Rena Tangens (digital courage) und Katharina Nocun (vzbv) erläuterten auf ihrem Talk auf dem 29C3, wie es um das geplante Meldegesetz steht, welches im Juli 2012 von einer Handvoll Abgeordneter völlig leidenschaftslos in Rekordzeit verabschiedet werden sollte. Ein neues Bündnis von NGOs und das rekordverdächtige Abstimmungs-Video sorgten dafür, dass der Bundesrat dem öffentlichen Druck nachgab.
Die Änderungen, die vom Innenausschuss am 27. Juni 2012 am Meldegesetz quasi in letzter Sekunde durchgeführt wurden, waren sehr weitreichend, auch wenn sie zunächst harmlos klingen. Aus der Einwilligungs- sollte eine Widerspruchslösung werden. Demnach hätten die Bürgerinnen und Bürger nicht zuvor zustimmen müssen, wollten die Meldeämter ihre Daten an private Unternehmen weiterreichen. Die Entscheidungsträger in Berlin wollten den Bürgern lediglich die Möglichkeit einräumen, einzeln der Weitergabe zu widersprechen. Ohne Widerspruch jedes Einzelnen wäre der Datenverkauf automatisch passiert. Aus einer Opt-In- hatte der Innenausschuss im Handumdrehen eine Opt-Out-Lösung konstruiert. Auch sollte die Zweckbindung der Daten aufgeweicht werden. Ist die Ermittlung der Anschriften von Schuldnern zwecks Inkasso noch nachvollziehbar, so sollte der Verkauf der Adressdaten auch für weniger wichtige Zwecke (Adresspooling) erlaubt werden. Clever war auch §44 MeldFortG, wonach ein Widerspruch der Bürger zwecklos gewesen wäre, sofern Teile der Adresse schon zuvor bekannt waren. Da in den allermeisten Fällen lediglich Aktualisierungen der Adressdaten vorgenommen werden, hätte sich kaum jemand mit Erfolg gegen die Weitergabe wehren können. Das hätte auch für die Fälle gegolten, wo die Daten nur zu Werbezwecken verkauft werden sollten.
Interessant: Der Bundestag war trotz leerer Ränge formell beschlussfähig, weil keine Fraktion die Beschlussfähigkeit prüfen ließ. Alleine die Prüfung der Beschlussfähigkeit hätte die Abstimmung verhindern können. „So wichtig war es offensichtlich keiner Fraktion“, kommentierten Tangens und Nocun das Eigentor der parlamentarischen Opposition. Linke, Grüne und SPD haben sich diese Chance tatenlos entgehen lassen. Zudem hatte die Regierung den Termin sehr günstig gewählt. Die Mehrheit der Abgeordneten blieben der Veranstaltung fern, auch die Nation richtete ihre Augen statt auf den Bundestag auf das Fußball EM-Spiel Deutschland gegen Italien (gulli:news berichtete)
Meldegesetz
Meldegesetz Im Vorfeld der "EM-Abstimmung" kam es im Dezember zu einem Treffen mit CDU und CSU. Der Zentralverband der Deutschen Werbewirtschaft war mit dem Entwurf aus der ersten Lesung nicht einverstanden. Bedenken müsse man laut Nocun und Tangens hierbei auch, dass es beim Datenhandel für Städte und Gemeinden um viel Geld geht. Im Durchschnitt verdienen die Gemeinden 0,71 Euro an den Daten eines einzelnen Einwohners. Berlin setzte sich mit 3,3 Millionen Euro an die Spitze der Rangliste, sie verkaufen den Datensatz für 1,50 Euro pro Bürger. Den Kommunen wurde ein gewisser Spielraum für die Preisgestaltung der Daten eingeräumt, der Durchschnitt liegt bei 0,71 Euro pro Person. Anzuprangern sei nach Ansicht der beiden Vortragenden auch die Hotelmeldepflicht. Laut dieser müssen die Hotels die Übernachtungen ihrer Gäste melden, weswegen diese jeweils ihre Identität preisgeben müssen.
Um das Vorhaben zu verhindern, kam es erstmals zu einer gemeinsamen Kampagne von Campact, digital courage und der Deutschen Vereinigung für Datenschutz. Die Online-Kampagne fand in kürzester Zeit fast 200.000 Unterstützer. Selbst die erfolgsverwöhnte Organisation Campact war über dieses Ergebnis überrascht. Eine vergleichbare Beteiligung habe lediglich eine Aktion kurz nach dem Super-GAU in Fukushima erreichen können. Sehr entscheidend war aber auch die Wirkung des Abstimmungs-Videos vom Bundestag (siehe Video unten). Die Rekordzeit, innerhalb der das Gesetz quasi durchgewunken wurde, zuzüglich zu den vielen leeren Rängen, sorgte für einen erheblichen Medienrummel. Es war nach Ansicht der Talkerinnen auch von Vorteil, dass bei der Kampagne Personen abseits der sonst üblichen „Szene“ angesprochen wurden, die von der Unterschriften-Aktion sonst nichts mitbekommen hätten.
Als nächster Paukenschlag erfolgte drei Tage vor der alles entscheidenden Bundesratssitzung die Pressekonferenz im hochpreisigen Saal der Berliner Bundespressekonferenz. Leider würden sich diverse Redakteure nur dazu überzeugen lassen, für eine Berichterstattung dort hin zu kommen. Wer als NGO seine Angelegenheit bekannt machen will, kommt um die hohe Saalmiete offenbar nicht herum. Entwarnung?
Doch das Meldegesetz ist noch nicht vom Tisch. Am 14. Januar 2013 tagt die Arbeitsgruppe des Vermittlungsausschusses unter anderem mit dem Innenexperten Hans-Peter Uhl (CSU), dem Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen, Dr. Ulrich Schröder, MdB Reinhard Grindel (CDU), dem innenpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Michael Hartmann und vielen mehr. Besagter MdB Uhl sagte zuvor noch als Rechtfertigung: „Beispiel: Sie wollen eine Abiturfeier machen und suchen noch zwei ehemalige Mitschüler und wissen nicht, wo sie hingezogen sind. (…) Es geht also nicht um die Werbewirtschaft."
Nach dem Treffen des Vermittlungsausschusses stimmt der Bundestag demnächst erneut über ein geändertes Meldegesetz ab. Problematisch könnte die Angelegenheit werden, weil sich dieses Vorhaben nicht mehr allzu häufig in den Medien wiederspiegelt. Sobald das öffentliche Interesse abflaut, geht vielfach erst die politische Arbeit der NGOs hinter den Kulissen los.
Laut Tangens und Nocun sind derartige Organisationen wichtig, weil sie über einen langen Zeitraum hinweg an einem Thema dranbleiben. Sie tun dies, selbst wenn die Journalisten längst das Interesse daran verloren haben und die Politiker glauben, sie können nun endlich tun und lassen, was sie wollen. Doch es gibt noch mehr Tricks, die man beachten müsse. Abstimmungen über wichtige Dinge werden gerne auf die letzte Minute verschoben. Deswegen sei es für Datenschutzaktivisten unabdingbar, am Ball zu bleiben. Um die eigene Unabhängigkeit zu wahren, habe der FoeBuD (nun: digital courage) nie Gelder von Unternehmen angenommen. Das sei auch der Grund, warum man um Spenden von Privatpersonen bittet, die ihre Anliegen unterstützen wollen.
Wie das Gesetz am Ende aussehen wird, bleibt vorerst abzuwarten. Katharina Nocun und Rena Tangens wiesen dennoch darauf hin, dass eine bundesweite Regelung auch ihre Vorteile hat. Der ganze Protest ändert ja nichts an der Tatsache, dass die Landesmeldegesetze unvermindert (abhängig vom Bundesland) in unterschiedlichen Ausprägungen gelten. Von daher sei es grundsätzlich keine gute Idee, das Bundesgesetz zu verzögern.
Das Problem ist aber andererseits: Ist das Bundesgesetz erst einmal beschlossen, wird man nur noch wenig dagegen tun können. Es sei sehr schwer, Ansatzpunkte für eine Verfassungsbeschwerde zu finden. Nur ein geringer Prozentsatz derartiger Klagen können mit Erfolg realisiert werden.
Lars Sobiraj
Gulli, Bochum, 31. Dezember 2012
Original: http://www.gulli.com/news/20582-29c3-was-aus-dem-57-sekunden-gesetz-wurde-2012-12-31