Die Absage des Europäischen Gerichtshofs an den Austausch von Flugpassagierdaten zwischen der EU und den USA in der bislang gehandhabten Form hat gemischte Reaktionen ausgelöst. Washington hatte nach dem 11. September 2001 auf die Übergabe der umfangreichen Informationen bestanden, um Terroranschläge zu verhindern. Am heutigen Dienstag bemühte sich ein Vertreter der US-Regierung in Brüssel aber um vorsichtige Äußerungen angesichts der diplomatischen Brisanz des Urteils: "Wir werden mit allen Parteien kooperieren, um sicher zu stellen, dass Datenschutzstandards nicht abgesenkt werden, der transatlantische Flugverkehr nicht unterbrochen und ein hohes Sicherheitsniveau beibehalten wird". Washington selbst hält sich bislang mit einer Stellungnahme zurück.
Viele Politiker und Datenschützer haben die Entscheidung begrüßt. Der grüne EU-Abgeordnete Cem Özdemir etwa sieht "das Recht der EU-Bürger auf Datenschutz" gestärkt. Als eine Absage an eine generelle Zusammenarbeit der EU mit dem US-Ministerium für Heimatschutz will das stellvertretende Mitglied im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten die Vorgabe aus Luxemburg nicht verstanden wissen. Hätte es von Anfang an eine adäquate Zusammenarbeit von EU-Kommission und EU-Rat mit dem Parlament gegeben, wäre seiner Ansicht nach "eine Übereinkunft möglich gewesen, die sowohl für alle Beteiligten akzeptabel ist als auch in Übereinstimmung mit EU-Recht steht."
Jerzy Montag, rechtspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, zufolge geht von dem Richterspruch eine "unmittelbare Signalwirkung" auf die umstrittene EU-Richtlinie zur verdachtsunabhängigen Vorratsspeicherung von Telefon- und Internet-Daten aus. Auch sie sei "unter Verstoß gegen europäische Rechtsgrundlagen zustande gekommen". Montag fordert nun eine zügige Debatte über den von ihm initiierten Gruppenantrag im Plenum des Bundestags, mit dem die Bundesregierung zur Klage gegen die pauschale Überwachungsmaßnahme in Luxemburg aufgefordert werden soll.
Voll des Lobes für das Verfahren ist Alexander Alvaro, Koordinator der Liberalen im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten des EU-Parlaments: "Der Ausgang bestätigt, dass die Bürger Europas sich auf das Rechtssystem der Europäischen Union verlassen können", stellt der FDP-Politiker erleichtert fest. Der Schutz personenbezogener Daten sei in der EU "praktizierte, justiziable Wirklichkeit". Das oberste Gericht der EU hat sowohl die Entscheidung des Rates, ein Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den USA über die Verarbeitung und die Übermittlung personenbezogener Daten abzuschließen, als auch den Beschluss der Kommission über die Angemessenheit des Schutzes dieser Daten für nichtig erklärt.
Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar weist darauf hin, dass das Gericht angesichts der fehlenden europarechtlichen Basis für den Datentransfer gar nicht bewertete, ob die Informationsübermittlung unverhältnismäßig in die Rechte der EU-Bürger eingreift. Es bleibe gleichwohl von entscheidender datenschutzrechtlicher Bedeutung, wie nach dem Außerkrafttreten des Abkommens spätestens am 30. September die Datenschutzrechte der Flugpassagiere gewährleistet werden können. Die Datenschutzbehörden würden mit der Kommission, dem Parlament und dem Rat nach einem Ausweg aus der schwierigen Situation suchen wollen. Der EU-Datenschutzbeauftragte Peter Hustinx, der in dem Fall erstmals von seinem Klagerecht im Namen des Parlaments Gebrauch machte, sieht ebenfalls "Schlupflöcher" beim Schutz der EU-Bürger. Es sei nicht sicher gestellt, dass für die von Privaten gesammelte Daten bei deren Nutzung für die Strafverfolgung die EU-Datenschutzrichtlinie gelte.
Dass die Richter in Luxemburg die eigentlichen Sorgen der mitklagenden EU-Abgeordneten nicht behandelten, beunruhigt auch die britische Bürgerrechtsorganisation Statewatch. Sie spricht von einem "Pyrrhussieg", da das Abkommen nun einfach entweder durch nationale, möglicherweise noch stärker grundrechtsgefährdende Verabredungen mit den USA oder durch einen Rahmenbeschluss des Rates ersetzt werden könnte. In beiden Fällen hätten die EU-Parlamentarier kein Mitspracherecht. "Nun gilt es Acht zu geben, dass die USA keine bilateralen Verträge zur Datenweitergabe mit einzelnen Ländern abschließen oder gar die Rechtsgrundlage zuungunsten der europäischen Bürgerinnen und Bürger aufgeweicht wird," konstatiert ähnlich der Datenschutzverein FoeBuD. Insgesamt sei das Urteil "eine Aufforderung an Politiker und Datenschutzbeauftragte, den Zumutungen der Überwachungsfanatiker mit mehr Entschlossenheit und Rückgrat entgegenzutreten."
Für die Passagiere wird sich trotz des Vetos aus Luxemburg vorerst nichts ändern. "Die Fluggesellschaften werden der Forderung der USA, die Passagierdaten weiterzugeben, nachkommen müssen", erklärte Martin Gaebges, Generalsekretär des Verbands Barig, der mehr als 100 in Deutschland aktive Fluggesellschaften vertritt. Solange die US-Behörden Flugzeugen die Landerechte verweigern und mit Strafen bis zu 6000 Euro pro Passagier drohen würden, wenn die begehrten 34 Datensets der Fluggäste einschließlich Kreditkartennummer nicht vorliegen, sei keine andere Reaktion möglich.
Stefan Krempl
Heise Online, Hannover, 30. Mai 2006
Original: http://www.heise.de/newsticker/meldung/73670