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Wenn der Chef bis ins Hirn und Herz blickt

Mit einem Patent will Microsoft angeblich die Softwarenutzung vereinfachen: Anhand medizinischer Daten wie Pulsschlag und Hautwiderstand soll das System erkennen, wenn Nutzer Probleme haben, und von sich aus Hilfe anbieten. Diese Daten können aber auch Personalverantwortlichen detailliertes Wissen über ihre Mitarbeiter vermitteln. „Das ist eine neue Qualität des Eindringens in die Privatsphäre“, erklärt Rena Tangens vom FoeBuD gegenüber DatenschutzPRAXIS:

Wie die Süddeutsche Zeitung (SZ) meldet, skizzieren Microsoft-Entwickler in ihrem Patent - das bereits im Juni 2006 eingereicht wurde - ein System, das die Computeraktivitäten auswertet und dadurch zur Steigerung der Gesamtnutzerproduktivität und Effizienz beitragen soll.

Medizinische Sensoren Die Microsoft-Erfinder planen dazu, medizinische Sensoren und Kameras an den Rechner zu koppeln: Sie sollen Puls, Atmung, Blutdruck, Hautwiderstand und Muskelspannung erfassen - selbst Mimik und Gehirnströme sehen die Erfinder als Datenquelle. Lügendetektoren kommen mit weniger Sensoren aus, schreibt die SZ. Immerhin, damit die Messfühler an Handgelenk oder Schläfe den Nutzer nicht an den Schreibtisch fesseln, sollen sie drahtlos arbeiten. Der Patentantrag verspricht: "Das System kann durch physiologische Sensoren und Umweltsensoren Stress bei den Nutzern entdecken und dann Hilfe anbieten."

Überraschung, Frust oder Überforderung Die Datenbank speichert die Aktivität jedes einzelnen Nutzers. Daraus können sich auch Vorgesetzte bedienen, wie Microsoft explizit schreibt. Dem letzten der patentrechtlichen Ansprüche zufolge kann das System die Arbeit verschiedener Benutzer bewerten und vergleichen. Aus den Hirnströmen, heißt es in einem um wenige Monate älteren Patentantrag, wollen die Software-Erfinder ablesen, ob jemand überrascht, befriedigt, konzentriert, frustriert oder überfordert ist, so tagesschau.de

Keine Freiwilligkeit "Dass ein solches System zum Vorteil der Mitarbeiter eingesetzt werden soll, halte ich für Heuchelei", sagt die Datenschutzexpertin Tangens. Auch stellt sie das Konzept der Freiwilligkeit im Interview mit DatenschutzPRAXIS grundsätzlich in Frage, da es zwischen Arbeitgeber und Mitarbeiter keine Machtbalance gibt. Ob und wie Microsoft seine Idee in die Praxis umsetzt, ist noch völlig offen. Microsoft selbst äußert sich zu nicht abgeschlossenen Patentverfahren nicht. Dass dem Antrag tatsächlich stattgegeben wird, hält Tangens für eher unwahrscheinlich - schließlich gäbe es ja auch bereits Systeme, die etwa die Körperfunktionen von Astronauten während eines Einsatzes überwachten. Doch ob mit Patent oder ohne: "Wenn mit einem solchen System Geld verdient werden kann, wird Microsoft seine Idee wohl umsetzen", so schätzt Tangens die Situation ein.

Misstrauen ist kein Wettbewerbsvorteil Tangens schließt "Das System würde einem Unternehmen, das es einsetzt, jedoch keinen Gewinn bringen. Die Arbeitszufriedenheit und -bereitschaft hängt unmittelbar mit dem Vertrauen zusammen, das einem Mitarbeiter entgegengebracht wird, wie auch eine Studie der London School of Economics beweist. Niemand kann kreativ und produktiv sein, wenn ihm ständig jemand über die Schulter blickt."

Andrea Stickel

Interest, Kissing, 18. Januar 2008
Original: http://www.interest.de/DP/news.php?msg=3126&suche=&s=0&n=3&ID=267388312819

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