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Bürostrukturen statt Barrikaden

Vergangene Woche entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die Vorratsdatenspeicherung einzuschränken sei. Die Daten dürften zwar weiterhin gesammelt, aber nur im Falle schwerer Straftaten an die Ermittler weitergegeben werden. Der Performance-Künstler padeluun vertritt den Datenschutzverein Foebud im Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, der mit Beteiligung von über 50 Gruppen gegen die Einführung der Vorratsdatenspeicherung mobilisiert. Foebud wurde von padeluun gegründet und verleiht jährlich die BigBrother-Awards, mit denen Behörden und Unternehmen ausgezeichnet werden, die sich neue Überwachungsmethoden oder besonders krasse Verstöße gegen den Datenschutz haben einfallen lassen.

Jungle World: Die beiden jüngsten Urteile des Bundesverfassungsgerichts zur Online-Durchsuchung und zur Vorratsdatenspeicherung werden vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung als große Erfolge gefeiert. Ist es an der Zeit für den Arbeitskreis, sich ein neues Thema und einen neuen Namen zu suchen?

Die Vorratsdatenspeicherung ist ja noch nicht komplett vom Tisch. Es ist erstmal nur eine Eilentscheidung ergangen, die die unmittelbare Gefahr, dass private Daten durch die Polizei abgefragt werden, einschränkt. Auf die andere Problematik, die wir thematisiert haben, nämlich dass die Daten der Bürger im Vorfeld massenhaft gespeichert werden, hat das Bundesverfassungsgericht noch nicht geantwortet.

Jungle World: Zur Online-Durchsuchung dagegen ist das endgültige Urteil schon gesprochen. Das Gericht hat die Maßnahme teilweise eingeschränkt, im Übrigen aber bestätigt.

Nein, sie wurde nicht bestätigt. Das ist vielleicht die Auffassung des Innenministeriums, aber wenn ich das Urteil lese, dann dürfte es danach schlicht unmöglich sein, eine Online-Durchsuchung durchzuführen, allein schon aus technischen Gründen. Die technischen Schwierigkeiten und die rechtlichen Hürden blockieren sich sozusagen gegenseitig. Womit wir jetzt aber als nächstes zu tun haben werden, ist die Frage: Was passiert eigentlich mit dem BKA-Gesetz, das Schäuble plant? In dem Gesetzentwurf steht ein langer Wunschkatalog der Überwachungsfanatiker drin.

Jungle World: Die Online-Durchsuchung wird aller Voraussicht nach darin aufgenommen werden. CDU und SPD sind sich jedenfalls einig.

Den Versuch wird es sicherlich geben, aber ich glaube nicht, dass es möglich sein wird, die Online-Durchsuchung wirklich durchzusetzen.

Jungle World: Verfolgt der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung nach den Verfassungsbeschwerden noch einen »Plan B«?

Diese Bewegung ist keine homogene Vereinigung, eine einheitliche Strategie gibt es daher nicht. Das Besondere an den Verfassungsbeschwerden ist, dass endlich auch Juristen verstanden haben, was hier eigentlich vor sich geht. Bisher waren Juristen für mich immer nur die, die höchstens dann aktiv wurden, wenn es darum ging, Abmahnungen zu schreiben und Kohle zu machen. Man kann es gar nicht genug würdigen, dass Juristen, beispielsweise aus dem Umfeld der Humanistischen Union, ihre Fähigkeiten dazu benutzt haben, um diese Beschwerden zu formulieren, die jetzt zu den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts geführt haben.

Der Plan B besteht aus meiner Sicht darin, weiter dafür zu arbeiten, dass der Datenschutz, oder besser die Privatsphäre, in breiten Teilen der Bevölkerung als Wert verstanden wird, den es zu verteidigen gilt, als Bestandteil der Freiheit. Dabei spielen auch Aktionen wie die BigBrother-Awards eine Rolle.

Jungle World: Datenschutz- und Bürgerrechtsgruppen erlebten in den vergangenen zwei Jahren einen starken Zulauf, die Mitgliederzahl des Vereins Foebud hat sich in dieser Zeit sogar verdreifacht. Wie unterscheidet sich die populäre »Bürgerrechtsbewegung 2.0« von der Szene in den achtziger und neunziger Jahren?

Die alte Starre ist aufgebrochen worden. Die Leute merken, dass sie durchaus etwas bewegen können, sei es aktuell durch die Verfassungsbeschwerden, oder beispielsweise als wir den Handelskonzern Metro durch öffentlichen Druck dazu gebracht haben, die von ihm ausgegebenen Payback-Karten mit RFID-Chips wieder zurückzuziehen.

Auch politisch ist die Lage heute anders als in den Neunzigern. Wir hatten in der Zwischenzeit das Problem mit der rot-grünen Regierung, von der man annahm, dass sie weniger Schwierigkeiten bereiten würde, die dann aber massive Einschränkungen der Bürgerrechte herbeigeführt hat. Heute, unter der großen Koalition, haben wir immerhin Ansprechpartner unter den Oppositionsparteien. Plötzlich sind sogar die Grünen gegen die Gesetze, die sie damals beschlossen haben. Selbstverständlich muss man ihre Aussagen mit Vorbehalt betrachten. Schließlich kann man nicht wissen, ob sie das, was sie sagen, auch dann noch vertreten, wenn sie wieder an der Regierung beteiligt sind.

Jungle World: Haben sich die politischen Ansichten der Überwachungsgegner verändert?

Die Überwachungsgegner von heute sind keine klassische Polit-Bewegung. Zwar treffen sich auf den Demos auch viele Nerds, die sich mit Themen rund um die PC-Welt gut auskennen und deswegen genauer wissen, welchen Unfug man mit Daten treiben kann. Aber größtenteils engagieren sich ganz normale Leute, die mit Politik nicht so viel zu tun haben und die das Wort »radikal« eher aus der Bild-Zeitung als aus dem wirklichen Leben kennen.

Jungle World: In den achtziger Jahren wurde der Widerstand gegen die Datenerfassung noch damit begründet, dass man dem Staat keine Daten zur Verfügung stellen wollte, um dessen Politik nicht zu unterstützen. In Ihrer Rede auf der Demonstration gegen die Vorratsdatenspeicherung in Berlin haben Sie der Polizei dagegen für ihren Einsatz und den Schutz der Demonstranten gedankt. Wie sieht das Verhältnis der Bürgerrechtler zum Staat heute aus?

Ich glaube, dass der Staat, den wir damals in den achtziger Jahren bekämpft haben, mittlerweile ein anderer ist. Viele Leute, die noch von Nazi-Deutschland geprägt waren, sind inzwischen nicht mehr da und viele Leute aus der 68er-Bewegung sind in den Institutionen des Staates angekommen. Außerdem glaube ich, dass der Anspruch der Menschen an den Staat mittlerweile ein anderer ist. Die Revolution, wie ich sie mir vorstelle, besteht nicht darin, dass man mit Mistgabeln auf die Straßen geht, sondern dass einfach einige Titel umbenannt werden. Statt Menschen zu regieren, müsste der Staat sich darauf beschränken, zwischen den Menschen eine Koordinationsaufgabe zu übernehmen. Das heißt, dass zum Beispiel die Bundeskanzlerin dann nicht mehr Bundeskanzlerin, sondern Bundeskoordinatorin heißen würde.

Jungle World: Was würde das denn an der staatlichen Überwachung ändern?

Letztlich nichts. Man würde einfach demjenigen, den man mit der Koordination beauftragt, die Mittel beschränken. Reale Auswirkungen hätte eine solche Umbenennung erstmal nicht, aber sie würde eine andere Denkweise über und eine andere Herangehensweise an Politik bedeuten.

Jungle World: Die Frage, was mit staatlicher Überwachung im Einzelnen bezweckt und bewirkt wird, etwa eine verbesserte Flüchtlingsabwehr oder die Kontrolle bestimmter politischer Gruppen, scheint in der Mobilisierung des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung eher im Hintergrund zu stehen.

Ich denke, die Kunst, eine solche Bewegung aufrecht zu erhalten, besteht auch darin, dass man die Dinge vereinfacht. Wer sich die BigBrother-Awards anguckt, die der Foebud seit 2000 vergibt, der wird feststellen, dass das Ausländerzentralregister zu den ersten Preisträgern gehörte. Dennoch denke ich, dass es der Politisierung derzeit hilft, wenn man sich thematisch etwas beschränkt. Das Thema Vorratsdatenspeicherung spricht deshalb so viele Menschen an, weil alle davon betroffen sind. Themen wie die Totalerfassung von Asylbewerbern sind deswegen natürlich trotzdem nicht unwichtig.

Jungle World: Der Verein Foebud bekommt am 12. April selber einen Award. Gemeinsam mit anderen Bürgerrechtsorganisationen wird ihm die Theodor-Heuss-Medaille verliehen. Im Vorstand der Stiftung, die die Medaille verleiht, sitzt, neben einigen FDP-Mitgliedern, auch der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Günther Oettinger (CDU). Betrachtet Ihr Verein diese Ehrung als angemessen?

Ich nenne den Preis unser Fleißkärtchen. Ich finde schon, dass er in unsere Selbstwahrnehmung gut hineinpasst. Wir sind in unseren Inhalten sehr radikal, aber wir bauen lieber Bürostrukturen auf als Barrikaden. Das ist sicherlich anders als früher.

Ron Steinke

Jungle World, Berlin, 27. März 2008
Original: http://jungle-world.com/artikel/2008/13/21449.html

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