Analyse-Software hilft Firmen bei der Kontrolle ihrer Geschäftsabläufe. Das betrifft zunehmend auch die Kunden. Aus einem umfangreichen Datenmix werden die lukrativsten herausgefischt - die anderen dürfen warten.
Haben Sie mal überlegt, was Ihr Gesprächspartner am anderen Ende der Hotline so alles über Sie weiß? Vielleicht sind es nur die Jahresumsätze, spät bezahlten Rechnungen oder die Zahl der Anrufe wegen technischer Probleme.
Vielleicht ist damit auch schon eine automatische Priorisierung ihres Anrufes verknüpft. Wer weniger Umsatz bringt, muss in der Hotline häufig länger warten.
Die Analyse von Daten in Unternehmen und ihre automatisierte Weiterverarbeitung zu aktuellen Reporten, Prognosen und Empfehlungen für die Unternehmensentwicklung wurde von leitenden Managern in einer Gartner-Umfrage höher gelistet als das Thema Sicherheit.
2006 werden Unternehmen laut Gartner rund 2,5 Mrd. $ in Lizenzen für die neuen Informationsmanagement-Tools stecken. Während die Business-Intelligence-Branche auf gute Geschäfte hofft, warnen Datenschützer vor der Kehrseite der Medaille.
Die Programme machen zwar die Geschäftsentwicklung transparent, aber, wenn man es darauf anlegt, auch Mitarbeiter und Kunden.
Ob Bioinformatik, den E-Commerce unterstützende Verfahren des Webminings oder Business Intelligence (BI), grundsätzlich beruhen alle Systeme auf der alten Idee des maschinellen Lernens, sagt Lars Schmidt-Thieme, Informatikprofessor an der Universität Freiburg und Partner des BI-Experten SAS.
Intelligente Software ersetzt die Heerscharen von Menschen, die sonst mit dem Zusammentragen und Auswerten von Daten beschäftigt wären. „Die spannende Frage aus akademischer Sicht ist, noch eins draufzusetzen“, sagt Schmidt-Thieme, „und zu sehen, wie auch Handlungsvorschläge gemacht werden können.“
„Die Unternehmen sind teilweise schon durch die wachsenden rechtlichen Transparenzanforderungen genötigt, ihr Reporting zeitnaher und umfangreicher zu gestalten“, sagt Jürgen Rosenbaum, Marketingdirektor von Hyperion in Frankfurt.
Je nach Anforderung und Formulierung der eigenen Unternehmensziele lässt sich für das Management ein rotes Warnlicht einbauen, das mitteilt, wann ein bestimmter Schwellenwert unterschritten ist.
Damit die Warnleuchte aufleuchtet, muss vorher allerdings die BI-Software punktgenau in die Software-Architektur des Unternehmens eingebaut und schließlich festgelegt werden, bei welchem Wert der Alarm losgehen soll. Egal ob Warnmeldung oder längerfristige Marktprognose: „Kein Manager wird sich blind auf so ein System verlassen“, sagt Rosenbaum.
Genau das ist allerdings eine Befürchtung von Datenschutz-Aktivisten. Denn anders als bei strategischen Unternehmensentscheidungen können automatisierte Entscheidungen gegenüber Kunden, die intelligente Software mehr und mehr unterstützt, sich als fatal erweisen.
„In einem Schuhgeschäft in Bielefeld sollte man einen Ausweis vorlegen, bevor eine Zahlung mit Kreditkarte möglich war“, berichtet der Gründer der Bielefelder Bürgerrechtsorganisation Foebud, der sich den Künstlernamen Padeluun gegeben hat. An der Kasse sei offenbar ein Zettel angebracht gewesen, auf dem ganze Stadtteile als weniger kreditwürdig eingestuft waren.
Mit dem zunehmenden Trend, Kunden mit Computerhilfe zu segmentieren, frage sich wohl auch der normale Einzelhandel, warum er das nicht tun solle. „Das Problem bei IT-gestützten Scoring-Verfahren ist allerdings, dass Kunden sich nicht bewusst sind, auf welcher Grundlage sie eingestuft werden.“
Bis vor kurzem habe man nicht gewusst, dass Kunden je nach Profil länger warten in der Warteschleife des Callcenters, sagt Johann Bizer vom Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD) in Kiel.
Das ULD hat für das Bundesministerium für Verbraucherschutz einen Bericht zum Thema Scoring vorgelegt. „Das Perfide generell ist, dass es keine zentrale ,Big-Brother-Datei‘ gibt. Vielmehr werden die Daten in einer logischen Sekunde aus verschiedenen Datenbanken zusammengewürfelt.“
Die Verfügbarkeit von zunehmend auch geografischen Kundeninformationen verschärfe die Situation noch. Rosenbaum betont, dass die Art der Datenintegration in der Hand der Unternehmen liege, die je nach den für sie geltenden Datenschutzbestimmungen agieren können.
Strengere Gesetze fordert daher Padeluun. Der Datenschutz müsse an die neue Situation angepasst werden, damit man nicht nur gegen Diskriminierung an der Ladenkasse, sondern auch in der virtuellen Welt vorgehen könne.
Monika Ermert
Financial Times Deutschland, Hamburg, 13. März 2006
Original: http://www.ftd.de/technik/it_telekommunikation/54604.html