den USA verstärkten Zugriff auf persönliche Daten von Deutschen gewähren. Diesen Daten-Ausverkauf lehnen wir entschieden ab. Stattdessen müssen sich Deutschland und die EU dafür einsetzen, dass Daten von Europäern in den USA gesetzlich geschützt werden und dass wir vor den amerikanischen Gerichten gegen Missbrauch und Fehlentscheidungen der amerikanischen Sicherheitsbehörden und Geheimdienste klagen können. Wenn Bundesinnenminister Schäuble ein Abkommen über einen verstärkten Austausch personenbezogener Daten mit den USA anstrebt, dann ignoriert er, dass die USA alle ihnen übermittelten Informationen dazu nutzen, um
* Europäer als vermeintliches Sicherheitsrisiko einzustufen, * Europäer bei der Einreise festzuhalten und zu vernehmen oder ihnen die Einreise gänzlich zu verweigern, * Europäer im Ausland aufzugreifen und sie in Geheimgefängnisse wie Guantanamo zu verbringen, wo sie zeitlich unbeschränkt ohne Anspruch auf ein gerichtliches Verfahren festgehalten und unter Anwendung von Foltermethoden verhört werden, * an Europäern die Todesstrafe zu vollstrecken, * die elektronische Kommunikation (Telefon, E-Mail, Internet) von Europäern mithilfe des weltweiten Abhörnetzwerks ECHELON dauerhaft zu überwachen und zu analysieren, * Geldüberweisungen von Europäern zu überwachen (SWIFT) und Bankkonten von Europäern einzufrieren, * die erlangten Informationen quasi lebenslänglich auf Vorrat abzuspeichern, um sie den Betroffenen bei Bedarf auch nach 30 oder 50 Jahren noch vorhalten zu können, * die erlangten Informationen freizügig an andere Behörden und Geheimdienste weiterzustreuen, innerhalb der USA wie auch an ausländische Unrechtsstaaten (z.B. Philippinen).
Kein gesetzlicher Schutz personenbezogener Daten in den USA In den USA gibt es keinen gesetzlichen Schutz personenbezogener Daten und keine gerichtliche Kontrolle der Verarbeitung personenbezogener Daten von Europäern. Die Verwendung personenbezogener Daten ist weder sachlich noch zeitlich oder mengenmäßig nennenswert begrenzt. Vorschriften über den Umgang von Geheimdiensten mit den Daten von Nichtamerikanern gibt es nicht oder sie werden geheim gehalten. Die wenigen vorhandenen Schutzgesetze sind auf amerikanische Staatsangehörige beschränkt. Mit dem Argument der nationalen Sicherheit nimmt der Präsident der USA für sich in Anspruch, Entscheidungen frei von jeder Kontrolle treffen zu dürfen. Der amerikanische Geheimdienst CIA führt eine Liste angeblicher Terrorverdächtiger, in welcher mehr als 190.000 Personen aufgeführt sind. Daneben haben die USA unzählige Menschen auf Flugverbotslisten gesetzt. Zehntausende Einträge waren erwiesenermaßen falsch. Man kann kein Gericht anrufen, um gegen die willkürliche Eintragung auf einer solchen Liste vorzugehen. Sogar der amerikanische Senator Edward Kennedy stand im Jahr 2004 auf einer Flugverbotsliste und hatte große Schwierigkeiten, seinen Namen wieder löschen zu lassen. Die amerikanischen Behörden und Geheimdienste beobachten und infiltrieren friedliche Bürgerrechts-, Umwelt-, Friedens- und Glaubensgruppen (darunter ACLU, Greenpeace und 28 weitere Gruppen und Aktivisten). In den USA kann schon eine kritische Meinungsäußerung (z.B. über die Politik von Präsident Bush, über den Irakkrieg oder über Guantanamo) dazu führen, dass Europäer als "Sicherheitsrisiko" eingestuft werden. Schon wer ein T-Shirt mit kritischer Aufschrift trägt oder regierungskritische Bücher bestellt hat, muss mit drakonischen Maßnahmen rechnen. Es kann nicht sein, dass wir den USA Daten übermitteln, damit sie uns noch weiteren solchen Nachteilen aussetzen können. Eine internationale Vergleichsuntersuchung von Privacy International aus dem Jahr 2006 kommt zu dem Ergebnis, dass das Datenschutzniveau der USA etwa dem von Thailand und den Philippinen entspricht. Es gebe in den USA "wenige Sicherungen und eine verbreitete Überwachungspraxis". In keinem anderen Land sei der gesetzliche Schutz persönlicher Daten und die unabhängige Kontrolle der Datenverarbeitung so gering wie in den USA. Vor diesem Hintergrund ist es ein Verrat europäischer Interessen, wenn der deutsche Innenminister unsere Daten an Staaten wie die USA weitergeben will. Wir Europäer können durch einen solchen Austausch nur verlieren. Solange die USA die Daten von Europäern nicht gesetzlich schützen und es dort keinen Rechtsschutz für Nichtamerikaner gibt, darf es keine Übermittlung europäischer Daten in die USA geben. Dies verbietet auch die Europäische Menschenrechtskonvention, die uns vor der Übermittlung unserer Daten an unsichere Drittstaaten schützt. Um die USA zur Einführung ausreichender Schutzvorkehrungen zu bewegen, kommt eine Aufhebung der Visumsbefreiung für US-Amerikaner, der Entzug von Landerechten für amerikanische Fluggesellschaften und ähnliche Mittel in Betracht, welche die USA in vergleichbaren Situationen in der Vergangenheit ihrerseits ohne Bedenken gegen Europäer eingesetzt haben. Es gibt auch kein berechtigtes Bedürfnis nach einem verstärkten Datenaustausch. Schon heute bestehen Rechtshilfeabkommen zwischen der EU sowie Deutschland und den USA, welche die Zusammenarbeit im Rahmen konkreter Ermittlungsverfahren ermöglichen. Schon diese Abkommen versäumen es, die Sicherheit der betroffenen Europäer zu gewährleisten, weil die USA mit den erhaltenen Daten beliebig verfahren können und die Verwendung der Informationen weder gerichtlich noch von einem unabhängigen Datenschutzbeauftragten kontrolliert wird. Wie verwahren uns dagegen, dass der Bundesinnenminister unsere Grundrechte weiter ausverkauft. Wir fordern den Bundesinnenminister stattdessen auf, sich im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft dafür einzusetzen, dass Daten von Europäern in den USA endlich gesetzlich geschützt werden und dass wir vor den amerikanischen Gerichten gegen Missbrauch und Fehler der amerikanischen Sicherheitsbehörden und Geheimdienste vorgehen können. Diese rechtsstaatlichen Mindeststandards für Europäer und andere Nichtamerikaner müssen in den USA allgemein eingeführt werden, auch für Daten, welche die USA selbst erheben. Schließlich dürfen Verträge mit den USA und anderen Staaten, die in unsere Grundrechte eingreifen, nur mit vorheriger parlamentarischer Zustimmung beschlossen werden. Dass dieses demokratische Grundprinzip gegenwärtig nicht gewährleistet ist, muss bei den Menschen auf Unverständnis stoßen und die Politikverdrossenheit der Menschen weiter bestärken.
Quellen: Netzwerk Neue Medien e.V. (NNM), STOP1984, Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs e.V. (FoeBuD)
ast
praxis Datenschutz Praxis, Kissing, 12. Februar 2007
Original: http://www.interest.de/DP/news.php?msg=2757&nsuche=&s=0&n=30&ID=077170670012