Die Streichung der P2P-Bagatellklausel sowie die Neuregelung der Vergütungspauschale im Kabinettsentwurf für die Urheberrechtsnovelle haben gemischte Reaktionen ausgelöst. Während sich Industrieverbände mit der eingeschlagenen Richtung mehr oder weniger zufrieden erklären, äußerten Verbrauchervertreter und linke Oppositionspolitiker scharfe Kritik an den wesentlichen Änderungen in der nun vom Bundestag weiter zu verhandelnden Gesetzesvorlage. Sie sehen die Balance zwischen Urhebern, Rechtehaltern und Nutzern aus dem Lot geraten und fürchten eine Überforderung der Staatsanwaltschaften mit Anträgen zur Verfolgung geringfügiger Urheberrechtsdelikte.
Mit Unverständnis hat etwa der Bundesverband der Verbraucherzentralen auf den Wegfall der Passage reagiert, mit der Bundesjustizministerin Brigitte Zypries ursprünglich das illegale Herunterladen von urheberrechtlich geschützten Inhalten aus dem Internet in geringer Stückzahl ausdrücklich straffrei stellen wollte. "Damit droht eine Kriminalisierung von Jugendlichen auch in Bagatellfällen sowie eine Überlastung der Strafverfolgungsbehörden", fürchtet Vorstand Edda Müller. Jeder Internetnutzer müsse bei der Verabschiedung des Gesetzes befürchten, auch wegen kleinerer Verstöße strafrechtlich belangt zu werden. Welche Downloads legal und welche illegal sind, sei für den Verbraucher in den meisten Fällen aber nicht erkennbar.
Die Verbraucherschützer wenden sich auch gegen die zusätzlichen Pläne des Justizministeriums, Rechteinhabern den Zugriff zu persönlichen Daten von Internetnutzern zu erleichtern und ihnen ein Auskunftsrecht gegenüber Internet-Providern einzuräumen. Damit könne "eine Flutwelle von Abmahnungen mit erheblichen Anwaltskosten auf Eltern jugendliche Internetnutzer zukommen", sorgt sich Müller. Besonders bedenklich sei dies im Zusammenhang mit Berichten, wonach private Internetfahnder im Auftrag von Unternehmen bewusst illegale Inhalte im Internet anbieten, um Nutzer damit in die Falle zu locken.
"Maßlos enttäuscht" von Zypries zeigt sich das Netzwerk Neue Medien. "Den veränderten gesellschaftlichen Realitäten trägt man nicht Rechnung, indem die Bagatellklausel für private Kopien von kopiergeschützten Werken gestrichen wird", erklärt dessen Vorsitzender Markus Beckedahl. Verbraucher würden die notwendige Technik zum Kopieren von digitalen Inhalten schließlich schon besitzen und sie auch weiterhin benutzen. Weiterhin bleibe auch die Paradoxie bestehen, dass das Anfertigen privater Kopien zulässig, aber die Umgehung von Kopierschutzmaßnahmen unter Strafandrohung verboten ist. Ähnlich äußert sich Oliver Moldenhauer vom Fairsharing-Netzwerk und der Attac-AG Wissensallmende: Die Entscheidung des Kabinetts zeigt für ihn, wie stark der Einfluss der Unterhaltungsindustrie auf den Gesetzgebungsprozess ist. Die Interessen der Verbraucher würden dagegen offenbar keine Rolle spielen, moniert der Aktivist: "Millionen Tauschbörsennutzer werden mit verschärfter Verfolgung bedroht."
Auch für Grietje Bettin, medienpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, und ihren rechtspolitischen Kollegen Jerzy Montag hat "die Kabinettsküche das Urheberrecht endgültig verkocht" und Zypries ihr Ziel verfehlt. Ihrer Ansicht nach schafft der Entwurf "keinen fairen Ausgleich zwischen dem Interesse an freiem Informationszugang und dem Schutz des geistigen Eigentums". Er sei vielmehr geprägt von den Interessen der Verwerterlobby und der Geräteindustrie. Die beiden Politiker beklagen ferner, dass durch die nicht auf die Agenda gesetzte Verlängerung des Artikels 52a des Urheberrechtsgesetzes von "Rot-Grün erkämpfte Freiheiten in Unterricht und Forschung zunichte gemacht werden." Lehrende würden die Möglichkeit verlieren, urheberrechtsgeschützte Werke wie bisher im Unterricht zu verwenden. Da auch öffentliche Bildungseinrichtungen von der Nutzung digitaler Medien abgeschreckt würden, könne von der Förderung der Wissensgesellschaft in Deutschland nicht die Rede sein.
Ins gleich Horn stößt das Aktionsbündnis "Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft". Es sieht zwischen dem Beschluss und dem in der Koalitionsvereinbarung formulierten Ziel eines "bildungs- und wissenschaftsfreundlichen Urheberrechts" einen eklatanten Widerspruch. Deutschland werde "krank" gemacht für die Informationsgesellschaft und im internationalen Wettbewerb stark geschwächt. Es sei in keiner Weise nachvollziehbar, dass die Bundesregierung nicht erkenne, dass das jetzt drohende Urheberrecht Entwicklungen in Forschung und die Anwendung moderner Lehr- und Lernformen etwa durch die Einschränkungen beim Versand digitaler Fachinformationen massiv behindere.
Jörg Menno Harms, Vizepräsident des Branchenverbands Bitkom, spricht derweil von einem "erträglichen Kompromiss". Er begrüßt vor allem die geplante fünfprozentige Deckelung bei den Urheberrechtsabgaben. Noch immer vermisst der Lobbyist aber ein klares Bekenntnis zur individuellen Vergütung im Internet etwa über Systeme zum digitalen Rechtekontrollmanagement (DRM). Regine Stachelhaus, Geschäftsführerin von HP Deutschland und Sprecherin der Initiative führender deutscher Anbieter von Multifunktionsgeräten und Druckern gegen Urheberrechtsabgaben, zeigte sich ebenfalls "froh, dass die Bundesregierung ein klares Signal gegen eine unbegrenzte Ausdehnung von pauschalen Abgaben gesetzt hat". Wettbewerbsverzerrungen mit europäischen Nachbarländern seien trotzdem nicht auszuschließen, weil schon ein geringer Preisunterschied zu einer Abwanderung von Kunden in Länder ohne Abgaben führen könnte.
Stefan Krempl
Heise Online, Hannover, 23. März 2006
Original: http://www.heise.de/newsticker/meldung/71172