Der "blaue Riese" scheint übermächtig: Mit einer Milliarde Nutzern ist Facebook das weltweit einflussreichste soziale Netzwerk. Doch zum Datenstaubsauger aus Kalifornien gibt es auch Alternativen.
Die Daten seiner Nutzer sind Facebooks Kapital. Das ist bekannt. Dass Facebook vom Verkauf dieser persönlichen Daten lebt, weiß man auch. Datenschützer kritisieren seit Jahren die "unstillbare Daten-Sammelwut" des Konzerns, und auch die Facebook-Nutzer halten wenig von den undurchsichtigen Privatsphäre-Einstellungen und AGBs. Offen war jedoch bisher, wer sich eigentlich für diese Daten interessiert. Bis bekannt wurde, dass die NSA direkten Zugriff auf Facebook hat. Umso erstaunlicher, dass dennoch so viele ihrem schönen blauen Wunderland treu bleiben.
Vor allem Facebooks Monopolstellung macht es konkurrierenden Angeboten schwer. Hinzu kommt Facebooks zentralistische Struktur: Sämtliche Daten laufen zentral über firmeneigene Server. Das Unternehmen entscheidet allein, welche Algorithmen, Regeln und Moralvorstellungen es verwendet. "Bei Facebook gilt nicht das deutsche Grundgesetz. Bei Facebook gilt die Allgemeine Geschäftsbedingung. Und das ist allgemeine Willkür," sagt Markus Beckedahl, vom Verein Digitale Gesellschaft e.V.
So ist mit Facebook ein eigener Raum im Netz entstanden, eine Art "Gated Community". 2011 verlieh die Bürgerrechtsinitiative "Digitalcourage" deshalb auch einen "Big Brother Award" an Facebook, als Negativpreis für die emsigsten Datensammler.
Brauchen wir überhaupt soziale Netzwerke? Welche Bedürfnisse erfüllen sie? Auf Plattformen wie Facebook, so Mediensoziologe Dr. Jan-Hinrik Schmidt, könne sich jeder seine "eigene persönliche Öffentlichkeit" schaffen, und "sein eigenes personalisiertes Informationsmenü zusammenstellen. Sowohl als Sender, als auch als Empfänger."
Das Prinzip Facebook ist also gefragt. Es gibt zwar bereits konkurrenzfähige dezentrale Netzwerke. Ihnen allen fehlt jedoch die "kritische Masse". Der Wert eines Netzwerkes, erklärt Schmidt, hinge entschieden davon ab, wen oder wieviele Leute man dort erreichen könne.
Es hat einige Aktionen gegeben, um Facebook-Nutzer woanders hinzulocken, doch nicht einmal der öffentlichkeitswirksame "Quit-Facebook-Day" (am 31. Mai 2010) konnte größere Migrationsbewegungen auslösen.
Einer echten Alternative zu Facebook oder Google Plus müssten die Nutzer nicht nur vertrauen, sie sollte auch dezentral organisiert und dennoch benutzerfreundlich sein. Ein Grundkonflikt: Wirklich sicher vor Spionage ist nur, wer seine Daten auf eigenen Servern verwaltet und speichert und am besten zusätzlich verschlüsselt. Doch diesen Aufwand können oder wollen viele Anwender (noch) nicht aufbringen. Wie lassen sich also Sicherheit und Nutzerfreundlichkeit verbinden? Bei dieser Frage setzen die alternativen Netzwerke an.
Bei Diaspora werden die Daten der Nutzer nicht zentral auf einem Server gespeichert, sondern auf verschiedene Server ("Pods") verteilt. Das kann der eigene Rechner sein, der von Freunden oder anderen vertrauenswürdigen Anbietern. Allerdings liegen hier sämtliche Daten eines Profils offen und unverschlüsselt auf dem Server. Der Nutzer sollte seinem Server-Betreuer also vertrauen. Funktionell kann Diaspora mit Facebook auf jeden Fall mithalten.
Ähnlich sieht es aus bei Friendica. Hier gibt es jedoch eine aktivere Entwickler-Community, die auf weitere nützliche Features hoffen lässt, wie etwa der Möglichkeit, sich mehrere Identitäten zuzulegen oder mit Kontakten aus anderen Netzwerken zu verbinden.
Eine gute Idee ist der Ansatz von Social Swarm ("sozialer Schwarm"), das alle kleineren Netzwerke untereinander verbinden will, durch offene Systeme und Schnittstellen. Dann wäre es egal, welche Plattform ein Nutzer wählt. "Wie bei der E-Mail, wo auch jeder sich seinen eigenen Provider aussuchen kann und man trotzdem alle erreicht", sagt Leena Simon, die für die Initiative "Digitalcourage" das Projekt betreut.
Vielversprechend ist auch das Projekt SecuShare. Ein dezentrales Netzwerk soll entstehen, das kinderleicht zu bedienen ist, aber auch persönliche Daten sicher schützt. Hierfür hat ein Spezialisten-Team eine komplett neue technische Grundstruktur programmiert. Das Projekt ist hochambitioniert - doch leider, wie alle anderen kleineren Projekte, chronisch unterfinanziert.
Und wie wäre es mit einem Versuch, Facebook selbst zu ändern, etwa mit einer Datenschutzreform im EU-Parlament? Netzaktivist Markus Beckedahl nennt es "absurd", wenn deutsche Politiker einerseits über Facebook und Google schimpfen. "Aber dann, wenn sie konkret etwas tun können, blockieren sie nur und wollen die EU aufhalten".
Kopfzerbrechen bereiten dürfte den Facebook-Strategen aber ein ganz anderes Problem. Denn gerade Jüngere finden die Plattform nicht mehr attraktiv. Sie sind dort nämlich längst nicht mehr unter sich. "Da sind die eigenen Eltern", so Mediensoziologe Schmidt. "Das eigentlich Spannende, das Besetzen von eigenen Räumen, das wird nicht mehr auf Facebook laufen."
Und so könnte es auch ohne PRISM und Überwachungsangst bald dazu kommen, dass andere soziale Netzwerke Facebook ernsthaft Konkurrenz machen.
Nika Bertram
Deutsche Welle, Bonn, 28. Juli 2013
Original: http://www.dw.de/facebook-flucht-aber-wie/a-16962659