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Online- gegen Offline-Proteste

Der Widerstand gegen die geplante Internetzensur wegen Kinderpornografie organisiert sich über Blogs und Twitter. Befürworter des Gesetzes sammeln offline Unterstützung.

Der Protest gegen die von der Bundesregierung geplanten Kinderpornografie-Netzsperren schlägt hohe Wellen. „Eine lautstarke und gut vernetzte Gruppe hat es durch die Mechanismen des Internet geschafft, Bedenken gegen das Gesetz zu artikulieren, dass der falsche Eindruck entstand, es handele sich um eine Bevölkerungsmehrheit“, heißt es auf der Web-Seite der Deutschen Kinderhilfe, die sich explizit für den Gesetzentwurf der Bundesregierung einsetzt.

Der Widerstand gegen das Gesetz hatte alle Beteiligten überrascht – so haben inzwischen über 90 000 Bürger eine Online-Petition an den deutschen Bundestag unterschrieben. Die Petition spricht sich gegen die geheimen Internetsperrlisten des Bundeskriminalamts aus. Zwar hatten sich von Beginn an Bürgerrechtsorganisationen wie der Chaos Computer Club (CCC) und der Bielefelder „Foebud“ (Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs) gegen das Gesetz gestellt – aber die Vereine haben nur ein beschränktes Mobilisierungspotenzial.

Organisation über Twitter

Ein Blick in den Kurznachrichtendienst Twitter offenbart, wie die große Mobilisierung zustande kommt. Unter dem Stichwort „Zensursula“ rufen Hunderte deutsche Twitter-Nutzer zum Unterzeichnen der Petition auf und tragen neue Informationen blitzschnell zusammen. Auch Blogs spielen eine große Rolle: Hier werden neue Aktionsideen gesammelt. Die meisten Beiträge gehen freilich unter – aber wenn ein Blogger einen Nerv trifft, wird die Botschaft flugs weitergetragen.

Die Aufmerksamkeit konzentriert sich vor allem auf Personen. Da komplizierte technische Zusammenhänge wie DNS-Blockaden nicht für prägnante Botschaften taugen, hatten sich die Sperrgegner zuerst auf Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen eingeschossen, deren Bild zum Kampagnenmotiv wurde. Auch Bundeswirtschaftsminister Guttenberg, der jetzt für das geplante Gesetz verantwortlich ist, bekommt sein Fett weg. Sein Abbild wird mit der Unterschrift „Ahnungslos, aber betroffen“ verbreitet und sorgt für Schadenfreude in der Blogger-Gemeinde.

Über Mund-zu-Mund-Propaganda werden immer neue Initiativen beworben. So hatte der Berliner Unternehmer Hanno Zulla eine Erklärung online gestellt, in der sich Eltern in IT-Berufen gegen Netzsperren und für eine bessere Ausstattung der Polizei aussprechen. „Internetsperren sind einer Demokratie unwürdig“, lautet das Fazit des Aufrufs, der innerhalb weniger Tage von über 420 „IT-Eltern“ unterschrieben wurde.

Außen vor bleiben Online-Netzwerke. Zwar haben die großen Parteien Anfang Mai auf StudiVZ eine „Wahlzentrale“ eröffnet. Doch die Seiten dienen eher der Selbstdarstellung der Parteien und regen wenig zur Diskussion an. Auch auf Facebook ist eine Gruppe gegen die Sperrungspläne gegründet worden, doch auch hier sind kaum Aktivitäten zu beobachten.

Offline gegen Online

Inzwischen ist ein kurioser Wettbewerb um öffentliche Unterstützung ausgebrochen. So hat die Deutsche Kinderhilfe eine Kampagne für die Pläne der Bundesregierung gestartet. Die Organisation angekündigt, noch im Mai die Petition der Sperrgegner zu übertreffen und 100 000 Unterschriften für die Pläne der Bundesregierung zu sammeln – um damit den überraschenden Petitions-Erfolg der Sperr-Gegner zu übertreffen.

Statt selbst eine E-Petition zu starten, sammelt die Deutsche Kinderhilfe lieber offline: Vor Fußballstadien und auf öffentlichen Plätzen will die Organisation ihre Unterschriftensammler postieren. Geschäftsführer Georg Ehrmann begründet die Aktion gegenüber FOCUS Online mit den Erfahrungen der Kinderhilfe: „Es lag nahe, eine Kampagne dort zu führen, wo unsere Kompetenzen liegen. Mit Online-Kampagnen haben wir keine Erfahrungen.“ Dass die Deutsche Kinderhilfe dabei auf bezahlte Unterschriftensammler setzt, bezeichnet Ehrmann als „selbstverständlich“.

Wettlauf der Umfragen

Ehrmann zeigt sich optimistisch, die Petition der Sperrgegner noch im Mai übertreffen zu können. Um die eigene Position zu untermauern, hat die Deutsche Kinderhilfe eine Telefonumfrage in Auftrag gegeben, bei der sich 93 Prozent der Befragten für die Netzsperren aussprachen.

Die Gegner zeigen sich von dem Ergebnis wenig beeindruckt: „Die Fragestellung der Kinderhilfe war so manipulativ, dass ein anderes Ergebnis nicht möglich war“, erklärt der einflussreiche Blogger Markus Beckedahl gegenüber FOCUS Online. So gab der Verein „Missbrauchsopfer gegen Netzsperren“ flugs eine eigene repräsentative Umfrage in Auftrag. Das Ergebnis: 92 Prozent der Befragten wollen, dass die Seiten gelöscht und nicht nur in Deutschland gesperrt werden. Neutral war die Frage allerdings auch hier nicht formuliert.

Minderheit oder Mehrheit?

Die deutschen Blogger schlagen sich eindeutig auf die Seite der Zensurgegner. „Die Deutsche Kinderhilfe wirkt eher wie eine konservative Vorfeldorganisation der CDU, denn wie ein gemeinnütziger Verein, dem es um das Wohl der Kinder geht“, schreibt Jens Berger, der das viel gelesene Blog „Spiegelfechter“ betreibt. Medien-Blogger Stefan Niggemeier unterstellt der Deutschen Kinderhilfe „Demagogie“. Andere Blogger sammeln negative Berichte über die Organisation, die im vergangenen Jahr aus dem Deutschen Spendenrat ausgeschlossen wurde.

Die Kinderhilfe bemüht sich nun, die Wogen zu glätten. In einem neuen Informationsblatt heißt es: „Die Deutsche Kinderhilfe stellt klar, dass sie den Befürwortern der Online-Petition weder direkt noch indirekt unterstellt, für Kinderpornografie im Internet zu sein. Uns alle eint das Bemühen, dieses schreckliche Verbrechen zu verhindern.“

Viele Fragen an die Abgeordneten

Zwar haben sich mittlerweile auch Grüne und FDP gegen die Netzsperren ausgesprochen – doch die Gegner haben nicht viel Vertrauen in die etablierten politischen Prozesse. So hat ein Unbekannter am Wochenende die Web-Seite der Deutschen Kinderhilfe gehackt und dort eine Botschaft gegen die Gesetzesvorhaben hinterlassen. Bei den meisten Sperrgegnern stieß dies aber auf wenig Applaus: Sie setzen lieber auf eine kontinuierliche Lobbyarbeit – ohne bezahlte Lobbyisten.

So gingen bei vielen Bundestagsabgeordneten seit Beginn der Debatte mehrere Hundert E-Mails ein, die sich gegen eine Sperre aussprechen. Sichtbar wird dies auf der Seite des Blogs Abgeordnetenwatch. Dort können Bürger öffentlich Fragen an die Bundestagsabgeordneten stellen. Seit März wurden auf der Plattform über 774 Fragen zum Thema gezählt, 95 Prozent der Fragesteller wandten sich gegen die Pläne der Bundesregierung. Zum Vergleich: Zur Abwrackprämie zählte Abgeordnetenwatch gerade einmal 209 Bürgerfragen.

Der konstante Fragestrom der Sperrgegner überfordert manche Parlamentarier inzwischen. So verweist die CDU-Abgeordnete Michaela Noll nur noch auf eine vorbereitete Stellungnahme auf ihrer eigenen Homepage, da ihr Büro die Vielzahl der Anfragen nicht mehr individuell beantworten könne. Der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz reagiert mittlerweile auch gereizt. Als ein Fragesteller die Kompetenz des Abgeordneten zum wiederholten Mal in Frage stellte, antwortete Wiefelspütz ironisch: „Was soll denn ein ,Computer´ sein, was soll ,Internet´ sein? Ich habe diese Begriffe noch nie gehört oder gelesen. Ich stamme nämlich aus dem vergangenen Jahrtausend.“

Torsten Kleinz

Focus Online, München, 22. Mai 2009
Original: http://www.focus.de/digital/internet/tid-14326/internetzensur-online-gegen-offline-proteste_aid_400902.html

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