Die Mitmach-Mentalität vieler Internetnutzer unterläuft den Datenschutz: Diese legen in digitalen Kontaktbörsen freiwillig allerhand Privates offen. Auch wer andere kostenlose Dienstleistungen wie Suchmaschinen nutzt, gibt eine Menge von sich preis.
Die Sorglosigkeit im Netz hat auch in Deutschland zu einer Marktlücke geführt. Unternehmen mit Namen wie „Datenwachschutz“, „Saubere Weste“ oder „Reputation-Defender“ verdienen ihr Geld damit, unliebsame Informationen auf Webseiten zu entfernen. „Ein Kunde von uns hatte sich in einem Forum ausführlich über seine früheren Drogenerfahrungen ausgelassen und dabei seinen Namen benutzt“, erzählt Susanne Wilberg, Geschäftsleiterin der Firma „Dein guter Ruf.de“. „Wir haben mit dem Betreiber der Seite verhandelt und die Löschung der Einträge erreicht.“
Wilbergs Erfahrung: „Die jüngere Generation geht immer noch sehr unbedacht mit persönlichen Daten im Netz um. Bei den älteren Semestern ist auch viel Unkenntnis dabei.“ Vielen Nutzern ist außerdem nicht klar, dass das Web nichts vergisst: Alle ins Netz gestellten Informationen können jederzeit kopiert, archiviert und daher nicht mit letzter Sicherheit entfernt werden.
Der Erfolg von Web 2.0, dem Internet zum Mitmachen, ist ungebrochen. Besonders beliebt sind soziale Netzwerke wie Facebook, MySpace oder StudiVZ. Hier können sich Benutzer ihr eigenes Profil mit Fotos und persönlichen Angaben gestalten, um Kontakte mit anderen Mitgliedern zu pflegen.
Laut der Onlinestudie der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ARD und ZDF von 2008 ist knapp ein Drittel aller Internetnutzer Mitglied in mindestens einem privaten oder beruflichen Netzwerk. Die zumindest wöchentliche Nutzung privater Netzwerke verdreifachte sich binnen Jahresfrist und liegt derzeit bei 18 Prozent. Die jüngeren Onliner sind noch aktiver: Fast die Hälfte der 14- bis 29-Jährigen ist zumindest wöchentlich in privaten Netzwerken unterwegs. Allein StudiVZ hat nach eigenen Angaben über 13 Millionen Nutzer.
Wer sich in sozialen Netzwerken tummelt, steht vor einem Dilemma. „Je mehr persönliche Daten preisgegeben werden, desto größer ist der Kontakt-Erfolg“, stellt eine Studie der Berliner Universität der Künste 2008 fest. Drei fiktive Figuren wurden einen Monat lang im Web beobachtet. „Dabei hat die offenherzige Studentin weit mehr Kontaktangebote bekommen als ihre beiden zurückhaltenden Kollegen“, resümiert Wilberg, die die Untersuchung beauftragte.
Die in den Netzwerken angezeigte Anzahl der Kontakte eines Profils gilt unter Onlinern als Statussymbol: Wer bekannt ist, hat Prestige. „Im Zeitalter von Castingshows und Dschungel-Camps wird einer ganzen Generation suggeriert, alle könnten Superstars sein“, heißt es im Datenschutzbericht 2009 des Landes Nordrhein-Westfalen. Wichtig sei angeblich nur die richtige Präsentation der eigenen Person.
Doch die schöne Welt der virtuellen Gemeinschaft hat ihre Tücken. Für die Nutzerprofile interessieren sich nämlich nicht nur Kontaktsuchende. Mittlerweile gibt es Suchmaschinen, die auch Communities durchforschen können. Nach einer Befragung des Bundesverbandes Deutscher Unternehmensberater von 2007 macht sich gut ein Drittel der Personalberater im Netz ein Bild über die Bewerber. Ebenso gern bedient sich die Boulevard-Presse im Internet: Als im April 2007 zwei Studentinnen bei einem Unfall sterben, druckt die Bild-Zeitung Fotos der Opfer. Eine Abbildung stammte laut bildblog.de aus ihren StudiVZ-Profilen. Im Januar 2008 verwendete derselben Quelle zufolge auch Bild am Sonntag das StudiVZ-Foto einer jungen Frau, die bei einem Skiunfall ums Leben kam.
Die Betreiber der Netzwerke verfolgen ebenfalls eigene Interessen. Denn die Nutzerprofile dienen ihnen als wirtschaftliche Basis. Zwar ist die Mitgliedschaft in den Kontaktbörsen kostenlos. Bezahlt werden muss aber trotzdem: mit persönlichen Daten. Diese werden von den Betreibern für personalisierte Werbung genutzt. Ende 2007 bestätigte StudiVZ, das sogenannte Targeting, also die zielgruppenspezifische Bannerwerbung eingeführt zu haben. Dafür werden Merkmale wie Alter, Geschlecht, Wohnort und Studienfachrichtung verwendet. Lippenstift-Werbung wird nur bei Frauen angezeigt, Männer sehen Werbung für Rasierer. Dass dabei personenbezogene Daten an Dritte verkauft werden, weist StudiVZ von sich.
Bei der Vorstellung seines Jahresberichts im April 2009 kritisierte der Bundesbeauftragte für den Datenschutz Peter Schaar den „digitalen Exhibitionismus der Nutzer“, der dem Missbrauch Tür und Tor öffne. Zugleich wies er auf das Problem der „umfassenden Registrierung von Interessen und Verhalten“ hin. Denn nicht nur in sozialen Netzwerken liefern Onliner freiwillig ihre Daten ab: Auch bei der Nutzung anderer kostenloser Dienstleistungen im Netz wie Suchmaschinen, Routenplanern, Video-Portalen, Online-Fotoalben oder E-Mail-Diensten werden automatisch Informationen abgeschöpft.
„Datenkrake Google ist eines der fantastischsten Beispiele“, sagt „padeluun“, Künstler und Mitbegründer des Bielefelder Datenschutzvereins FoeBuD, der jährlich die Big-Brother-Awards für Datenverstöße verleiht. „Google sagt: Ich sammle alles, gucke, was ich damit tun kann und nutze es dann – und behauptet, nur Gutes zu tun.“ Auch in diesem Fall gehe es letztlich um Werbekunden. „Ein Unternehmen hat kein anderes Interesse, als an Geld zu kommen“, so „padeluun“. „Als Nutzer muss ich mir klar werden, dass ich im Rahmen von Angebot und Nachfrage ein Objekt bin, das dafür da ist, seinen Geldbeutel zu öffnen.“
Das ist ganz im Sinn der Werbewirtschaft. Rishad Tobaccowala, Manager einer der weltgrößten Werbefirmen, lobte 2006 in der Zeitschrift The Economist die auf Internet-Technologien basierende Werbung. Herkömmliche Werbung gleiche der Bombardierung einer Stadt. Wer damit erreicht werde, sei unsicher. Intelligente Netzanzeigen hingegen seien effizienter: „Werbeunternehmen fertigen nun zahlreiche Speerspitzen und bringen die Menschen dazu, sich selbst aufzuspießen.“
Dominik Reinle
goethe.de, München, 01. Juni 2009
Original: http://www.goethe.de/wis/bib/thm/akt/de4743253.htm