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Observation Dr. Rolf Gössners nach 38 Jahren eingestellt

Verfassungsschutz

Datenschützer kennen und schätzen die Big Brother Awards, bei denen einmal im Jahr Behörden und Unternehmen, die den Datenschutz besonders sträflich missachten, mit Negativpreisen medienwirksam ausgezeichnet werden. Der eine oder andere kennt vielleicht auch Jury-Mitglied Dr. Rolf Gössner. Diesem wurde die letzten 38 Jahre lang die zweifelhafte Ehre zuteil, vom Verfassungsschutz observiert zu werden. Nun, kurz vor Beginn der Verhandlungen in einem Verfahren, in dem Gössner die Bundesrepublik Deutschland wegen dieses - seiner Meinung nach ungerechtfertigten - Eingriffs in seine Grundrechte verklagt, wurde die Überwachung offenbar eingestellt.

Laut Pressemitteilungen des FoeBuD e. V., der die Big Brother Awards ausrichtet, und der Internationalen Liga für Menschenrechte, soll der erste Verhandlungstermin im "Klageverfahren Dr. Gössner gegen Bundesrepublik Deutschland" am 20.11.2008 vor dem Verwaltungsgericht Köln stattfinden. Heute, zwei Tage vorher, teilte das Bundesamt für Verfassungsschutz mit, dass die Überwachung Gössners mit sofortiger Wirkung eingestellt wurde.

In der Mitteilung hieß es, "... dass die Beobachtung des Klägers - nach aktuell erfolgter Prüfung durch das Bundesministerium des Innern und das Bundesamt für Verfassungsschutz - eingestellt worden ist. Die hier zum Kläger erfassten Daten werden ab sofort gesperrt. Von der Löschung der Daten wird - trotz ihrer Löschungsreife -insbesondere wegen der anhängigen Auskunftsklageverfahren bis zum rechtskräftigen Abschluss der Verfahren abgesehen." Für Gössner und seinen Anwalt Dr. Udo Kauß kommt dieser Schritt vollkommen überraschend. Sie vermuten, dass der Verfassungsschutz "mit diesem diesem Überraschungscoup seiner wahrscheinlichen Verurteilung zuvor kommen" will. Gössner klagt vor dem Verwaltungsgericht auf Auskunft über sämtliche Daten, die der Verfassungsschutz über den rekordverdächtigen Zeitraum von fast vier Jahrzehnten zu seiner Person erfasst und gespeichert hat. Außerdem klagt er auf Löschung/Sperrung der Daten sowie auf Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner geheimdienstlichen Dauerüberwachung.

Gössner ist als Publizist, Rechtsanwalt, Parlamentarischer Berater, als Repräsentant der "Internationalen Liga für Menschenrechte" sowie als Mitglied der Jury zur Verleihung des Datenschutz- Negativpreises "Big Brother Award" gesellschaftlich sehr engagiert. Das jedoch dürfte seine Überwachung durch das BfV indirekt begünstigt haben: Im Rahmen dieser Tätigkeiten hatte er Kontakt zu Personen, die vom Verfassungsschutz als "linksextremistisch" oder "linksextremistisch beeinflusst" eingestuft werden. Das machte ihn in den Augen des deutschen Inlandsgeheimdienstes verdächtig. Zu den in diesem Zusammenhang genannten Gruppen gehören unter anderem die "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes" (VVN) und die Rechtshilfegruppe "Rote Hilfe e. V.". Gössner wird vorgeworfen, durch Reden, Interviews und schriftliche Publikationen (unter anderem in der sehr weit links angesiedelten Tageszeitung "Junge Welt") diese Gruppen "nachhaltig in ihren "verfassungsfeindlichen Zielen" unterstützt zu haben". Selbst wenn Gössner in solchen Medien nicht selbst publizierte, sondern lediglich über ihn oder die von ihm veröffentlichten Bücher berichtet wurde, wurde dies in seiner Personenakte vermerkt.

Gössner wird dabei nicht vorgeworfen, selbst verfassungsfeindliche Ziele zu verfolgen oder sich entsprechend geäußert zu haben. Gegenstand der Verdächtigungen gegen ihn sind lediglich seine Kontakte zu bestimmten Personen. Gössner selbst und seine Kollegen von der "Internationalen Liga für Menschenrechte" betonen, es habe sich bei diesen Kontakten ausschließlich um "Berufskontakte im Rahmen seiner beruflichen und ehrenamtlichen Tätigkeiten, insbesondere seiner Bürger- und Menschenrechtsarbeit" gehandelt. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass insbesondere Gössners zahlreiche Publikationen, in denen sich kritisch über die Praktiken der Sicherheitsorgane, besonders auch der Geheimdienste, äußert, vom Verfassungsschutz gesammelt wurden.

Bei der jahrelangen Observation Gössners ignorierte der Verfassungsschutz offenbar auch besondere Schutzrechte, die ihm als Berufsgeheimnisträger eigentlich zugestanden hätten. So seien neben Gössners eigenen Grundrechten "auch wichtige Berufsgeheimnisse gefährdet worden, insbesondere das Mandatsgeheimnis und der Informantenschutz und die ausforschungsfreie Sphäre, die für unabhängige Menschenrechtsgruppen unabdingbar ist," berichtet die "Internationale Liga für Menschenrechte" in ihrer Pressemitteilung. Weiter heißt es dort: "Selbst seine Wahl zum Deputierten der Bremer Bürgerschaft sowie zum stellvertretenden Richter des Bremischen Staatsgerichtshofs im vorigen Jahr führte nicht dazu, dass seine Beobachtung eingestellt wurde. Im Gegenteil: Das BfV erklärte den Kölner Verwaltungsrichtern wortreich, dass der Geheimdienst auch Richter, trotz ihrer verfassungsrechtlich garantierten Unabhängigkeit, beobachten dürfe."

Bürgerrechtsgruppen, Gewerkschaften und Schriftsteller hatten jahrelang immer wieder gegen die andauernde Überwachung Gössners protestiert. Wie der FoeBuD und die "Internationale Liga für Menschenrechte" nehmen sie das nun beschlossene Ende der Observation mit Erleichterung zur Kenntnis. Das Gerichtsverfahren allerdings wollen die Kläger trotzdem durchziehen und hoffen, vor dem Verwaltungsgericht recht zu bekommen.

Meinung: Ein Fall wie der Dr. Rolf Gössners ist ein Skandal und ein Armutszeugnis für den deutschen Rechtsstaat. Hier wurden nicht nur die Grundrechte des Betroffenen, sondern auch die seiner Mandanten in sträflicher Weise verletzt. Die Begründung für diese Maßnahmen ist dabei mehr als dürftig: Gössner ist seit langem in bewundernswertem Maße politisch und gesellschaftlich engagiert. Dabei bleiben, wie die meisten beispielsweise für Bürgerrechte und Datenschutz aktiven politisch aktiven Menschen bestätigen können, Kontakte zur linken Szene oft nicht aus. Diese allein machen aber bei Weitem keinen Verfassungsfeind - jemandem, der sich für Menschenrechte und das vom Bundesverfassungsgericht definierte Recht aus informationelle Selbstbestimmung einsetzt, Verfassungsfeindlichkeit zu unterstellen, ist so absurd, dass es schon lächerlich wäre, wenn dieser Fall nicht so erschreckend und traurig wäre. Es bleibt zu hoffen, dass Gössner wenigstens vor Gericht recht bekommt und so, wenn auch spät, die Gerechtigkeit wenigstens ein Stück weit wiederhergestellt wird.

Annika Kremer

Gulli, Bochum, 18. November 2008
Original: http://www.gulli.com/news/verfassungsschutz-observation-2008-11-18/

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