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Wir wünschen guten Rutsch ins Jahr 1984

Der jährliche Hackerkongreß in Berlin befaßte sich auch mit Themen wie der Vorratsdatenspeicherung. Ein Gespräch mit padeluun

Der Künstler und Netzaktivist padeluun (Künstlername) ist einer der Vorsitzenden von FoeBuD (Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs, Sitz in Bielefeld), Mitarbeiter im Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung und einer der Organisatoren sowie Jurymitglied der deutschen BigBrotherAwards.

Als langjähriger Teilnehmer kann ich sagen, daß die politische Dimension immer da war, gerade beim CCC. Viele der Anwesenden sehen zwar wie Freaks aus, von denen man meint, daß sie außer Computerprogrammen nichts im Kopf haben. Das täuscht aber oft – die einen haben z. B. in Gorleben gegen das Atomlager demonstriert, andere setzen sich für soziale Aufgaben ein. Wiederum andere waren bei den Protesten gegen den G-8-Gipfel in Rostock dabei.

Viele Hacker beobachten genau, was staatlicherseits geschieht und welche Bedrohungen für die Allgemeinheit davon ausgehen. Es geht ihnen weniger um Partikularinteressen, auch wenn bei dem einen oder anderen die Haltung eine Rolle spielen mag, daß er sich die Freiheit zu hacken nicht nehmen lassen will.

Dazu gab es natürlich auch eine Veranstaltung. Ich selbst sehe solche Themen eher als Teil eines Gesamtkomplexes, der unsere Freiheit bedroht. Viele Leute schnallen ja überhaupt nicht, wovon da die Rede ist, weil die Politiker mit falschen Begründungen arbeiten, so daß ein wirklicher Diskurs darüber gar nicht möglich ist. Die Vorratsdatenspeicherung z. B., gegen die wir am Montag beim Bundesverfassungsgericht Klage eingereicht haben, würde keinerlei Art von Terrorismus behindern. In Wirklichkeit geht es um etwas ganz anderes – nämlich um wirtschaftliche Interessen.

Und was den Bundes-Trojaner betrifft – ich kann mir vorstellen, daß er abgebügelt wird. Oder er wird als Marginalie, als Spinnerei von Politikern oder Pseudospezialisten still und leise in der Versenkung verschwinden. Anderes ist viel wichtiger: nämlich Gesetzesänderungen, die auf einen totalitären Staat hinauslaufen. Dabei geht es nämlich darum, alle Bürgerinnen und Bürger systematisch auszuforschen. Dazu zähle ich die Vorratsdatenspeicherung, die ja auch im Gesundheitswesen mit der Krankheits- oder auch Gesundheitskarte stattfindet. Oder die Erfassung von Fingerabdrücken, mit der die gesamte Bevölkerung erkennungsdienstlich behandelt wird.

Ich habe das in einem Berliner Kaufhaus getestet. Die Kassiererinnen verstanden meine Anspielung sofort, als ich ihnen einen guten Rutsch ins Jahr 1984 wünschte. Das Buch ist allerdings in meinen Augen eher schon eine Art Historienroman – das, was darin beschrieben wird, existiert ja schon in der einen oder anderen Form. Nehmen wir nur den »Neusprech« – d.h. die Manipulationssprache, mit der Begriffe in ihr Gegenteil verkehrt werden.

Wer die Bedrohung unserer Demokratie richtig erfassen will, sollte Aldous Huyleys »Schöne neue Welt« lesen – dort gestalten sich die Menschen ihre Hölle selbst. Oder »Der Prozeß« von Franz Kafka. Und wer uns Hacker verstehen will, sollte zu dem Buch »Der Schockwellenreiter« von John Brunner greifen.

Peter Wolter

Junge Welt, Berlin, 02. Januar 2008
Original: http://www.jungewelt.de/2008/01-02/006.php

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