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Urheberschutz kriminalisiert Tausende: Ein Gespräch mit Julian Finn

Kulturflatrate fürs Kopieren von Musik, Software und Filmen aus dem Internet wäre unbürokratische Alternative zum Gesetzentwurf der Bundesregierung.

Julian Finn ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Wissensallmende von ATTAC Deutschland und arbeitet beim Fairsharing-Netzwerk mit. Beide Organisationen kämpfen gegen die Verschärfung von Patentrecht und Urheberschutz.

F: Die Bundesregierung hat am 22. März den Entwurf eines neuen Urheberschutzgesetzes verabschiedet, aus dem die sogenannte Bagatellklausel gestrichen wurde. Was hat es damit auf sich?

Es geht vor allem um das Tauschen vom Musik, Filmen und auch Software im Internet, das Millionen von Menschen betreiben. Der Gesetzentwurf verschärft das Urheberrecht. Ursprünglich hatte im Entwurf eine Bagatellklausel gestanden, mit der zumindest Leute, die nur ein paar Texte oder Musikdateien tauschen, vor allzu willkürlichen Verfolgungsmaßnahmen geschützt werden sollten. So werden Hunderttausende von Jugendlichen kriminalisiert.

F: Heißt das, daß ich nun meine CDs nicht mehr kopieren darf?

Solange ich nicht einen Kopierschutz aktiv knacke, bleibt das Kopieren für den privaten Gebrauch erlaubt, und man darf die kopierten Scheiben auch weiter im Freundeskreis verschenken.

F: Die Befürworter eines schärferen Urheberschutzes argumentieren vor allem mit den Interessen der Künstler, die beim Kopieren und vor allem bei der kostenlosen Verbreitung im Internet leer ausgehen.

Es gibt alternative Konzepte, wie Musiker und andere Künstler entlohnt werden könnten, wenn Musik vor allem im Internet verbreitet, anstatt über den Ladentisch verkauft würde. Man könnte den kostenlosen Tausch im Internet vollkommen legalisieren und eine sogenannte Kulturflatrate einführen. Das wäre eine Pauschalabgabe auf Internetzugänge und Hardware, wie etwa MP3-Player. Pro Monat und Internetanschluß würde das etwa bei fünf Euro liegen und könnte über die Provider mit geringem Aufwand eingezogen werden. Das würde an diejenigen ausgeschüttet, deren Musik im Internet verteilt wird.

F: Warum ist so etwas von der Politik nicht diskutiert worden?

Vor allem die Musikindustrie betreibt einen aggressiven und offenbar erfolgreichen Lobbyismus für die weitere Verschärfung des Urheberschutzes. Der große Branchenverband ifpi besteht vor allem aus den vier Konzernen BMG, EMI, Universal und Warner, die ihre dominierende Marktmacht erhalten wollen. Eine Kulturflatrate würde die Rolle der Industrie in Frage stellen, denn ihre Funktion ist vor allem der Vertrieb, der heute zum Teil ohne sie über das Internet abgewickelt werden kann.

F: Auch ein Teil der Künstler scheint gegen eine Kulturflatrate zu sein.

Ja. Aber das eigentliche Problem der Künstler ist, daß ihr Anteil am Verkaufspreis der CDs minimal ist. Lediglich 14 bis 15 Prozent gehen an die Kreativen, der Rest geht in Vertrieb, Produktion und Marketing. Das heißt, die große Mehrheit der Musiker verdient, wenn sie denn überhaupt einen Plattenvertrag haben, ohnehin kaum Geld. Wenn man also von wenigen Großverdienern absieht, hätte eine Kulturflatrate für die meisten einen positiven Effekt.

F: Bisher haben Sie im Bundestag niemanden von der Kulturflatrate überzeugen können – nicht einmal die Linkspartei.PDS.

Was die Linkspartei angeht, müssen wir offenbar noch mehr Überzeugungsarbeit leisten. Wir hoffen, daß die gesellschaftlichen Realitäten zum Umdenken führen. So wie in Frankreich zum Beispiel, wo die Diskussion über die Kulturflatrate – dort »licence globale« genannt – wesentlich breiter geführt wird.

Wolfgang Pomrehn

Junge Welt, Berlin, 28. März 2006
Original: http://www.jungewelt.de/2006/03-28/030.php

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