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Falsche Fürsprecher

Datengipfel

Ausgerechnet jene Sicherheitspolitiker, die sich im Kampf gegen den Terror kaum an die Verfassung halten, geben sich jetzt als Datenschützer aus

Datenschützer und Bürgerrechtler reiben sich verdutzt die Augen: Ihr »antiquiert« wirkendes Anliegen ist schlagartig in aller Munde. Selbst jene Politiker und Parteien, die Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung seit Jahren mit Füßen treten, sprechen sich für eine unverletzliche Privatsphäre aus und so mancher Bürger wird kritisch, der bislang einen sorglosen Umgang mit seinen persönlichen Daten pflegte und eigentlich »nichts zu verbergen« hatte. Plötzlich gibt es eine große Koalition von Datenschützern. Was ist passiert?

Wie weiland Nessi aus Loch Ness tauchte im Sommer eine riesige Datenkrake mit schrecklichen Tentakeln auf, die nach unseren höchstpersönlichen Daten grabscht, Bankkonten plündert und uns bis in die Privatsphäre verfolgt. Millionen von erfassten Personendaten - Namen, Adressen, Geburtsdaten, Kontonummern und mehr - führen ein beängstigendes Eigenleben und vagabundieren durch die Gegend, werden aus Melderegistern und Adressdateien kopiert, sind im Internet abrufbar, werden geklaut und auf CD gebrannt, als Ramschware en gros verscherbelt und en detail missbraucht. Und kein Datenschutzgesetz, kein Datenschutzbeauftragter konnte diesen kommerziellen Datenmissbrauch verhindern, der sich zu einem neuen Zweig der Wirtschaftskriminalität entwickelt hat.

Der aufgedeckte illegale Datenhandel addiert sich zu den Bespitzelungsskandalen in der Privatwirtschaft: ob Burger King, Lidl oder andere Discounter, die ihre Angestellten bespitzeln und mit versteckten Kameras ausforschen, ob Novartis oder Lufthansa - und nicht zuletzt die Telekom, wo der dreiste Missbrauch von Vorratsdaten und die Verletzung des Fernmeldegeheimnisses den kriminellsten Supergau der Telekommunikationsbranche auslöste. Das wirklich beängstigende: Diese Skandale sind keineswegs bedauerliche Einzelfälle krimineller Energie, nein, sie haben System.

Unerwartete Hektik

Doch erleben wir da wirklich Ungeahntes, bislang Unvorstellbares? So, als hätten wir nie etwas von moderner Informationstechnologie und ihren fatalen Folgen gehört, nie vom schwunghaften Handel mit sensiblen Massendaten, von dreisten Datenjägern und -sammlern im Dienste von Staat und Wirtschaft? Jetzt wirkt es so als wären alle bass erstaunt, dass wir im Zeitalter der Digitalisierung tagtäglich elektronische Datenspuren hinterlassen, die zu Konsum-, Kontakt- und Persönlichkeitsprofilen aufbereitet werden können - womit wir unfreiwillig der Privatwirtschaft in die gierigen Hände spielen, aber auch dem Staat und seinem unersättlichen Kontroll- und Machtanspruch.

Es ist kein Geheimnis, dass die modeme Informationsgesellschaft längst gekennzeichnet ist durch Überwachung und Kontrolle. Und dem Einzelnen sind Datenschutz und Privatheit immer weniger wert, niemand weiß, wo überall was genau zu welchen Zwecken gespeichert ist. Während unsere Datenschatten lang und länger werden, hinkt der Datenschutz der technologischen Entwicklung meilenweit hinterher; und die Datenschutzbeauftragten, so wichtig sie sind, wirken wie hilflose Scheinriesen.

Doch erst jetzt, nach einer ausgeprägten Tiefschlafphase, kommt im Politikbetrieb plötzlich Hektik auf: Datenschutzgipfel werden einberufen und Gesetzesverschärfungen geplant. Nur Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, ausgerechnet zuständig für Datenschutz, bewahrt bei diesem Thema erstaunliche Ruhe. Er sieht keinen großen Handlungsbedarf - wo er doch ansonsten allerorten »Sicherheitslücken« sichtet, die er - nicht selten zu Lasten von Datenschutz und Freiheitsrechten - zu schließen trachtet. Erinnert sei nur an das Bundeskriminalamtsgesetz, mit dem das BKA zu einem zentralen deutschen FBI umgebaut werden soll - mit geheimpolizeilichen Befugnissen zur Vorfeldausforschung, inklusive großem Spähangriff in Wohnungen und heimlicher Online-Durchsuchung von Computern.

Sammelwut und Kontrolllust

Der sogenannte Antiterrorkampf bescherte uns bereits eine beängstigende Einschränkung der Freiheitsrechte und Entgrenzung staatlicher Gewalten. Polizei- und Geheimdienstbefugnisse wurden verschärft, Video- und Telekommunikationsüberwachung ausgeweitet, Sicherheitsüberprüfungen von Arbeitnehmern auf »lebens- und verteidigungswichtige « Betriebe ausgedehnt, biometrische Daten in elektronischen Ausweispapieren erfasst und sensible Fluggastdaten an US-Sicherheitsbehörden transferiert.

Wer wundert sich angesichts dieser Art von Sicherheitspolitik, dass auch im Wirtschaftssektor Sammelwut und Kontrollmentalität immer stärker um sich greifen. Da appellieren an Ethik und Gesetzestreue der Unternehmer ausgerechnet jene Sicherheitspolitiker, denen Unrechts- und Datenschutzbewusstsein längst abhanden gekommen ist und die sich im Kampf gegen den Terror kaum noch an die Verfassung halten - die vielen Gesetze, die in letzter Zeit vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt werden mussten, sind dafür Beleg. Illegales Handeln und massenhafter Missbrauch sind keinesfalls nur in der Privatwirtschaft vorzufinden.

Mit Datenschutzgipfeln und Selbstverpflichtungen zur Einhaltung des Datenschutzes ist es nun wirklich nicht getan. Schon wirksamer wäre es, das veraltete Datenschutzrecht gründlich zu novellieren, alle Datenschutzbehörden aus den Klauen der Innenministerien zu befreien und zur Wahrung ihrer Unabhängigkeit den Parlamenten anzugliedern, die Datenschutzkontrolle personell und finanziell zu stärken sowie die lächerlich niedrigen Sanktionen im Fall von Datenmissbrauch und illegaler Verarbeitung drastisch zu erhöhen. Und Datenklau muss als Offizialdelikt ausgestaltet und die Informations- und Auskunftsrechte der Verbraucher müssen gestärkt werden.

Warum zog der Telekom-Skandal keine gesetzgeberischen Konsequenzen nach sich? Etwa die Vorratsspeicherung von Massendaten wieder zu kippen, mit der T elekommunikationsbetriebe zu Hilfspolizisten gemacht und dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet wurde? Wir brauchen ein generelles Verbot des HandeIns mit persönlichen Daten, nur bei ausdrücklicher Einwilligung der Verbraucher darf eine Erfassung und Weitergabe an Dritte erfolgen - das muss auch für staatliche Melderegister gelten. Einem zentralen Bundesmelderegister, wie es Wolfgang Schäuble plant, muss angesichts der neueren Skandalgeschichte eine deutliche Absage erteilt werden - ebenso wie der bereits in Kraft gesetzten umstrittenen Steuer-Identifikationsnummer, die als Personenkennzeichen missbraucht werden könnte.

Doch auch jeder Einzelne ist gefordert. Denn der leichtfertige Umgang mit persönlichen und intimen Daten - im Internet, beim Einkauf mit Rabattund Kreditkarten, am Handy oder in Fernsehshows - zeigt, dass wir eine gesellschaftliche Debatte über den Umgang mit Daten und über das Problem ausufernder Überwachung und sozialer Kontrolle in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft führen müssen.

Dr. Rolf Gössner, Rechtsanwalt und Publizist, Vizepräsident der »Internationalen Liga für Menschenrechte«. www.ilmr.de www.rolf-goessner.de

Rolf Goessner

FreiTag, Berlin, 05. September 2008
Original: http://www.freitag.de/2008/36/08360401.php

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