Interpol, TÜV, Kartellamt: Auch die Internet-Welt braucht Kontrollorgane wie diese. Konzerne wie Apple oder Google dürfen nicht allein bestimmen, wohin die Reise geht.
Eine kurze Einführung in die iPhone-Welt für Unkundige. "Dieses Girl bringt Sie zum App-Schütteln", verspricht die elektronische Bild-Zeitung. Was ist jetzt zu tun? Die Dame mittels heftiger Bewegungen des Geräts entkleiden, aber nur bis zum Bikini. Das empört den Springer-Konzern und inzwischen auch Verlegerverbände. Sogar von einer Bedrohung der Pressefreiheit ist die Rede. Das ist durchaus übertrieben.
Der Streit über die Bild-Mädchen trifft aber ein zentrales Problem der neuesten Generation multimedialer Inhalte im mobilen Internet. Die Machtpositionen verschieben sich gerade, und zwar zugunsten einiger weniger Firmen. Apps (Applikationen) sind ein Zukunftsmarkt gewaltigen Ausmaßes. Mit ihnen wurden im vergangenen Jahr weltweit 4,2 Milliarden Dollar umgesetzt; in drei Jahren sollen es 30 Milliarden sein. Apps gibt es für jedes Kommunikations- und Informationsbedürfnis. Allein für das iPhone haben Programmierer etwa 150.000 dieser Zusatzprogramme entwickelt. Apple bekommt 30 Prozent der Einnahmen. Viel wichtiger ist, dass der Konzern entscheidet, welche Apps wie in den virtuellen Läden angeboten werden.
Was macht Apps so attraktiv? Das Prinzip Reduktion. Das bedeutet auch: Nichts darf den Nutzer irritieren. Kürzlich warf Apple deshalb tausende Angebote aus seinem virtuellen Laden. Der US-Konzern teilte mit, es habe Kundenbeschwerden wegen sexistischer Inhalte gegeben. Das darf nicht sein, das hindert nur beim Geldverdienen.
Apple, Google und Co. wollen den Eindruck vermitteln, sie hätten die Lage im Griff. Das lässt sich vorzüglich vermarkten, denn irgendjemand muss uns ja durch den rasend expandierenden Daten-Kosmos navigieren, muss Informationen sammeln, sortieren und konfektionieren. Auch soziale Netzwerke wie Facebook funktionieren nach ähnlichen Prinzipien. Auch sie haben vor allem die Aufgabe, die für den Nutzer relevanten Bilder, Filme, Texte und Töne übersichtlich zusammenzustellen.
Die dunkle Seite der Entwicklung: Die Betreiber von App-Stores und sozialen Netzwerken sind überaus bedeutende Datensammler, die Internet-Riesen werden überaus mächtig. Sie können nicht nur unliebsame Apps in den digitalen Orkus schicken. Sie können detaillierte Nutzerprofile generieren, die enorm wertvoll sind. Via Datenbank lässt sich darauf schließen, wann es Zeit ist für neue Laufschuhe, ein neues Auto oder einen Anstrich der Hausfassade. Mehr noch: Die Datensammlungen provozieren Missbrauch. Da kann einem Kunden ein Kredit verweigert werden, weil die Bank Daten gekauft hat, aus denen hervorgeht, dass sich der Mann ein Killerspiel-App heruntergeladen hat, in der Nähe eines problematischen Wohngebiets lebt und zu oft die Bild-Girls geschüttelt hat. Das endet in Entmündigung.
Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner hat die Gefahr erkannt, bleibt aber bei der populistischen Klage über die Macht der Konzerne stehen. Und geradezu rührend wirkt der jüngste Appell von Kanzlerin Angela Merkel an Internetnutzer, "personenbezogene Daten nicht allzu freizügig jedermann zur Verfügung" zu stellen. Darum geht es gar nicht, sondern darum, dass wir künftig gezwungen sein werden, Daten preiszugeben, um kommunikationsfähig zu bleiben. Das muss reguliert und kontrolliert werden.
In der Politik ist eine starke Entwicklungsverzögerung in der Internetpolitik zu erkennen. Datenschutz-Aktivisten wie der Verein Foebud fordern deshalb, zunächst einmal wissenschaftlich die Gefahren des Internet 3.0 zu erkunden, um überhaupt profund politisch diskutieren zu können. Weiter sind wir noch nicht.
Aber ein paar grundsätzliche Dinge können schon gefordert werden. Es braucht eine rigide Regulierung, vielleicht eine Art Daten-Interpol, deren Ermittler Missbrauchsfälle verfolgen. Womöglich braucht es einen unabhängigen TÜV für Apps, dessen zertifizierte Produkte dann alle Handyhersteller und Anbieter von Betriebssystemen akzeptieren müssen. Und das Kartell- und Wettbewerbsrecht muss eine wichtige Rolle spielen, denn auch die Zerschlagung digitaler Supermächte muss notfalls möglich sein. Etwa um Bezahlsysteme wie Paypal oder Google-Checkout, die eminent sensible Daten sammeln, aus ohnehin marktbeherrschenden Firmen auszugliedern.
Undenkbar? Für US-Präsident Obama jedenfalls ist die Zerschlagung zu mächtig gewordener Banken längst kein Tabu mehr.
Frank-Thomas Wenzel
Frankfurter Rundschau Online, Frankfurt, 01. März 2010
Original: http://www.fr-online.de/in_und_ausland/politik/datenschutz/debatte/2370065_Die-Macht-im-Netz.html