Die Demonstration "Freiheit statt Angst" am heutigen Samstag in Berlin (siehe den ersten Bericht Tausende Bürger demonstrieren für "Freiheit statt Angst") verlief nicht ohne größere Zwischenfälle. So entschied sich die Polizei nach bereits vier Kilometern zurückgelegter Strecke auf der Straße Unter den Linden zu einem für viele Teilnehmer überraschenden Zugriff auf den geschlossen marschierenden "linksradikalen Block". Darin hatten sich zahlreiche Vermummte hinter großen Transparenten mit Aufschriften wie "Freiheit wird nicht erbettelt, sondern erkämpft" oder "No Justice, No Peace" zusammengefunden. Die Truppe hatte zwar von Anfang an ein Kontrastbild zu den ansonsten mitziehenden Ärzten, Gewerkschaftlern, Parteien, Hackern und unorganisierten besorgten Bürgern abgegeben sowie mit Kampfansagen gegen den Polizeistaat und Aggro-Musik auf sich aufmerksam gemacht. Trotzdem erklärte sich für den Veranstalter, den Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, der plötzliche Übergriff und die weitgehende Einkesselung des "schwarzen Blocks" nicht.
Augenzeugenberichten zufolge sprengten mehrköpfige Gruppen von Polizisten in Einsatzmontur mit Helm und Mundschutz unter dem Einsatz von Schlagstöcken und Pfefferspray die linksradikale Einheit des Protestzugs. Sie griffen dabei just am Bebelplatz, auf dem ein Denkmal an die Bücherverbrennung der Nazis erinnert, vergleichsweise wahllos einzelne Maskierte heraus und führten diese ab. Die Rede war zunächst von etwa 15 Verhafteten. Am Ort des Geschehens mussten sich auch eine halbe Stunde nach den Übergriffen noch Verletzte in eilig herbeigerufenen Notarztwagen behandeln lassen. Der "schwarze Block" löste sich daraufhin auf Höhe der Friedrichstraße auf und erklärte seine Teilnahme an der Demonstration für beendet, während der Großteil der Aktivisten weiter zurück zum Startpunkt am Brandenburger Tor zog für die in leicht gedrückter Stimmung stattfindende Abschlusskundgebung.
"Das war keine ganz gute Aktion", kritisierte dort der zum Veranstaltungsteam gehörende Künstler padeluun von der Datenschutzvereinigung FoeBuD das Vorgehen der Staatsmacht. Er beklagte, dass Polizisten trotz des sensiblen Themas der Veranstaltung Demonstranten "Kameras direkt ins Gesicht gehalten haben". Das habe "Stress erzeugt". Zuvor hatten die Ordnungshüter nach einem Mediationsgespräch in einem vom Veranstalter extra ausgearbeiteten Deeskalationskonzept (PDF-Datei) zugesagt, dass Überwachungskameras "nur im Fall von schweren Straftaten" zum Einsatz kämen. Tatsächlich filmten einzelne Polizisten sowie ein gesonderter "TV-Übertragungswagen" der Gesetzeshüter aber erkennbar vom Anbeginn der Demo mit.
Die Einsatzleitung der Polizei, die anfangs mit 450 Beamten zugegen war, verteidigte die Zwangsausübung weit nach Hälfte der zurückgelegten Wegstrecke mit dem Argument, dass es "auf die gesamte Geschichte bezogen" zahlreiche Auflagenverstöße etwa gegen die Höhe und Breite der gestatteten Transparente sowie gegen das Vermummungsverbot gegeben habe. Zudem hätten Radikale schon bei Vorkontrollen von Taschen am Hotel Adlon "böse Zerstörungen" an Tischen und Stühlen der Luxusherberge angerichtet. Dem Veranstalter bescheinigte man trotzdem "gute Zusammenarbeit". Die durchgeführten Maßnahmen würden sich bei einer Demonstration von solcher "immensen Größe" nicht vermeiden lassen. Die Organisatoren der Kundgebung hatten auf Basis vorangegangener vergleichbarer Aktionen mit rund 3000 Teilnehmern gerechnet. Schließlich zählten sie aber 15.000 Personen.
Die Veranstaltung ging schließlich friedlich mit flammenden Reden zu Ende. "Wir dürfen uns nicht aus Angst vor dem Tod selbst umbringen", hielt Patrick Breyer vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung der von Politikern geschürten Sorge vor Terroranschlägen hierzulande entgegen. Er plädierte unter Anspielung auf die Nationalhymne für "Einigkeit und Recht und Freiheit" statt "Sicherheit und Zucht und Ordnung". Andernfalls sei die Demokratie gefährdet. "Wir brauchen eine klare rote Linie", sprach sich der Jurist gegen eine "Massenüberwachung der gesamten Bevölkerung" aus. Zugleich erschallte sein Ruf nach einem "freiheitlichen Innenminister" anstatt Amtsinhaber Wolfgang Schäuble (CDU), der insbesondere aufgrund seiner Pläne für heimliche Online-Durchsuchungen mit im Zentrum der Kritik stand. Viele Teilnehmer trugen Aufkleber, Plakate oder Masken mit dem Konterfei des CDU-Politikers und der Aufschrift "Stasi 2.0".
Breyer forderte einen "Stopp neuer Überwachungsgesetze" und eine alternative, verantwortliche Sicherheitspolitik. Wo den Menschen die Luft zum Atmen mit einem Vordringen der Staatsmacht in immer weitere private Bereiche genommen werde, würde nur Widerstand provoziert. "Der Sicherheitsstaat schafft Unsicherheit", unterstrich der Freiheitskämpfer. Die Bundesregierung investiere trotzdem Millionen in Überwachungstechnik, während sie gleichzeitig immer mehr Polizisten einspare.
Ähnliche Befürchtungen äußerte Markus Beckedahl vom mitveranstaltenden Netzwerk Neue Medien. Der Blogger monierte, dass Politiker im Netz überall Terroristen sähen und blind gegen "rechtsfreie Räume" in der Telekommunikation agitieren würden. "Ja was ist denn mit der Post? Wird gespeichert, wer wem Briefe schreibt? Wird gespeichert, wer wann was im Fernsehen schaut oder wer wann welchen Artikel in einer Zeitung liest?", hielt Beckedahl dem entgegen. "Wir wollen keinen Staat, der uns ständig in unserem Leben rumschnüffelt und uns in Datenbanken rastert." Einen "Präventionsstaat, wo jeder von uns als potentieller Feind des Staates angesehen und behandelt wird", dürfe es nicht geben.
Das Vorhaben Schäubles zu Online-Razzien bezeichnete der Aktivist als Pendant zu heimlichen Wohnungseinbrüchen der Sicherheitsbehörden auf bloßen Veracht hin. Dass der "Bundestrojaner" dabei auch noch so intelligent sein solle, Tagebücher und auch andere private Sachen nicht zu durchsuchen, sei für jeden mit IT-Kenntnissen "Science Fiction". Dringend erforderlich sei mehr "Medienkompetenz bei Politikern". Dann gebe es vielleicht auch bessere Gesetze für den digitalen Raum. Demonstrationsleiter Ricardo Cristof Remmert-Fontes sprach abschließend von einer insgesamt "bunten und lebhaften" Veranstaltung. Er gab der Hoffnung Ausdruck, dass vergleichbare Protestkundgebungen aufgrund anderer politischer Zielsetzungen nicht mehr nötig sind. Zugleich kündigte er an, mit allen beteiligten Gruppen und der Polizei Gespräche über das unerfreuliche Intermezzo zu führen.
Stefan Krempl
Heise Online, Hannover, 22. September 2007
Original: http://www.heise.de/newsticker/meldung/96388