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Schläger zu Nummern

Politisches Nachbeben nach Polizeigewalt gegen Anti-Überwachungsstaat-Demonstration in Berlin. Linke soll individuelle Kennzeichnungspflicht durchsetzen

Wieder einmal hat die Berliner Polizei die vom SPD-Linke-Senat herbeigewünschte Bürgernähe falsch verstanden. Bei der Demonstration gegen den Ausbau des Überwachungsstaats mit 15000 Demonstranten am Sonnabend war es zu brutalen Übergriffen auf Teilnehmer gekommen. Aber bis zum gestrigen Donnerstag war weder beim Senat noch den Regierungsparteien SPD und Linke ein Bemühen um Aufklärung festzustellen.

Besonders Beamte der berüchtigten Einsatzhundertschaften hatten sich bei der Demonstration als Schläger hervorgetan. Organisiert war der Aufzug von verschiedenen Bürgerrechtsvereinen, aufgerufen hatten 55 Organisationen, darunter auch die Die Linke, FDP und Grüne.

»Wir haben eine politische Aussage, und ein Recht zu demonstrieren. Ich bin echt entsetzt. Die üblichen Rituale waren unnötig, die taktischen Fehler der Polizei sahen für mich wie Absicht aus«, sagte ein Sprecher des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung (Künstlername: padeluun) im Gespräch mit jW. »Das darf nicht sein. Das muß Konsequenzen haben.«

Für viele Teilnehmer der heterogenen Veranstaltung, die mit dem deutschen Demonstrationsalltag nicht vertraut sind, war es eine schmerzhafte Lehrstunde. Mindestens 32 Personen wurden Opfer willkürlich prügelnder Polizisten, weitaus mehr durch den Einsatz von Pfefferspray – der Chemiewaffe des kleinen Beamten – in Mitleidenschaft gezogen. Auch einige Polizisten zogen sich leichte Blessuren zu, einer soll am Tränengas seiner Kollegen partizipiert haben.

Als Vorwand für das unverhältnismäßige Vorgehen dienten vor allem angebliche Verstöße gegen die repressiven Demo-Auflagen. So war das Mitführen von Seitentransparenten von mehr als 1,50 Meter Breite untersagt, da sich dahinter potentielle Straftäter verbergen könnten.

Nicht nur Springers Morgenpost (»Angriffe auf Polizisten bei Demonstration«) stellte im Anschluß den Handlungsverlauf auf den Kopf. In einer von der Partei Die Linke einberufenen Aktuellen Stunde des Innenausschusses des Abgeordnetenhauses am Montag gab der dem »rot-roten« Senat dienende Polizeipräsident Dieter Glietsch seinen Mannen Deckung: Diese seien in »angemessener und sachgemäßer« Weise vorgegangen. Marion Seelig von der Berliner Linksfraktion sprach sich dafür aus, daß Veranstalter und Polizei künftig noch enger kooperieren.

Sebastian Lorenz von der Antifaschistischen Linken Berlin hält nichts davon, das Problem zu verwischen: Es habe sich »eindeutig um eine politisch motivierte Aktion der Polizei« gehandelt mit der Absicht, »hineinzugehen und zuzuschlagen«, sagte er gegenüber junge Welt. Das sehr breit gefächerte Antirepressionsbündnis dürfe sich nicht entsolidarisieren. Die Linke fordert Lorenz auf, »sich endlich darum zu bemühen, eine individuelle Kennzeichnungspflicht von Polizisten durchzusetzen«, damit Straftäter in Uniform auch belangt werden können. Opfer sollten unbedingt Anzeige erstatten, um Druck auf Justiz und Politik auszuüben. Auch padeluun fordert die Numerierung der Beamten: »Die Dinge müssen anschließend aufzuklären sein.«

Auf wiederholte Nachfrage zu politischen Konsequenzen an die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion kam leider keine Antwort. Marion Seelig entzog sich über mehrere Tage trotz Terminabsprachen einem Gespräch mit der jungen Welt. Bisher hatte der Widerstand der Polizeigewerkschaft als Grund gegolten, warum die Linke ihre Forderung nach Kennzeichnung nicht durchsetzt. Zuletzt hatte sie in der Frage der Video-Überwachungen nach der Pfeife der SPD getanzt.

Auch von der Berliner Polizei war am Donnerstag »angesichts des politischen Wirbels keine kurzfristige Stellungnahme« (O-Ton Polizeisprecher) zu erhalten. Das besondere Interesse gilt dem Stand möglicher interner Ermittlungen. Ein Beamter soll Teilnehmer als »Judensau« beschimpft haben. Wie junge Welt dokumentierte, zeigen Fotos, wie Polizisten auf wehrlos am Boden Liegende eintreten.

Peter Steiniger

Junge Welt, Berlin, 28. September 2007
Original: http://www.jungewelt.de/2007/09-28/051.php

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