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Die Privatsphäre ist teilbar

Jeder Mensch hat eine Privatsphäre. Doch während es ziemlich einfach ist, einen Überwachungsangriff auf die Privatsphäre eines Menschen zu definieren, ist es ziemlich schwierig, die Privatsphäre positiv zu definieren. Ein "Recht auf Privatsphäre" lässt sich mit den Mitteln der Philosophie nur unter größten Verrenkungen definieren. Außerdem fehlt es an einer kritische Masse von Wissenschaftlern, die sich im großen Stil mit der Erforschung und dem Schutz der Privatsphäre befassen. Dies ist das Fazit eines interdiziplinären Workshops Privacy and Surveillance Technology, der gestern abend am Bielefelder ZIF zu Ende ging.

Jedes Bundesland hat seinen Datenschutzbeauftragten, mit Peter Schaar gibt es einen Bundesdatenschützer, mit Peter Johan Hustinx und Joaquim Delgado gibt es die mächtigen European Data Protection Supervisors. Sie allen tragen defensiv klingende Bezeichnungen und werden nicht etwa Privatsphärenpfleger genannt. Wie heikel es um die Privatsphäre bestellt ist, macht der Fall der Firma Citywatcher klar. Angestellten der Sicherheitsfirma wird ein RFID-Chip unter die Haut gespritzt, damit sie durch einfaches Winken mit dem Arm ihre Anwesenheit dokumentieren können. "Selbstverständlich respektieren wir die Privatsphäre jedes Menschen", heißt es bei der Sicherheitsfirma. Über die Privatsphäre, die der Philosoph und Jurist Louis Brandeis bereits 1890 als The right to be left alone definierte, sollte eigentlich jeder Mensch bestimmen können.

Wer ein Handy benutzt, kann ziemlich genau geortet werden, nimmt für die dauernde Erreichbarkeit also die Einschränkung der Privatsphäre in Kauf. Die Frage, wie weit Menschen im Zeitalter des "Ubiquitous Computing" gehen, stellte sich Marc Langheinrich von der ETH Zürich. Im Rahmen der Vision Zero hat seine Arbeitsgruppe einen intelligenten, GPS-gestützten Tachographen entwickelt, der wie ein Fahrtenschreiber alle Fahrzeugbewegungen in einer Datenbank aufzeichnet und für wiederholt befahrene Strecken die optimale Fahrweise vermittelt. Ähnlich wie bei IBMs Pay as you Drive arbeitet man dabei mit Versicherungen zusammen, die an die Fahrweise angepasste Tarife verkaufen wollen. Das wiederum wirft die Frage nach dem telematisch überwachten "loyalen Auto" auf, das automatisch jeden Rechtsverstoß der Polizei meldet. Eine ähnliche Tendenz sieht Langheinrich bei der Entwicklung von eHealth-Systemen: wer Essen und Trinken überwachen lässt, bekommt dann eine bessere Police: "Ubiquitous Computing kann ein Antrieb dafür sein, dass Menschen freiwillig Einschränkungen ihrer Privatsphäre in Kauf nehmen." Grundsätzlich ermögliche das allgegenwärtige Computern, dass eigentlich nichts mehr gekauft werden muss und selbst der Kühlschrank günstig von einer Spezialfirma geleast werden kann - die dann Rabatte für (RFID-gestützte) Waren anbietet, die bei einer bestimmten Supermarktkette erworben werden müssen.

Von anderer Seite näherte sich der Philosoph Vincent Müller vom American College of Thessaloniki der Privatsphäre. Er untersuchte, wie sich das Data Mining mit Echelon, Carnivore oder dem "Analysis, Dissemination, Visualization, Insight, and Semantic Enhancement"-System (ADIVISE, ehemals TIA auf die Privatsphäre auswirkt. Ausgangspunkt seiner Überlegungen waren die jüngst bekannt gewordenen Bespitzelungen amerikanischer Bürger durch die NSA, die der amerikanische Generalstaatsanwalt Edwin Meese als rein technische Maßnahme rechtfertigte: "This isn't eavesdropping, it is just surveillance." Wenn es sich nur um technische Datenüberwachung handelt, die zudem noch von Privatfirmen wie der Reed Elsevier-Tochter LexisNexis mit ihrem MATRIX-Projekt (PDF) durchgeführt werden können, so kann dies womöglich unbedenklich sein, was die Privatsphäre anbelangt: "Wenn an der Analyse nur Computer arbeiten, wenn keine Menschen daran beteiligt sind, liegt kein Bruch der Privatsphäre vor", so Müller in seinen Überlegungen.

Insgesamt bemängelte der seit langem auf diesem Gebiet arbeitende Charles Raab von der Universität Edinburgh den Stand der Forschung in Sachen Privatsphäre: Die Forschung sei größtenteils ahistorisch, der Vergleich zwischen einzelnen Ländern fehle und die Forschung reagiere eigentlich nur auf die jeweils neuesten technologischen Entwicklungen. Auch gebe es kaum Kontakt zwischen den akademischen Forschern und Bürgerinitiativen, erklärte Raab in Bielefeld, der Heimat des deutschen BigBrother-Awards.

Detlef Borchers

Heise Online, Hannover, 12. Februar 2006
Original: http://www.heise.de/newsticker/meldung/69490

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