Unentschieden ging am Montag eine Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestags zu den künftigen Kopiermöglichkeiten der Verbraucher aus: Die Hälfte der Sachverständigen wollte die mit dem "1. Korb" der Urheberrechtsnovelle erfolgte rechtliche Sanktionierung technischer Schutzverfahren aufrechterhalten wissen und zeigte sich erfreut über den Fall der so genannten "Bagatellklausel", mit der ursprünglich in der weiteren Urheberrechtsnovellierung strafrechtliche Sanktionen beim geringfügigen illegalen Download urheberrechtlich geschützter, aber nicht lizenzierter Werke aus Tauschbörsen verhindert werden sollten. Die andere Seite plädierte im Sinne einer höheren Akzeptanz des Urheberrechts bei den Nutzern für die Streichung des Umgehungsverbots technischer Kopierblockaden für rein private Zwecke und forderte die Wiedereinführung der vom Bundesjustizministerium zunächst geplanten Straffreistellung illegaler Downloads für den privaten Gebrauch "in geringer Zahl".
Durch das derzeitige Urheberrechtsgesetz sei die digitale Privatkopie faktisch abgeschafft worden, monierte Patrick von Braunmühl vom Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv). Die vom Gesetzgeber eigentlich vorgenommene Einschränkung des alleinigen Anspruchs eines Urhebers oder Verwerters auf die Verbreitung seines Werks werde durch technische "Zwangsjacken" unterlaufen. Die legitimen Erwartungen der Nutzer beim Erwerb digitaler Inhalte bezögen sich dagegen darauf, eine Sicherheitskopie anfertigen, die Dateien auf allen möglichen verschiedenen Geräten abspielen und umformatieren sowie auf neue Player übertragen zu können. Die Verbraucher würden ferner von einer lebenslangen Lizenz ausgehen und wären nicht bereit, für denselben Inhalt mehrfach zu bezahlen.
Eine auch gegen Systeme zum digitalen Rechtekontrollmanagement (DRM) durchsetzbare Privatkopie würde bei dieser Ausgangslage laut von Braunmühl "die traditionelle Balance" im Urheberrecht wiederherstellen und zugleich die "Piraterie" bekämpfen, da die Nutzer in diesem Fall weniger Interesse an Raubkopien hätten. Der Verbrauchervertreter setzte sich ferner dafür ein, die Ausweitung des Verbots des Herunterladens aus oder des Zugänglichmachens von "offensichtlich rechtswidrigen" Quellen zu streichen. Die schwammige Bestimmung führe zu einer Verunsicherung der Konsumenten. Andernfalls sei zumindest die Bagatellklausel wieder aufzunehmen, um klarzumachen, dass nicht alle kleinen Urheberrechtsverstöße strafrechtlich geahndet werden können.
Gegen weitere Einschränkungen der Privatkopie wie das von der Musik- und Filmindustrie geforderte Verbot des Herstellens privater Kopien durch Dritte sprach sich auch Till Kreutzer vom Portal iRights.info aus. Solche Regelungen würden nicht nur die Teilhabe der Bürger am kulturellen und gesellschaftlichen Leben einschränken, sondern auch "einfach nicht befolgt". Das schade der gesamten Urheberrechtsordnung. Bei der "durchsetzungsstarken" Privatkopie brachte der Jurist einen Kompromiss ins Spiel, wonach diese in der Tradition einer Sicherheitskopie nur für den Fall gelten sollte, "wenn man ein eigenes Original hat". Auch Wolfgang Schimmel von der vor allem von Verwertungsgesellschaften getragenen Initiative Urheberrecht signalisierte, "dass wir uns damit arrangieren könnten", wenn "in einem bestimmten Rahmen" beim Besitz einer Originalvorlage der rechtliche DRM-Schutz gelockert würde. Es sei eine Illusion, dass beim Einsatz der Kontrollsysteme nicht mehr kopiert werde. Zudem gebe es mit dem frei empfangbaren Fernsehen, Büchern und Zeitungen oder dem analogen Ausgang bei digitalen Medien ein "Riesenrepertoire" an Vorlagen, die nicht mit DRM geschützt würden.
Haimo Schack, Rechtsprofessor an der Universität Kiel, machte ebenfalls klar, dass das momentan vom Gesetzgeber etablierte System der so genannten Schrankenrechte in zwei Klassen nicht haltbar sei. "Die digitalen Informationsquellen werden immer wichtiger, sie dürfen nicht verschlossen bleiben", betonte der Forscher. "Es wird daher kein Weg daran vorbeiführen, das 'Recht' auf die digitale Privatkopie durchsetzungsfest auszugestalten." Dies müsse auch für die Zitierschranke gelten, schloss sich Schack einer Forderung der Initiative Privatkopie.net nach einem Lockern von DRM-Fesseln im Sinne der Zitierfreiheit an. Private Kopien sollten nicht nur aus rechtmäßigen Quellen, sondern im Interesse der Verständlichkeit des Urheberrechtsgesetzes generell erlaubt werden. Die Einnahmeausfälle der Urheber seien über die gesetzlich vorgesehene Zahlung einer angemessenen Vergütung aufzufangen.
"Wir müssen den Verbrauchern aber auch mal sagen, dass 99-Euro-CD-Recorder zu diesem Preis nicht zu haben sind, wenn ihr damit alles vergüten wollt", setzte sich Jürgen Becker von der für unter anderem für die GEMA tätigen Zentrale für private Überspielungsrechte (ZPÜ) für eine Anhebung der umstrittenen Vergütungssätze ein. Man könne dabei auch zur Legalisierung von Downloads geschützter Werke aus Tauschbörsen über die Einführung einer zusätzlichen Pauschale in Form einer "Kulturflatrate" nachdenken.
Auf Kritik stieß Joachim Bornkamm, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, mit seiner Ansicht, dass nur die erlaubte Vervielfältigung einer Vergütungspflicht unterliege und das Untersagen des Kopierverhaltens der Nutzer so auch Nachteile für die Rechtehalter durch eine Verringerung des Vergütungsaufkommens mit sich bringen könnte. Angesichts rechtswidriger "unkontrollierbarer Massennutzungen" geschützter Werke müsste dieser Bereich auch in die Vergütungsregel einbezogen werden, waren sich Schack und Schimmel einig. Über Kreuz lag sich Bornkamm mit den Professorenkollegen auch mit seinem Plädoyer, den DRM-Schutz angesichts der "stärker werdenden Bedrohung der primären Verwertung" von Werken beizubehalten. Wer einen Zweitwagen wolle, müsse auch dafür bezahlen, begründete Bornkamm seine Haltung.
Vertreter der Lobbyvereinigungen der Film- und Musikindustrie setzten sich ebenfalls vehement für das DRM-Umgehungsverbot sowie zusätzliche Einschränkungen der Privatkopie ein, da diese zur wichtigsten Quelle für die Nutzung von Songs oder Videos geworden sei. Peter Zombick von der deutschen Landesgruppe des Verbands der großen Plattenlabels IFPI forderte darüber hinaus insbesondere ein Verbot von Aufnahmesoftware, die inzwischen bereits mit Hinweisen auf eine "perfektionierte" Vervielfältigung aus Online-Radios nebst Zugriff auf über neun Millionen Songs täglich angepriesen würde. Becker empfahl dagegen eher eine Untersagung solcher Werbung für dergleichen Clip-Programme.
Kurz vor der Beginn der Anhörung hatten der vzbv, das Online-Netzwerk Campact sowie die Fairsharing-Kampagne das von ihnen eingerichtete erste symbolische Internet-Gefängnis für Urheberrechtsverletzer als großes Banner mit Hilfe von "Sträflingen" in Knastkleidung unweit vom Reichstag präsentiert. Abgesandte der Organisationen überreichten den Obleuten der Fraktionen im Rechtsausschuss eine von bislang 3200 "Knackis" unterzeichnete Petition. Sie fordert die Abgeordneten auf, die Bagatellklausel wieder ins Urheberrechtsgesetz aufzunehmen.
Stefan Krempl
Heise Online, Hannover, 21. November 2006
Original: http://www.heise.de/newsticker/meldung/81318