FoeBuD e.V.  ·  Marktstraße 18  ·  D-33602 Bielefeld
http(s)://www.foebud.org  ·  foebud@bionic.zerberus.de

Tausende Gründe zur Klage

Rund 22 000 Bürger legten Verfassungsbeschwerde gegen das Arbeitnehmerdaten-System ELENA ein. Ein Besuch bei den Beschwerdeführern in Bielefeld

Der Abend kommt. Es ist der letzte Ringordner mit Post für heute. „Soll ich oder soll ich nicht“, sagt der junge Mann, der hier Felix genannt werden soll. Er überlegt, ob er sich diese Arbeit noch antut. Niemand in den Räumen des Bielefelder Datenschutzvereins Foebud verdenkt ihm sein Zaudern. Dutzende pralle Ordner hat Felix schon für die Reise nach Karlsruhe vorbereitet. Leere Kaffeetassen auf dem Tisch zeugen noch von der Nachtschicht.

Seit der Verein Mitte März auf stoppt-elena.de einen Aufruf zur Verfassungsbeschwerde gegen das Arbeitnehmerdaten-System ELENA veröffentlicht hat, karrt der Postbote jeden Tag kistenweise Unterstützerbriefe heran, mehr als 20.000 sind es schon. Die Idee: Umso mehr Arbeitnehmer dagegen Klagen, dass ihre Gehaltsdaten seit dem 1. Januar in einen gigantischen Zentralspeicher eingespeist werden, desto größer ist der politische Druck auf das Gericht. Das Kalkül ist schon früher aufgegangen: Bei ihrer Klage gegen die Vorratsdatenspeicherung hatte Foebud 35.000 Vollmachten gesammelt, innerhalb eines halben Jahres. Diesmal haben die Aktivisten zwei Wochen, bis April muss die Klage beim Gericht liegen.

In den vergangenen Monaten hat die deutsche Datenschutz-Bewegung an Schlagkraft gewonnen, an Aufmerksamkeit in den Medien – und an Helfern. Und so muss Felix die Briefe nicht allein öffnen, lochen, abheften und prüfen. Ein Gero ist aus Stendal angereist. Jemand, der sich Averall nennt, ist aus Bremen gekommen. Genau wie Maike, die Felix gegenüber sitzt. Ihre vollen Namen wollen viele der Aktivisten nicht in der Zeitung lesen. Warum? Aus Datenschutzgründen eben. Ende der Diskussion.

Zeitsoldaten willkommen

Maike sortiert die entleerten Umschläge, unterscheidet diese danach, wie sie frankiert sind. Die mit echten Briefmarken sammelt sie in einem Körbchen für eine soziale Einrichtung, die die Marken zu Geld macht, die anderen landen im Schredder. Weil Felix unbeirrt unentschlossen bleibt, spricht Maike aus, was auch die anderen denken: „Ich würde ihn nicht bis morgen liegen lassen.“ Es klingt wie eine Warnung. Der nächste Tag wird kommen und mit ihm der Postbote. In den Worten schwingt aber auch Hoffnung mit. Denn böse über noch mehr Post ist hier niemand.

Diesmal haben sie schon im Vorfeld eine Datenbank angelegt und ein kleines Programm geschrieben, das die Verwaltung leicht macht. Und Felix hat wohlweislich eine Ladung koffeinhaltiger Erfrischungsgetränke gebunkert. Der Praktikant – „aus Überzeugung bei Foebud“ – gibt eine Runde aus. Dann gibt er sich einen Ruck und macht sich wieder ans Werk. Mit seiner linken Hand schlägt Felix die Seiten um, mit der rechten knallt er den Paginierstempel darauf: Fump.

Das Stempel-Geräusch dringt bis zu Rena Tangens und dem Mann, der sich nur mit seinem Künstlernamen padeluun vorstellt. Sie sitzen eine Etage tiefer. Dort haben die beiden Foebud-Gründer und Initiatoren der Verfassungsbeschwerde ein kleines Büro. Von hier aus ist die Vorratsdatenspeicherung gekippt worden, von hier aus koordinieren sie die neue Aktion. Ihre Finger flitzen über Tastaturen, sie klicken und tippen, versenden E-Mails und telefonieren, nicht selten alles gleichzeitig. Die beiden haben sich zum Ziel gesetzt, nicht nur Computerfreaks, sondern viele Bevölkerungsschichten für den Datenschutz zu mobilisieren, auch jene, bei denen man es nicht vermutet. „Ja, Zeitsoldaten dürfen auch mitklagen“, sagt padeluun in den Telefonhörer. Dann legt er auf.

Michael Billig

FreiTag, Berlin, 31. März 2010
Original: http://www.freitag.de/politik/1013-elena-klage-verfassungsgericht-datenschutz

© WWW-Administration, 06 Apr 10