Der Bochumer RA Michael Schwarz legt Klage gegen die Ordnungsbehörde Bochum ein mit dem "Antrag, die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 8. November 2007 zu verpflichten, mir den beantragten Reisepass zu erteilen, ohne Fingerabdrücke von mir zu erfassen". Der Zwang zur Abgabe der Fingerabdrücke, alternativ die Verweigerung eines Reisepasses verstoßen gravierend gegen mehrere Gesetze und Grundrechte.
Bereits der Prozess der Gesetzgebung sei undemokratisch abgelaufen, die beschlossenen Regeln damit hinfällig, so die Argumentation Schwarz'. Das fertige Gesetz und seine praktische Umsetzung verstößt weiter gegen Grundrechte. Schwarz in der Klageschrift:
"Die obligatorische Erfassung von Fingerabdrücken bzw. die Nichterteilung von Reisepässen ist formell und materiell verfassungs- und gemeinschaftsrechtswidrig. Der Maßnahme fehlt schon die Rechtsgrundlage. Zudem waren die Verfahren parlamentarisch nicht demokratisch. So wurde das Europäische Parlament nicht ordnungsgemäß gehört und der Gesetzesvorbehalt des Deutschen Bundestages wurde missachtet. In der Sache aber verletzt die obligatorische Erfassung von Fingerabdrücken das allgemeine Persönlichkeitsrecht auf informationelle Selbstbestimmung bzw. das Recht auf Freizügigkeit der Person."
Für viele dürfte jedoch die einleitende Übersicht über die Sozialgeschichte der Daktyloskopie, der Kriminalistik und des Datenschutzes noch interessanter zu lesen sein wie die abschließende juristische Argumentation. Auf vergleichsweise kurzem Raum breitet Schwarz hier die Geschichte der staatlichen Erfassung seiner Bürger, der gesetzlichen und moralischen Begründungen sowie der geschichtlichen und sozialphilosophischen Lehren aus den jeweiligen Handlungspraxen aus. Weder Foucault mit seinen Standardwerken zur Überwachung fehlen wie die Lehren, die in Deutschland aus dem Naziregime und seinem Kontrollwahn gezogen wurden. Geschlagen wird der Bogen dann bis in die heutige Zeit. Und im Verlauf der Heranführung stößt man auf einige Perlen, die aktueller denn je sind.
Beispielsweise 1986 war alles schöner, besser und aus Holz, und die Gesetzgebung beschloss noch Kleinode wie
"Der Pass darf weder Fingerabdrücke noch verschlüsselte Angaben über die Person des Inhabers enthalten. Die Seriennummer und die Prüfziffern dürfen keine Daten über die Person des Passinhabers oder Hinweise auf solche Daten enthalten. Jeder Pass erhält eine neue Seriennummer."
Nach dem 11. September war alles anders. Im Zuge der "Terrorbekämpfuing" wurden in Rekordgeschwindigkeit durch die Gremien gepeitscht, die Rechtfertigung war bekanntermaßen der internationale Terrorismus und die immensen Gefahren, denen nun begegnet werden müsse. Dabei verzichtete man bereitwillig auf demokratische Legitimation:
"Die weitreichende Maßnahme, Fingerabdrücke in die Pässe aller EU-Bürgerinnen und Bürger aufzunehmen, ist also allein durch die Regierungen und nicht durch die Parlamente entschieden worden, obwohl dies erhebliche Konsequenzen für die Grundrechte hat."
Was auch anschaulich vorgeführt wird. Schwarz' Beispiel ist der Abgeordnete Frank Hofmann, der "die Freiheit aller Mitglieder des Deutschen Bundestages" mit den Worten leugnete
"Ich will in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass wir die Pflicht haben, die EU-Richtlinie in nationales Recht umzusetzen."
Schwarz führt Art. 38 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes an, welches Hofmann offenbar für minder relevant hält: "Sie (die Abgeordneten des Bundestags, Anm. K.) sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen."
Auch ein bisher wenig beachtetes "Wiefelspützen" führt Schwarz an, um zu illustrieren, dass in den Hirnen der Gesetzesgeber nach einiger Zeit die ursprünglichen Begründungen geplanter Gesetze auf bizarre Art rückstandslos verdunsten:
"Lieber Kollege Wieland, sind Sie in der Lage, zu begreifen, dass es bei der Einführung dieses wunderbaren neuen Passes nicht um Terrorismus oder Fälschungsfragen geht, sondern darum, dass man an der Grenze, wenn Sie einen solchen Pass eines Tages haben, blitzschnell feststellen kann: 'Wieland ist derjenige, der in dem Pass steht, und umgekehrt.'? Das ging bislang nicht. Das ist der geniale Fortschritt. Sind Sie nicht der Meinung, dass dieses Hightechinstrument, dieser Pass, den es weltweit nur in Europa gibt, das wert ist, weil er den Bürgern in der Tat mehr Sicherheit verschafft? Mit Terrorismus hat das alles nichts zu tun, lieber Herr Wieland."
So Dieter Wiefelspütz nicht zum ersten Mal: Auch die Vorratsdatenspeicherung dient ja inzwischen laut dem Innenexperten der SPD nicht der Terrorbekämpfung.
Was das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen nun zu der Klage sagt, wird sich weisen. Eine ordentliche Einführung in die Rechts- und Sozialgeschichte werden die Richter auf jeden Fall bekommen. Und jeder interessierte Leser auch (http://www.foebud.org/datenschutz-buergerrechte/biometrie/klage-fingerabdruecke.pdf).
Richard Joos
Gulli, Bochum, 13. Dezember 2007
Original: http://www.gulli.com/news/fingerabdruck-im-pass-2007-12-13/