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Angst vor der Volksdatenbank

Für den Zensus 2011 will die Bundesregierung staatliche Datenbanken zusammenführen. Datenschützer wollen dies mit einer Verfassungsbeschwerde in letzter Minute verhindern.

Es ist ein logistisches Großprojekt, für das sich die Bundesregierung seit Jahren vorbereitet hat. Erstmals seit der Volkszählung 1987 – die DDR zählte gar zuletzt 1981 – sollen die Einwohner der Bundesrepublik wieder komplett erfasst werden. 550 Millionen, vielleicht sogar 750 Millionen Euro soll das Projekt kosten. Mit dem „Zensus 2011“ kommt Deutschland einer Richtlinie der Europäischen Union nach, die ihren Mitgliedsländern die Volkszählung aufgetragen hat. Doch es gibt Widerstand.

Im Abwickeln von Verfassungsbeschwerden haben die Mitglieder des Bielefelder Vereins zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs (FoeBuD) und des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung reichlich Übung: Vor zwei Jahren organisierten sie die Massenklage von über 34 000 Bürgern gegen die Vorratsdatenspeicherung, im März organisierten sie über 22 000 Kläger gegen den Elektronischen Entgeltnachweis (ELENA). Auch heute wieder gehen täglich Hunderte von Unterschriften ein für die nächste Verfassungsbeschwerde gegen den „Zensus 2011“. Über 10 000 Bürger beteiligen sich bereits, bis kommenden Montag können Interessierte noch ihre Unterschrift beitragen.

Religionszugehörigkeit erfasst

„Deutschland hat mal wieder den Streber gespielt und die Richtlinie gleich umgesetzt“, beklagt FoeBuD-Vorstand Rena Tangens im Gespräch mit FOCUS Online. Die Datenschützerin kritisiert, dass in Deutschland zudem mehr Daten erfasst werden als von der EU vorgeschrieben. So werde in der Haushaltsbefragung auch das Merkmal „Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft“ erfasst. Gerade in Deutschland ein heikles Thema – so nutzten die Nationalsozialisten solche Daten, um Juden ausfindig zu machen und zu ermorden.

Auch das Statistische Bundesamt sieht dies offenbar mit gemischten Gefühlen. Auf ihrer Web-Seite betont die Behörde, sie sei vom Gesetzgeber zu der Erhebung der Religionszugehörigkeit verpflichtet worden. Wegen der Brisanz der Angabe wurde die Antwort aber freigestellt – jeder Bürger kann die Angabe ohne Begründung verweigern. „Im Ergebnis des Zensus entstehen keinerlei Darstellungen der Religionszugehörigkeit einzelner Bürgerinnen und Bürger. Die Daten werden ausschließlich statistisch ausgewertet“, betont Behördensprecher Klaus Pötzsch im Gespräch mit FOCUS Online.

Datenbanken zusammengeführt

Große Bauchschmerzen bereitet den Datenschützern vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung auch die Umsetzung der Volkszählung. Statt alle Bundesbürger direkt zu befragen, werden nur maximal zehn Prozent der Bürger bei der Haushaltsbefragung mitmachen müssen, zusätzlich müssen sämtliche Eigentümer von Immobilien Angaben zu Wohnungen und Häusern machen. Die restlichen Daten schöpfen die Statistiker aus bereits bestehenden Daten. Sie greifen dazu auf die Register der Meldeämter, der Bundesagentur für Arbeit und anderer Quellen zu und führen sie zusammen.

„Bei diesem Verfahren gibt es nicht einmal mehr die Möglichkeit zum aktiven Boykott“, kritisiert Tangens. Für die Statistiker ist das jedoch kein Argument – jeder Bürger ist zur Mitwirkung bei der Volkszählung verpflichtet. Wer sich weigert, muss ein Bußgeld von bis zu 5000 Euro zahlen. „Die geforderte Qualität der Volkszählungsergebnisse ist bei freiwilliger Auskunftserteilung nicht erreichbar“, erklärt Pötzsch.

Jeder Bürger eine Nummer

Für die Datenschützer ist die Erstellung einer riesigen Datenbank mit Informationen über alle Bürger ein Albtraum. Sie befürchten den Missbrauch der bei der Volkszählung anfallenden Daten. Zwar versichert das Bundesamt für Statistik, dass mit den Daten sorgfältig umgegangen wird und dass die Namen der Befragten in den Statistikdaten gar nicht mehr auftauchen. Stattdessen bekommt jeder Datensatz eine Nummer zugewiesen.

„Eine besondere Gefahr sehe ich darin, dass die Zuordnung der Daten aus der Volkszählung 2011 durch eine eindeutige Personenkennziffer bis zu vier Jahre oder gar länger möglich sein wird“, betont die Bremer Rechtsanwältin Eva Dworschak, die die Verfassungsbeschwerde gegen den Zensus schreibt. Die Befürchtung: Aufgrund der angegebenen Daten könnte einer solchen Nummer schnell der zugehörige Bürger wieder zugeordnet werden. „Ein einfaches Bundesgesetz würde genügen, um die Verwendung der Daten für andere Zwecke zu erlauben“, kritisiert Rena Tangens.

Zensusdaten dringend benötigt

Am liebsten würden die Datenschützer ganz auf die Volkszählung verzichten – zu riskant sei das Anhäufen der Daten. Wenn zum Beispiel Verkehrsplaner Daten bräuchten, könnten sie sie auch auf andere Weise bekommen. Die Regierung besteht jedoch auf einer Vollerhebung. So hat das Statistische Bundesamt in einer Untersuchung festgestellt, dass die Bevölkerungszahl in Deutschland deutlich zu hoch angesetzt ist: Vermutlich hat Deutschland 1,3 Millionen Bewohner weniger, als die amtlichen Statistiken ausgeben. Genau weiß es das Statistische Bundesamt erst nach einer Vollerhebung.

Auch das Bundesfamilienministerium betont die Wichtigkeit der Volkszählung. So benötige die Regierung zum Beispiel verlässliche Daten zur korrekten Planung von Leistungen von Kindergeld und Kinderzuschlag, erklärt eine Sprecherin auf Anfrage von FOCUS Online. Zwar erhalte man durch den Mikrozensus, für den etwa ein Prozent der Bevölkerung befragt werde, ständig aktualisierte Werte. „Um hierfür die richtigen Hochrechnungsfaktoren zu errechnen, muss jedoch die genaue Bevölkerungsstruktur in Deutschland bekannt sein.“, erklärt die Ministeriumssprecherin, „Hierfür sind größere Erhebungen in regelmäßigen Abständen erforderlich.“ Sprich: Ohne regelmäßige Volkszählungen nimmt die Qualität aller anderen Statistiken stetig ab.

Volkszählung alternativlos?

Gänzlich wollen sich die Datenschützer einer Volkszählung nicht verschließen: „Wenn jemand ein Verfahren anbieten könnte, bei dem die Identitäten nicht rekonstruiert werden könnte, könnte man darüber nachdenken“, sagt FoeBuD-Aktivistin Tangens.

Nach Ansicht der Statistiker haben sie diesem Aspekt bei der Planung des Zensus 2011 genügend Rechnung getragen: „Die von uns intern vergebene Ordnungsnummer im Zensus 2011 dient lediglich dazu, die Zensusdatensätze eindeutig zu kennzeichnen, damit wir diese technisch verarbeiten können“, erklärt Behördensprecher Pötzsch. Ohne eine solche Ordnungsnummer sei die Erstellung von Statistiken nicht möglich. Sie werde zudem ausschließlich im abgeschotteten Bereich der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder verwendet und nicht weitergegeben.

Torsten Kleinz

Focus Online, München, 09. Juli 2010
Original: http://www.focus.de/politik/deutschland/tid-19043/zensus-2011-angst-vor-der-volksdatenbank_aid_528635.html

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