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Streit um EU-Volkszählung 2011 in Deutschland

Für den EU-weiten "Zensus 2011" werden neben der Einwohnerzahl auch Daten zu Arbeit oder Wohnverhältnissen der Bürger erhoben. Als Quelle dienen vor allem Behördenregister. Datenschützer wehren sich gegen das Vorhaben.

Eine Verordnung der Europäischen Union von 2008 verpflichtet alle Mitgliedsstaaten der EU Informationen über ihre Bevölkerung zu sammeln und 2011 zu liefern. Es gibt einen ausführlichen Katalog an Merkmalen, die die Staaten in Volkszählungen erheben sollen. Dazu gehören der Familienstand, die Arbeit oder die Größe des Haushalts.

Deutschland will statistische Daten auffrischen

Die politischen Entscheidungsträger Deutschlands wollen die Daten der amtlichen Statistik über Größe, Wohnsituation oder Arbeit der Bevölkerung auch im eigenen Interesse auffrischen. Die letzten Volkszählungen fanden noch im geteilten Deutschland statt:

1981 in der Deutschen Demokratischen Republik, 1987 folgte eine Zählung in der Bundesrepublik Deutschland. Seitdem hat sich die Bevölkerungsstruktur stark verändert. Der größte Wandel trat mit der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 ein. Größere Veränderungen brachte auch die EU-Osterweiterung. Doch als Grundlage seiner Berechnungen dienen dem Statistischen Bundesamt noch immer die Daten aus den beiden getrennten Volkszählungen Ost (1981) und West (1987).

Das Statistische Bundesamt Deutschlands erhebt, sammelt und analysiert Daten für die Bundesregierung, das deutsche Parlament und für Bundesministerien. Sein Hauptsitz ist in Wiesbaden. Die Bevölkerungsstatistik müsse aktualisiert werden, denn diese Daten seien die "Grundlage für politische und wirtschaftliche Entscheidungen, etwa für die gerechte Verteilung von Steuergeldern zwischen den Gemeinden", so ein Sprecher des Bundesministeriums des Innern in Berlin, welches die Dienstaufsicht der amtlichen Statistik führt. Mit den Geldern werden zum Beispiel Bildungsstätten, Sozialeinrichtungen, Straßen und Versorgungsleitungen finanziert.

Informationen aus dem Register - die meisten Bürger werden nicht persönlich befragt

Am 16. Juli 2009 trat das deutsche Zensusgesetz in Kraft, welches die Durchführung und den Fragenkatalog des "Zensus 2011". Die große Neuerung besteht darin, dass die Daten in erster Linie aus den Registern der Meldebehörden und der Bundesagentur für Arbeit erhoben werden. Darüber hinaus wird dann noch ein Drittel der Bevölkerung direkt befragt. Dazu zählen beispielsweise alle Immobilienbesitzer. Einen Fragebogen per Post bekommen zudem weitere zehn Prozent aller Bürger, die stichprobenartig ausgewählt werden.

Datenschützer halten "Zensus 2011" für verfassungswidrig

Ein breites Bündnis von Datenschützern in Deutschland sieht den Datenschutz auch beim "Zensus 2011" stark gefährdet und gehen auf die Barrikaden. Der "Arbeitskreis Zensus" hält die Volkszählung in ihrer geplanten Form für verfassungswidrig, da sie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletze. Dieses Recht war 1983 im Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts geschaffen worden. Der Arbeitskreis hat am 16. Juli mit 13.000 Stimmen Beschwerde gegen die Volkszählung beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingereicht.

Der "Arbeitskreis Zensus" ist ein bundesweiter Zusammenschluss von Bürgerrechtlern, Datenschützern und Internetnutzern, der sich schon als "Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung" erfolgreich gegen die Protokollierung der Telekommunikation durch den Staat und daher für einen größeren Datenschutz eingesetzt hat.

An der Verfassungsbeschwerde beteiligt ist auch der "Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs" (FoeBuD) in Bielefeld. Dieser setzt sich seit 1987 für Bürgerrechte, ungehinderte Kommunikation und Datenschutz ein. "Wir kritisieren, dass zweckgebundene Daten weitergegeben und zweckentfremdet genutzt werden sollen", sagt etwa ein Mitgründer des FoeBuD, der als Netzaktivist unter dem Pseudonym "padeluun" auftritt. Es wäre ein großes Problem, wenn die umfangreichen Daten gebündelt würden und eine Ordnungsnummer bekämen. Die Datenbündel könnten dann eindeutig Personen zugeordnet werden.

Die Frage nach der Religion steht ebenfalls im Zentrum der Kritik. So wisse man nicht, was Deutschland mit differenzierten Angaben zu Glaubensfragen – etwa, ob Befragte schiitischer, sunnitischer oder alevitischer Muslime seien - anfangen wolle. Abweichend von den von der EU geforderten Merkmalen wird in Deutschland nämlich auch nach der Religion gefragt. Dies ist allerdings die einzige Frage, deren Beantwortung freiwillig bleibt. Bei allen anderen besteht Auskunftspflicht.

Verantwortliche wollen Datenschutz gewährleisten

Den Kritikern setzen die Verantwortlichen entgegen, dass der Datenschutz beim "Zensus 2011" sehr wohl gewährleistet sei. Die Arbeit der Statistik-Ämter der Bundesländer, welche die Erhebungen durchführen, unterliege dem "Statistikgeheimnis". Diese Datenschutz-Bestimmung ist Teil des erwähnten Volkszählungsurteils von 1983, wonach die Daten nicht weitergegeben werden dürfen.

Für die Datenübertragung werden Verschlüsselungsverfahren angewendet, die den höchsten Sicherheitsstandards entsprechen. Zwar dürften die Daten für eine Dauer von bis zu vier Jahren gespeichert werden, aber die "Ordnungsnummern bleiben innerhalb des statistischen Bereichs und stellen keine Personenkennziffern dar", versichert Annette Pfeiffer, Sprecherin des Zensusprojekts im Statistischen Bundesamt.

Das Amt macht derzeit kräftig Werbung für den "Zensus 2011". Auf seinen Internetseiten wird den Bürgern die Notwendigkeit der Volkszählung erklärt. Ab dieser Woche kann auch in einem Gesprächsportal diskutiert werden. Laut Pfeiffer ist dies jedoch keine Reaktion auf die Kritik der Datenschützer. Man wolle deutlich machen, dass der Zensus "die Vorgaben des Volkszählungsurteils von 1983 erfüllt".

Gute Argumente auf beiden Seiten, aber was ist mit Europa?

Aus Sicht der Befürworter des "Zensus 2011" würde eine herkömmliche direkte Befragung aller Bürger nicht nur diese, sondern auch die Staatsfinanzen sehr belasten. Ein fragliches Argument aus Sicht der Datenschützer. Andererseits ist der Datenschutz in Deutschland gesetzlich viel stärker verankert als in anderen europäischen Ländern, und auch in diesen wird es 2011 eine Volkszählung geben. Außerdem ging die Initiative nicht von Deutschland aus, sondern von der EU, die den ausführlichen Fragenkatalog erstellte. Die Frage ist also auch, ob sich die Kritik der Datenschützer nicht ebenfalls an die EU richten sollte.

Lena Retterath

Deutsche Welle, Bonn, 18. August 2010
Original: http://www.dw-world.de/dw/article/0,,5909315,00.html

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