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Der gläserne Patient

Auch die Kritiker der geplanten Gesundheitskarte tun sich schwer, eine einheitliche Position zu dem Mammutprojekt zu entwickeln

Auf den ersten Blick kommt die Wortmeldung aus Köln etwas spät: Die elektronische Gesundheitskarte, so der in der letzten Woche veröffentlichte Aufruf des Komitees für Grundrechte und Demokratie, schade »selbstbestimmter Gesundheit« und habe »nur negative Folgen«. Unterzeichnet haben unter anderem Rechtsanwalt Rolf Gössner, die Professoren Wolf-Dieter Narr und Peter Grottian sowie die Humanistische Union und die Datenschützer von FoeBuD.

Dabei ist die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte längst beschlossene Sache. Eigentlich sollte sie schon zu Beginn dieses Jahres an alle Versicherten ausgegeben werden; technische Probleme und Streitigkeiten zwischen Krankenkassen- und Ärztevertretern verzögerten den Start jedoch. Inzwischen halten Beteiligte schon einen Start in 2008 für »optimistisch.« Der zunächst ebenfalls verschobene Test in acht ausgewählten Regionen beginnt noch 2006. Die SaxMediCard, die die Gesundheitskarte in der sächsischen Region Löbau-Zittau testen will, verkündete für Dezember deren Ausgabe an 10000 Versicherte.

Angaben freiwillig

Damit steht ein umfassender Zugriff auf die Daten der Patienten bevor. Rezepte, Arztbesuche, Untersuchungen, Diagnosen – alles soll gespeichert werden. Eine PIN-Nummer erschwert den Zugriff von Unbefugten. Die offizielle Begründung der Bundesregierung für die Einführung der Karte lautet: Durch die Speicherung aller verordneten Arzneien werden in Zukunft weniger miteinander unverträgliche Medikamente verordnet. Vor allem aber erhofft sich der Bund eine Senkung der Kosten. Der Verwaltungsaufwand für die Bearbeitung der Rezepte werde reduziert, teure Doppeluntersuchungen sollen wegfallen.

Hier setzt allerdings auch die Kritik von Datenschützern an. Nicht nur Ärzten falle es zukünftig schwerer, eine zweite Röntgenuntersuchung, die lediglich ihrem Geldbeutel dient, zu begründen; auch Patienten würden Probleme bekommen, eine unabhängige zweite ärztliche Meinung einzuholen, wenn sie mit ihrem behandelnden Mediziner unzufrieden sind.

Als Knackpunkt gilt für Datenschützer aber die Erfassung der Daten durch die Krankenkassen: »Die Kassen werden zukünftig versuchen, Patienten, die sie zuviel kosten, zu vergraulen«, so Elke Steven vom Komitee für Grundrechte und Demokratie. Bestimmte Leistungen würden dann nicht mehr gezahlt oder nur als Zusatzleistung angeboten, etwa bei Alkoholismus oder anderen behandlungsintensiven Krankheiten.

Die Kampagne des Komitees setzt daher darauf, Patienten zu motivieren, die sensiblen Daten erst gar nicht speichern zu lassen. Sie zielt damit auf die Achillesferse des Gesundheitskartenprojekts. Die Bundesregierung hatte dem Druck von Datenschützern nachgegeben; die Speicherung fast der gesamten Angaben mit Ausnahme des elektronischen Rezepts und einiger Grunddaten wie Anschrift und Kasse sind nunmehr freiwillig. Nehmen zu viele Patienten ihr Recht in Anspruch und verweigern die Speicherung, wird das »größte IT-Projekt der Welt« (Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt) zum Flop.

Vorbild DDR-Krebsregister

Selbst Befürworter der jetzigen Karte wie der schleswig-holsteinische Datenschutzbeauftragte Thilo Weichert befürchten nicht nur für diesen Fall Druck aus der Politik: »Bisher freiwillige Anwendungen können leicht zu Zwangsverfahren werden. Schon jetzt zeigt sich, daß datenschutzrechtlichen Verfahren entgegengehalten wird, diese wären zu kompliziert und zu aufwendig«, schreibt Weichert in der Zeitschrift Datenschutz und Datensicherheit. Ähnlich wie bei der Lkw-Maut, wo bereits wenige Monaten nach Beginn eine Debatte über deren Nutzung zu Fahndungszwecken losbrach, könnten die einmal installierten technischen Geräte Begehrlichkeiten wecken.

Weichert steht dabei stellvertretend für die gespaltene Sicht unter manchen Datenschützern und Patientenvertretern auf die elektronische Gesundheitskarte. »Die Positionen orientieren sich nicht an einem typischen Links-rechts-Muster«, meint Elke Steven. Patientenvertreter etwa hoffen auf bessere Informationen über ärztliches Handeln. Auch der gesundheitspolitische Sprecher der Linkspartei im Bundestag, Frank Spieth, verteidigt die Karte: »Damit kann man die Gesundheitsberichterstattung wesentlich verbessern«, so Spieth. Er verweist auf das Vorbild des DDR-Krebsregisters, mit dem man gezielt bestimmte Häufungen der Krankheit in einzelnen Regionen habe feststellen und anschließend handeln können. Will das Komitee für Grundrechte und Demokratie mit seiner Kampagne Erfolg haben, steht ihm wohl noch ein hartes Stück Überzeugungsarbeit bevor.

Jan Eisner

Junge Welt, Berlin, 08. November 2006
Original: http://www.jungewelt.de/2006/11-08/049.php

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