Der Bochumer Rechtsanwalt Michael Schwarz hat wegen der biometrischen Erfassung von Fingerabdrücken für den ePass der zweiten Generation das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen angerufen, da er vor allem sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt sieht. Mit der Klage gegen die Ordnungsbehörde der Stadt Bochum möchte der Jurist erreichen, dass ihm die Meldestelle entgegen eines Ablehnungsbescheids aus der ersten Novemberwoche einen Reisepass ohne eingescannte Aufnahmen von Fingerabdrücken erteilt. In der Klageschrift (PDF-Datei) verknüpft Schwarz die Zwangsmaßnahme mit dem "Idealbild" des gläsernen Bürgers, welches nicht zuletzt der Staat anstrebe, und zitiert dabei aus der Fachliteratur: "So wird der Mensch maschinenlesbar, nehmen George Orwells düstere Visionen vom überwachten Menschen reale Konturen an."
Seine datenschutzrechtlichen Bedenken umschreibt der Anwalt, welcher der Bielefelder Datenschutzvereinigung FoeBuD nahesteht, mit der "Verletzung des Rechts auf Freizügigkeit der Person sowie Verstöße gegen Rechtsstaats- und Demokratiegebote nach dem Grundgesetz". Zugleich würde mit der Erfassung von Fingerabdrücken von Amts wegen, die momentan Datenschützer wegen Sicherheitsbedenken stoppen wollen, auch die Menschenrechtskonvention der EU missachtet. Die Eingriffe seien überaus "breit, tief und weit reichend". Auf 43 Seiten hat Schwarz daher seine Bedenken gegen die Maßnahme grundlegend und im Einzelnen mit vielen Zitaten gewürzt und dargestellt. Zugleich gibt er in der nahezu philosophischen Abhandlung nach einer historischen Entwicklung der Datensammelwut in Staat und Gesellschaft Ausblicke auf die drohende Entwicklung.
Der Anwalt verweist in seiner ausführlichen Begründung unter anderem darauf, dass die "Protagonisten unter den Kriminalisten" schon vor einhundert Jahren auf die "Volksdaktyloskopie" in Form der amtlichen Erfassung der Fingerabdrücke aller Bürger hinaus wollten. Auch damals seien ähnlich wie heute mit dem "Krieg gegen den Terror" propagandistische Bedrohungsszenarien aufgebaut worden, um den "Totalitätsanspruch" durchsetzen zu können. Polizeiangehörige hätten auch bereits mit den "Sicherheitszuwächsen" argumentiert, "von denen nicht nur der Staat, sondern die ganze Gesellschaft und Privatunternehmen profitieren könnten".
Als Vorbild hat laut Schwarz international Portugal gegolten, das 1912 den Fingerabdruck des Inhabers damals noch sichtbar in den Pass aufgenommen hatte. Trotzdem sei die Daktyloskopierung hierzulande auf Kriminelle, Tatverdächtige und gesellschaftliche Randgruppen beschränkt gewesen. Eine weitere Erfassung der Individuen zu Präventionszwecken sei "gesellschaftlich unerwünscht" gewesen. Der Nationalsozialismus habe dann enthüllt, "dass Totalitarismus nie positive Ordnung im Sinne allgemeiner Sicherheit sein kann". Vielmehr schließe dieser "wesensmäßig jede wirksame Kontrolle aus".
Bezogen auf den neuen Vorstoß zur Volksdaktyloskopie durch die EU und den Gesetzgeber hierzulande gibt der Jurist weiter zu bedenken, dass die Verknüpfung biometrischer Daten wie der Fingerabdrücke mit einer natürlichen Person eine Verknüpfung darstelle, die über den eigentlichen Einsatzzweck etwa der Authentifizierung hinaus bestehe und technisch auch in anderen Zusammenhängen verwendet werden könne. Deswegen habe der Gesetzgeber 1986 unter dem Eindruck des Volkszählungsurteils des Bundesverfassungsgerichts von 1983 noch festgehalten, dass der Pass "weder Fingerabdrücke noch verschlüsselte Angaben über die Person des Inhabers enthalten darf". Dieses Verbot sei spätestens mit dem vom früheren Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) ausgehandelten zweiten Anti-Terrorpaket hinfällig geworden.
Der Bundestag ist bei den jüngsten Verfahren bis hin zur Änderung des Passgesetzes für den ePass der zweiten Generation in diesem Jahr laut Schwarz aber seinem Auftrag, Gesetze nur mit Sorgfalt und am Gemeinwohl orientiert zu konzipieren, nicht nachgekommen. Verweise von Experten, dass islamistische Terroristen nicht mit deutschen Ausweisdokumenten einzureisen pflegen, sowie Warnungen von einem Überwachungsstaat unvorstellbaren Ausmaßes seien in den Wind geschlagen worden. Bei der EU-Verordnung zur Aufnahme von Fingerabdruckbildern in Pässe sei den nationalen Parlamenten zudem die Entscheidung in der Sache über den Brüsseler Umweg letztlich entzogen worden. Noch ausstehe nun die von der EU-Kommission ebenfalls bereits vorgeschlagene Einrichtung eines europäischen Passregisters, um eine schier beliebige Abfrage der dann zentral gespeicherten Fingerabdrücke zu ermöglichen. Der Vertrag von Prüm leiste hier schon Vorarbeit und erlaube den Austausch auch von Fingerabdruckdateien zwischen den angeschlossenen Mitgliedsstaaten.
Im Einklang mit früherer Kritik des FoeBuD moniert Schwarz ferner, dass die Aufnahme von Fingerabdruckbildern in die Reisepässe viele Gefahren berge. So seien Fragen der Datensicherheit wie die Möglichkeit, den Funkchip im ePass unbefugt auszulesen, nicht ausreichend geklärt. Bürger würden auch daran gewöhnt, ihre Fingerabdrücke an von ihnen nicht kontrollierbaren Geräten abzugeben. Damit steige das Risiko enorm, dass digitale Fingerabdrücke in die falschen Hände gelangen und missbraucht werden. Der Umfang von Drittländern mit Zugriff auf personenbezogene Daten ihrer Besucher entziehe sich zudem komplett der Kontroll- und Einflussmöglichkeit deutscher Stellen.
Insgesamt ist die obligatorische Erfassung von Fingerabdrücken laut der Klageschrift formell rechts- und hierzulande verfassungswidrig. Zum Schutz vor Fälschungen oder vor einer betrügerischen Verwendung von Reisedokumenten sei sie dagegen nicht geeignet und somit nicht erforderlich. Nur derjenige, dessen Fingerabdrücke nicht registriert seien, "könne damit auch nicht verdächtigt oder erpresst werden". Der eingeschlagenen Weg führe dagegen zu einer globalen Sicherung von Herrschaftsansprüchen ohne Recht.
Stefan Krempl
Heise Online, Hannover, 14. Dezember 2007
Original: http://www.heise.de/newsticker/meldung/100594