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In den Datenschatten treten

Von Bundestrojaner bis »Space Communism«: der 24. Chaos Communication Congress in Berlin

Am Sonntag endete in Berlin der jährliche Kongreß des Chaos Computer Clubs (CCC). Die größte europäische Hacker-Convention. 4200 Teilnehmer beschäftigten sich schwerpunktmäßig mit Biometrie, Überwachung, Netzdemokratie und Datenhygiene. Altmeister padeluun vom Bielefelder Datenschutzverein FoeBuD wünschte der Bevölkerung in diesem Sinne einen »guten Rutsch ins Jahr 1984« (siehe jW vom 2. Januar).

Eine spontane Demonstration durch das östliche Stadtzentrum richtete sich vor allem gegen den Bundestrojaner, auch »Remote Forensic Software« genannt. Mehr als 1000 Hacker skandierten Sprechchöre gegen die Sicherheitsgesetze des Innenministers. Die Gesellschaft sei in den bürgerlichen Medien vor allem vom Islam bedroht (siehe etwa die vier schwarz grundierten Islam-Gefahr-Titelblätter des Spiegel im vergangenen Jahr). Weitaus gefährlicher sei die politische Korruption. »Wir brauchen den Bürgertrojaner für mehr Bürgerbeteiligung«, beschwor ein CCC-Aktivist die versammelten Computerfreaks und rief zur stärkeren Überwachung von »Problempolitikern« auf. Für den Schutz unserer Gesellschaft sei das unerläßlich.

Geht es in Sachen Vorratsdatenspeicherung nach der großen Koalition, soll künftig lückenlos dokumentiert werden, wer mit wem in den letzten sechs Monaten elektronisch in Verbindung stand. Bei Handy-Nutzung wären die Standorte zu archivieren. Dieses umfassende Profil des Telefonnutzers verleiht dem Begriff »Datenschatten« eine völlig neue Bedeutung. Der CCC-Arbeitskreis gegen die Vorratsdatenspeicherung verspricht sich viel von der in Karlsruhe anhängigen Verfassungsbeschwerde gegen Schäubles Novelle der Telekommunikationsüberwachung. 30000 Bürger haben beim Bundesverfassungsgericht geklagt. Und die höchsten Richter haben ja schon den Großen Lauschangriff, den Europäischen Haftbefehl und das Luftsicherheitsgesetz für nicht verfassungskonform erklärt.

Offen ist auch, ob die biometrische Überwachung von Gesichtsmerkmalen und Fingerabdrücken mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung vereinbar ist. In dieser Sache ist Hacker-Widerstand im Projekt »Überwachung der Überwacher« organisiert. Ein aktueller Neuzugang in der Datei mit Fingerprints prominenter Politiker ist das Foto eines Weinglases von Wolfgang Schäuble.

Nicht nur Hacker haben Politiker im Blick. Auf dem Kongreß referierte die MI5-Aussteigerin Machon, daß der britische Geheimdienst seit langem über jeden Labour-Abgeordneten eine Personalakte führe. Für manch einen war damit der »New Labour«-Rechtsruck erklärt, auch wenn das etwas kurz gegriffen ist.

Zum entspannteren Teil des Kongresses gehörten das Quiz »Hacker Jeopardy«, die Beschäftigung mit absurder Mathematik, linguistischem Hacken und dem Knacken der Codes von Pfandflaschenrücknahmeautomaten. Letzteres wurde in der Yellowpress (Stern, Spiegel etc.) zum Highlight aufgebauscht.

Schriftsteller Daniel Kulla und Oona Laganovic diskutierten den künftigen »Space Communism« zwischen Star Trek und Stanislaw Lems Sterntagebüchern, ein Thema für politische Science-Fiction-Fans: Brauchen wir erst eine gerechte Gesellschaft auf Erden, ehe wir zur Besiedelung des Weltalls schreiten können?

Eine gesundheitsschädliche Entwicklung sehen Hacker im Pharmasektor kommen: Immer mehr Krankenhäuser setzen auf automatische Medikamentendosiergeräte, die nach dem wenig vertrauenerweckenden System Microsoft Access funktionieren. Sind diese Geräte sicher? Hacker-Angriffe nehmen ständig zu und werden vor diesen Apparaturen kaum Halt machen.

Nach aktueller CCC-Statistik vergehen bis zum ersten Angriff auf einen online gebrachten Rechner nur noch 39 Sekunden. Täglich werden zirka 30000 Webseiten geknackt. Bekannt gewordene Sicherheitslücken kann die Computerindustrie erst nach durchschnittlich 348 Tagen schließen.

Thomas Barth

Junge Welt, Berlin, 04. Januar 2008
Original: http://www.jungewelt.de/2008/01-04/032.php

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