Videos von Straßenschluchten – was ist schlimm daran? "Nichts", sagt Rena Tangens vom Bürgerrechtsverein Foebud. "Brisant wird es durch die Integration mit anderen Diensten." Zum neuen Google-Dienst Street View kommen Landkarten und Satellitenbilder von Grundstücken aus der Abteilung Google Maps.
Das beinahe dreidimensionale Bild von Immobilien kann durch eine Reihe von Informationen angereichert werden, die in den riesigen Rechenzentren von Google gespeichert sind. Für Tangens passiert hier eine ungeheure Beschleunigung beim Sammeln von Informationen, die sich vorzüglich vermarkten lassen.
Die Datenschützerin liefert damit eine Kurzbeschreibung des Geschäftsmodells der global dominierenden Internetfirma und der wertvollsten Marke der Welt.
Ralf Kaumanns, Internetexperte bei der Unternehmensberatung Accenture und Autor des Buchs "Die Google-Ökonomie", spricht lieber von einem Ökosystem. Mit Google Maps und Street View wolle der Konzern nichts Geringeres als eine Art Basistechnologie für Geoinformationen aufbauen. Und die dürften in den nächsten Jahren massiv an Bedeutung gewinnen, denn sie stehen im Zentrum des mobilen Internets, dem Experten enorme Wachstumsraten zutrauen.
Die Pointe dabei ist, dass Google solche Projekte nicht angeht, um sofort damit Geld zu machen. Es geht dem Konzern vielmehr darum, bei wichtigen Innovationen dabei zu sein – sie zu beeinflussen, am liebsten sogar zu kontrollieren. Deshalb bietet Google seine Produkte bevorzugt kostenlos an. Das macht es leichter, Neues am Markt zu platzieren. Und andere können sich mit eigenen Anwendungen andocken – viele Hotels nutzen beispielsweise die Landkarten von Google für ihre Internetauftritte.
Doch Google ist kein gemeinnütziger Verein. Das kommerzielle Interesse kommt oft wie eine Strategie der zweiten Absicht daher. Maps mit Street View sind ein gutes Beispiel. Google will beides für seine Navigations-Software nutzen, die kostenlos angeboten werden soll.
Das setzt nicht nur Firmen wie TomTom oder Garmin unter Druck, die Naviprogramme bislang teuer verkauften. Auch Nokia ist nun gezwungen, seine elektronische Pfadfinderei kostenlos zu offerieren. Google jedoch kann es sich leisten, die neue Dienstleistung zum Nulltarif zu offerieren.
Denn die Strategie zielt darauf ab, mittels Maps Navigation Werbung an die Nutzer zu bringen. Nokia, TomTom und Garmin können da nicht mehr mithalten. Kaumanns spricht von einem "disruptiven Geschäftsmodell", das ganze Märkte umkrempeln könne. "Das Unternehmen ignoriert dabei vorhandenen industriellen Strukturen."
Diese Wucht macht Tangens Sorgen. Denn sie könne missbraucht werden. "Durch Google konzentriert sich ökonomische Macht, die Bürger letztlich entmündigt."
Frank-Thomas Wenzel
Frankfurter Rundschau Online, Frankfurt, 24. Februar 2010
Original: http://www.fr-online.de/in_und_ausland/wirtschaft/aktuell/2346852_Google-Dienst-Street-View-ignorant-und-innovativ.html