FoeBuD e.V.  ·  Marktstraße 18  ·  D-33602 Bielefeld
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Der mit den Datenkraken ringt - Interview mit padeluun vom FoeBuD e.V.

Wir leben in einer Zeit der stetig weiter absinkenden Wahlbeteiligung auf allen parlamentarischen Ebenen. Seit einigen Jahren greift langsam aber merklich ein Phänomen um sich, von dem so keiner recht eine Ahnung hat, wie es entstanden ist und vor allem wo es hinführen wird. Immer weniger Bürgerinnen und Bürger sind zur Wahlurne zu bewegen - egal ob es um eine Europawahl, Landtagswahl, Bundestagswahl oder Kommunalwahl geht.

Es ist nicht unbedingt Protest weswegen sie bei Wahlen zu Hause bleiben. Viele der Nichtwähler haben das Gefühl, ihnen fehlen die Alternativen. Als Gegenfrage bekommt man gestellt: "Wenn man Keinem so recht vertrauen kann und unterm Strich irgendwie alle Parteien ähnliche Dinge fordern. Warum wählen gehen wenn man eh nichts mit seiner Stimme ausrichtet?" Mitunter fällt es schwer dagegen zu argumentieren. Ein generelles, politisches Desinteresse greift seit langem um sich. Was sich innerhalb der eigenen vier Wände, im Freundeskreis und der Familie abspielt, ist von zentralem Interesse. Alles außerhalb davon kann man nach Aussage von immer mehr Menschen sowieso nicht beeinflussen.

Politiker mit Rückgrat fehlen. Aufrechte Menschen mit Charisma, die sagen was ihnen gerade in den Sinn kommt. Den aalglatt wirkenden, meist wenig aneckenden Kandidaten, die die Parteien heutzutage ausspucken, kann kaum ein Wähler etwas abgewinnen. Die Ausnahmepolitiker von früher fehlen. Menschen, denen man glaubt, dass sie ihren Job gerne und für uns machen. Und nicht primär um ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen. Oft hat man den Eindruck, dass gerade das an Meinungen veröffentlicht wird, was einem die Wiederwahl garantiert. Am Mangel an Ausstrahlung und Glaubwürdigkeit konnten auch die zahllosen parteieigenen Rhetorikseminare nichts ändern. Die Menschen in Deutschland scheinen zusehends zu resignieren und vertreiben sich den Wahlsonntag anderweitig anstatt ihrer Bürgerpflicht nachzukommen.

Die innere Kündigung gegenüber der Demokratie ist sicherlich eine Möglichkeit wie man versuchen kann mit dem Dilemma umzugehen. Die Mitglieder vom Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs, kurz FoeBuD e.V. zeigen einen anderen Weg auf. Sie suchen ihre Möglichkeiten außerhalb der parlamentarischen Gremien und Parteimühlen. Zwar wird es kein Mitglied dieses Vereins ohne E-Mail Account geben, jedoch wäre der Begriff Computerclub irreführend. Offensichtlich haben alle in diesem Aktionskreis eine Affinität zur modernen Technik, aber es geht um weit mehr als um den Austausch von Software oder den Erfahrungen damit. Bei den Bielefeldern dreht sich alles um ein außerparlamentarisches Engagement in den Bereichen der Politik, Umwelt und Menschenrechte. Es geht im Allgemeinen um so genannte Datenkraken. Also um Firmen oder Behörden, die mehr oder weniger sinnvoll in Massen Informationen ihrer Kunden oder von Bürgern sammeln und verarbeiten. Das Ziel im Besonderen ist der Schutz dieser sensiblen Daten. Ich habe einen der Gründer vom FoeBuD für ein paar Stunden in Beschlag genommen, um ihn über den Verein und dessen Tätigkeiten ausführlich zu befragen.

Lars Sobiraj: Würdest Du dich bitte vorstellen? Wie bist Du zum FoeBuD gekommen und was reizt dich speziell an der Arbeit in diesem Verein?

padeluun: Mein Name ist padeluun, ich bin Künstler und habe zusammen mit Rena Tangens im Jahr 1987 den FoeBuD e.V. gegründet. FoeBuD ist eine ähnlich bescheuerte Bezeichnung wie "FeTAp mit GebAnz", was für Fernsprechtischapparat mit Gebührenanzeiger steht. Uns interessierte von Anfang an der Wandel der Gesellschaften beim Ausbreiten der Digitaltechnik. Uns interessiert: "Was passiert in und mit den Köpfen von Menschen". Und da wir praktische Menschen sind, haben wir nicht nur theoretisch drüber rumgeschwätzt, sondern hands-on kräftig mitgemischt. Mittlerweile gelten wir als Pioniere des Internet (was *so* nicht stimmt) und als Pioniere des Datenschutzes (was aber die Arbeit ganz viel anderer außen vor lässt).

Lars Sobiraj: Der Name FoeBuD ist alles andere als eingängig, dem kann ich nur zustimmen. Aber ein paar Daten & Fakten über den Verein wären sehr von Interesse. Was kann jemand tun, der eure Sache unterstützen möchte? Gibt es spezielle Bereiche, wo ihr euch noch mehr Unterstützung von außerhalb wünschen würdet?

padeluun: Mittlerweile sind es etwas über hundert Mitglieder. In den letzten zwei Jahren sind fast 50 neue Mitglieder hinzugekommen. Die meisten Menschen, die unsere Arbeit unterstützen möchten, tun das durch regelmäßige monatliche Geldspenden, andere arbeiten ganz viel (bei den BigBrotherAwards, die wir einmal jährlich veranstalten, arbeiten zum bis zu 60 Menschen freiwillig mit. Einige nehmen dafür schon mal einen Monat Urlaub.

Was uns fehlt sind noch Grafik-, CSS- und Videoschnittgenies, die Spaß am Gestalten haben und dennoch ihr eigenes Licht unter den Scheffel "FoeBuD" (mit anerkannt langweiligem Layout) stellen können.

Lars Sobiraj: Auf eurer Website sprecht ihr davon, wir Bürger werden verdatet und verkauft - Wo seht ihr die Bereiche, bei denen in unsere Intimsphäre am tiefsten bzw. am unauffälligsten eingedrungen wird?

padeluun: Es ist die Bandbreite der Angriffe. Welchen Kaffee ich am Morgen trinke, wusste früher nur die Verkäuferin. Heute weiß es der Konzern. Mit ihm dann auch bald die Exekutive. Aggregatoren sammeln Daten aus unterschiedlichsten Quellen und führen sie zusammen. Erkenntnisse (oder *vermeintliche* Erkenntnisse) werden verkauft. Die Systematik, die dahinter steckt ist ein Problem.

Lars Sobiraj: Wenn jetzt jemand behauptet das mit der Überwachung und der unbemerkten Sammlung von Daten sei doch alles nur Panikmache. Wie kann man dagegen argumentieren, wie kann man eine Frau oder den Mann von der Strasse von eurer Sache überzeugen?

padeluun: Das werden alle die bemerken, die bei Hotlines immer so lange warten müssen, weil eine anonyme Datensammelmaschine sie in die Kategorien B bis D abklassifiziert hat - die werden später bedient - neu hinzukommende A-Kunden drängeln sich an den Wartenden in der Telefonschlange vorbei ganz nach vorne zum Call Center Agenten. DAS sind Auswirkungen von Datensammlungen. Nur haben das die meisten Menschen noch nicht als das Problem erkannt. Sie denken immer, das Schlimmste sei, dass man mehr Werbung bekäme. Aber auch hier ist eher das Gegenteil der Fall. Man bekommt nur noch die Werbung, die einen in der eigenen Dummheit möglichst gut unterstützt. Im Euphemismusdeutsch heißt das: "Die Menschen dort abholen, wo sie sind." Mit meinem Zusatz: "Aber sie nirgendwo hinbringen, als bis zum Kaufen und Bezahlen unsinniger Produkte."

Lars Sobiraj: Welche Ausrichtung ist bei der Gesetzgebung in Deutschland und Europa aktuell zu beobachten? Setzt man sich tendenziell mehr für den Schutz der BürgerInnen ein oder geht die Reise eher in Richtung Überwachungsstaat? Und gibt damit den Firmen mehr freie Hand für ihre Handhabe?

padeluun: Überwachungsstaat? Es gibt niemanden, der einen "Überwachungsstaat" fordert. Da nutzt man lieber die gute alte euphemistische Trickkiste und spricht von "Sicherheit, die garantiert werden muss". Dabei steht aus gutem Grund keine Sicherheitsgarantie in unserem Grundgesetz drin:

Sicherheitgarantieversprechen kann nur der abgeben, der einen totalitären Staat errichten möchte. Denn eine solche Garantie kann nie eingehalten werden, gibt aber jedem Staat die Befugnis, jedes ihm genehme Mittel zum Erlangen des unmöglichen Ziels zu nutzen. Politikerinnen und Politiker, die das mit betreiben, können sich nun aussuchen, ob wir sie als böse und "Möchtegerndiktatoren" oder - freundlicher formuliert - als einfach nur dumm sehen sollen.

Lars Sobiraj: Welche Reaktionen bekommt ihr von PolitikerInnen auf eure Anfragen? Wie reagieren betroffene Firmen, wie z. B. der Metro-Konzern, Microsoft etc.?

padeluun: Spannendes dazu gibt's in unserem Buch "Schwarzbuch Datenschutz", in dem Datenkraken aus sechs Jahren BigBrotherAwards dokumentiert und die weiteren Ereignisse mit denen beschrieben haben. Da waren schon wirklich außerirdische Dinge dabei. Metro ist sicherlich ein Beispiel, wo ich mir wünschen würde, dass die sich endlich mal eine Krisen-PR-Abteilung aufbauen würden - die machen so viele Fehler, dass es schon richtig weh tut. Die bedrohen Journalisten, starten unsinnige Klagen (die sie dann auch verlieren), schreiben die Chefs von Leuten an, die hier mitarbeiten etc. Im Fachmagazin "Journalist" ist gerade ein Artikel über diese unfeinen Methoden erschienen.

Lars Sobiraj: Die Benutzung von RFID-Chips scheint für die Industrie immer attraktiver zu werden. Wo finden sich diese Schnüffelchips bereits und was kann man tatsächlich als Konsument aktiv dagegen tun?

padeluun: Das wichtigste ist, Protest zu artikulieren. Und zwar z.B. auch dadurch, dass man direkt seine/n Bundestagsabgeordnete/n anschreibt oder Leserbriefe an Zeitungen schreibt, die immer noch allzu oft auf die bunten Prospekte der Industrie reinfallen. Metro versucht auch mit fertigem Unterrichtsmaterial in die Schulen hereinzukommen - hier sollten sich Lehrerinnen und Lehrer klar sein, dass sie sich nicht zu Steigbügelhaltern des unkritischen Einsatzes von potentiell gefährlicher Technik missbrauchen lassen sollten.

Und: Wir freuen uns für unsere sehr wirksame Arbeit über regelmäßige Geldspenden. Mehr dazu findet sich auf unserer Website, gleich oben links.

Lars Sobiraj: A propos: Im Sortiment eures Onlineshops fehlt noch eine große Kaffeetasse mit entsprechender Beschriftung für alle KoffeinJunkies.

Aber um aufs Thema zurück zu kommen: Wenn diese Chips auf nur wenige Meter erkannt werden können. Und nicht wie ein Handy, das man prima orten kann und das überall und jederzeit! Warum messt ihr diesen Chips eine solche Bedeutung bei? Was macht diese für die Industrie so interessant?

padeluun: Der Industrie ist egal, ob diese Chips nützlich sind. Wenn genügend Leute glauben, dass diese Chips nützlich sind und davon Milliarden Stückzahlen verkauft werden, reicht denen das. Glücklicherweise haben wir (und die Organisation C.A.S.P.I.A.N. in USA) rechtzeitig die Warnflagge aus dem "Window of Change" gehalten. Und damit ist die Ausbreitung jetzt schon drei Jahre gestoppt.

Bei einer großen Ausbreitung von Chips (und damit auch von Lesegeräten) ist die Positionsbestimmungsgenauigkeit weitaus größer als bei Handys: Man weiß dann, dass Sie sich einem Lesegerät auf null bis 150 Zentimeter angenähert haben. Bei Handys wissen Sie eine Position nur angenähert auf mehrere Kilometer. Im Fall einer in Paderborn vermutlich entführten und Tage später tot aufgefundenen jungen Frau hatte die Handypositionsbestimmung nichts genutzt.

Lars Sobiraj: Wenn eine Firma tatsächlich auf die Idee kommen sollte, Orginal-DVDs mit einem solchen Chip auszustatten. Was könnte denen das unterm Strich bringen?

padeluun: Ich muss mir nicht jede blöde Idee, wo man noch RFIDs integrieren könnte, angucken. In Bibliotheken zur Ausleihe gibt's so was ja schon. Es ist aber immer dasselbe Problem: Ich habe bewusst oder unbewusst diese Schnüffelchips an mir und jedes standardisierte Lesegerät muss die Teile auslesen. Ich bin tracebar, wenn diese Daten wieder von Datenaggregatoren genutzt und ausgewertet werden. Andere, mir völlig unbekannte Strukturen wissen genauer, wo ich letztes Jahr am 23. Mai war, als ich selbst. Das ist nicht das, was ich mir unter meinem Menschenrecht "Informationelle Selbstbestimmung" vorstelle. Im Gegenteil: Das ist teuflisch.

Lars Sobiraj: Ich würde mir wünschen, dass wir mit diesem Interview vielleicht ein paar Bürgerinnen und Bürger wachrütteln und reaktivieren können, die innerlich mit der Demokratie gekündigt haben. Ich wünsche euch auf jeden Fall weiterhin viel Erfolg beim Ringen mit den Datenkraken und vielen Dank für die ausführliche Beantwortung der Fragen!

padeluun: Gerne.

Lars Sobiraj

Gulli, Bochum, 25. November 2006
Original: http://www.gulli.com/news/der-mit-den-datenkraken-ringt-2006-11-25/

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