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Neues Urheberrecht: Verhaftungswelle auf Schulhöfen?

Fairer Kompromiss oder industriefreundliche Regelung?

Auf ein geteiltes Echo stößt der am Mittwoch vorgelegte Regierungsentwurf zum zweiten Korb der Urheberrechtsnovelle. Während Bürgerrechtler und Verbraucherschützer vor allem die Streichung der Bagatellklausel kritisieren und eine "Kriminalisierung der Schulhöfe" befürchten, zeigen sich Künstlerverbände und Verwertungsgesellschaften von diesem Schritt erfreut, wehren sich aber gegen die Einschränkungen bei einer pauschalen Vergütung. Lob kommt vor allem von der Industrie, die aber zugleich weitere Schritte fordert.

Harsche Worte für den Gesetzentwurf zur Reform des Urheberrechts, findet Malte Spitz, der im Fairsharing-Netzwerk und Grüne Jugend aktiv ist: "Mit diesem Entwurf ist Brigitte Zypries der Lobby der Medienindustrie quasi auf den Schoß gestiegen. Durch den Wegfall der Bagatellklausel werden Millionen Menschen in Deutschland kriminalisiert, besonders junge Menschen sind davon stark betroffen. Der Einstieg in die Wissensgesellschaft wurde verschlafen und wirft Deutschland zurück in ein Zeitalter, wo die digitale Gesellschaft noch gar nicht existierte."

Die Grüne-Bundestagsfraktion titelt: "Kabinettsküche hat Urheberrecht endgültig verkocht - Entwurf wird digitaler Informationsgesellschaft nicht gerecht". Der jetzt vorgelegte Entwurf schafft keinen fairen Ausgleich zwischen dem Interesse an freiem Informationszugang und dem Schutz des geistigen Eigentums. Der Vorschlag sei geprägt von den Interessen der Verwerter-Lobby und der Geräteindustrie. Die Streichung der Bagatellklausel halten Grietje Bettin, medienpolitische Sprecherin der Grünen, und Jerzy Montag, rechtspolitischer Sprecher der Fraktion, ebenfalls für falsch: "Zu guter Letzt ist die Ministerin auch noch bei der Bagatellklausel eingeknickt. Statt die Strafverfolgung von Urheberrechtsverletzungen auf Strukturen organisierter Kriminalität zu konzentrieren, sollen Polizei und Staatsanwaltschaft jedem Fall unerlaubten Kopierens nachgehen. Deutschland als Wissensgesellschaft? Fehlanzeige: Mit diesem Entwurf sollen unter Rot-Grün erkämpfte Freiheiten in Unterricht und Forschung zunichte gemacht werden." Katja Husen, Mitglied im Bundesvorstand von Bündnis 90/Die Grünen, stellt ebenfalls auf die Kriminalisierung der Schulhöfe ab: "Damit nimmt sie die Kriminalisierung mehrerer Millionen hauptsächlich junger Menschen in Kauf."

In eine ähnliche Richtung geht die Kritik des Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), Vorstand Edda Müller sieht eine "Kriminalisierung von Jugendlichen auch in Bagatellfällen sowie eine Überlastung der Strafverfolgungsbehörden".

Das Kabinett habe mit dem Entwurf zum Urheberrecht die Weichenstellung für die Zukunft verspielt, heißt es von Seiten des Chaos Computer Clubs (CCC). Der CCC spricht in einer Stellungnahme von tiefer Enttäuschung über das kurzsichtige Handeln der Bundesregierung und deren "weitgehende Ignoranz gegenüber Verbraucherinteressen [...] Den Buchstaben des Entwurfes folgend müsste es nach Inkrafttreten des Gesetzes zu einer Verhaftungswelle auf den Schulhöfen kommen." Auch gehe der Entwurf auf die Probleme mit DRM (Digital Rights/Restrictions Management) nicht ein, der CCC kritisiert vor allem ein klares Bekenntnis zu Interoperabilität und zum Datenschutz.

Auch der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) hält die Modernisierung des Urheberrechts für nur teilweise gelungen. Allerdings geht die Kritik hier in die entgegengesetzte Richtung: Der Verband kritisiert das Festhalten an pauschalen Vergütungssystemen statt eines konsequenten Systemwechsels hin zur DRM. Dennoch bezeichnet Bitkom-Vizepräsident Jörg Menno Harms den Entwurf als "erträglichen Kompromiss".

Ebenfalls zufrieden mit der Streichung der Bagatellklausel ist man beim Deutschen Kulturrat, allerdings stoßen auch hier die Regelungen zur pauschalen Vergütung auf Kritik, wenn auch in anderer Richtung als bei Bitkom: "Sollte diese Regelung vom Deutschen Bundestag angenommen werden, hieße es, dass bei jedem Speichermedium zunächst nachgewiesen werden muss, dass zu mehr als 10 Prozent urheberrechtsrelevante Kopien angefertigt werden, bevor eine Vergütungsabgabe überhaupt greift." Voraussichtlich über Jahre hinweg würden keine Ausschüttungen aus der Vergütungsgabe erfolgen. Auch die Deckelung der Vergütungsabgabe auf 5 Prozent des Speichermediumspreises unter Auslassung der Verbrauchsmaterialien stelle eine deutliche Schlechterstellung der Künstler dar.

Auf Seiten der CDU/CSU-Fraktion betont man die Stärkung der Rechte von Urhebern und lobt den Entwurf, denn dieser gehe auf die Anforderungen und neuen Herausforderungen des Urheberrechts in einer Informations- und Wissensgesellschaft ein. "Geistige und kreative Leistungen werden in Zukunft für unsere Volkswirtschaft eine immer größere Rolle spielen, so dass eine vernünftige wirtschaftliche Verwertung sichergestellt werden muss", heißt es in einer Stellungnahme von Dr. Jürgen Gehb, rechtspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, und Dr. Günter Krings, Berichterstatter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für das "Geistige Eigentum" im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages. Der Gesetzentwurf bildet eine gute Arbeitsgrundlage für das nun anstehende parlamentarische Verfahren, weitere Änderungen zur Stärkung der Rechte der Urheber müssten aber noch diskutiert werden.

Anders wertet die Verwertungsgesellschaft Wort (VG Wort) den Beschluss des Bundeskabinetts und sieht die Rechte der Urheber durch einen industriefreundlichen Regierungsentwurf beschnitten: "Die Arroganz der Ministerien, mit der über die eingebrachten Bedenken und Veränderungsvorschläge hinweggegangen wurde, kann jetzt im schlimmsten Fall dazu führen, dass über Jahre hinaus überhaupt keine Vergütungen für das private Kopieren und Speichern urheberrechtlich geschützter Inhalte mehr von der Industrie gezahlt werden", kritisiert VG-WORT-Vorstand Professor Dr. Ferdinand Melicha.

Kulturstaatsminister Bernd Neumann begrüßt den Kabinettsbeschluss zum Urheberrecht als "fairen Kompromiss": "Ich habe ihm insbesondere auch deshalb zugestimmt, weil er die im Regierungsentwurf der letzten Legislaturperiode enthaltene so genannte Bagatellklausel nicht mehr vorsieht. Das ist ein wichtiges Signal dafür, dass der Schutz des geistigen Eigentums als einem der wichtigsten kulturellen Güter essenziell ist und eine Verletzung nicht bagatellisiert werden darf."

Auch von Seiten der FDP kommt Lob für die Streichung der Bagatellklausel. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger lobt den Vericht. "Das ist eine gute Nachricht für die Schöpfer und die Verwerter urheberrechtlich geschützter Werke. Zugleich ist es eine herbe Niederlage für Bundesjustizministerin Brigitte Zypries, die bis zum Schluss hartnäckig an dieser verfehlten Bestimmung festhalten wollte."

golem.de, Berlin, 23. März 2006
Original: http://www.golem.de/0603/44210.html

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