Mehrere Landes- und der Bundes-Innenminister fordern ein Gesetz für die Rückkehr zur umstrittenen Vorratsdaten-Speicherung. Die FDP und der Datenschützer-Verein Foebud bezweifeln Sinn und Verhältnismäßigkeit der Mega-Datensammlung.
Die Innenminister von Bund und Ländern haben Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) aufgefordert, schnell einen Gesetzentwurf zur Wiedereinführung der hochumstrittenen Vorratsdatenspeicherung vorzulegen. Es gebe eine "Schutzlücke", sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) am Freitag in Hamburg zum Abschluss der Herbstkonferenz der Innenminister. Einen direkten Zusammenhang zwischen der Forderung und den jüngsten Terrorwarnungen wies er zurück. Das Problem sei "seit längerem" bekannt und schon vor Wochen auf die Konferenz-Tagesordnung gesetzt worden.
Das Bundesverfassungsgericht hatte im März die bisher praktizierte Regelung zur Vorratsdatenspeicherung gekippt. Damit wurde die automatische sechsmonatige Speicherung von Verbindungsdaten durch Telekommunikationsanbieter gestoppt. Die Innenminister von Bund und Ländern sowie Polizeivertreter hatten wiederholt kritisiert, dadurch werde die Aufklärung schwerer Straftaten aus dem Bereichen der organisierten Kriminalität sowie des internationalen Terrorismus erschwert.
Wir müssen sehr schnell zu einer gesetzgeberischen Lösung kommen", sagte Hamburgs Innensenator Heino Vahldieck (CDU). Berlins Innensenator Erhart Körting (SPD) sagte, die Vorratsdatenspeicherung könne im "Einzelfall" auch bei der Terror-Bekämpfung wichtig sein. Insgesamt sei das Thema aber "primär eine Frage der schwersten Kriminalität", sagte der Sprecher der SPD-geführten Innenressorts. Alle Ministerien seien sich darin einig. (afp, dpa)
Auch NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) fordert angesichts der neuen Warnungen vor Terrorangriffen in Deutschland eine Vorratsdatenspeicherung. Datenschutz sei selbstverständlich, sagte Jäger der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post" (Donnerstagsausgabe). "Allerdings dürfen wir im Sinne der Opfer nicht so weit gehen, dass Straftaten nicht mehr ordentlich ermittelt und Straftäter nicht zur Rechenschaft gezogen werden können."
Der Düsseldorfer Minister appellierte an Bundesinnenminister Lothar de Maizière (CDU) und Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), einen verfassungskonformen Gesetzentwurf vorzulegen. Dabei gehe es nicht um Inhalte von Gesprächen, sondern um die Verbindungsdaten, unterstrich Jäger. "Wann hat wer mit wem telefoniert oder gemailt? Über welchen E-Mail-Account?"
Die FDP im NRW-Landtag lehnte Jägers Forderung ab. Der rechtspolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, Robert Orth, kritisiert die Initiative des Ministers. "Wer 82 Millionen Menschen präventiv totalüberwachen will, täuscht Sicherheit nur vor und ignoriert Bürgerrechte", erklärte Orth am Donnerstag. Reflexartige Forderungen nach der strengeren Überwachung seien nicht hilfreich. Es sei nicht bewiesen, dass mehr Überwachung automatisch zu mehr Schutz führe.
Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger sprach sich unterdessen erneut gegen eine schnelle Einführung der Vorratsdatenspeicherung aus. Der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post" (Freitagsausgabe) sagte sie: "Datenberge allein helfen nicht weiter." Eine nachhaltige Sicherheitspolitik brauche qualifiziertes Personal und moderne Ausstattung. Zudem werde der "sicherheitspolitische Mehrwert dieser grundrechtssensiblen Datenberge" zu Recht vom Bundesverfassungsgericht bezweifelt. Die Ministerin hatte sich bereits in der vergangenen Woche für eine Reform der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen. Die Daten sollten nur dann gespeichert werden, wenn ein konkreter Verdacht auf eine Straftat bestehe.
Der Datenschutz-Verein foebud hat davor gewarnt, die jüngste Terrorwarnung für eine Wiederbelebung der Vorratsdatenspeicherung zu missbrauchen. "Ich wüsste nicht, wie man mit der Vorratsdatenspeicherung einer Terrorgefahr begegnen sollte", sagte ein Sprecher des Vereins mit dem Künstlernamen padeluun der Nachrichtenagentur dpa in Bielefeld. Padeluun gehört - unter diesem Namen - als Sachverständiger der Internet-Enquetekommission des Bundestages an.
"Wir haben nachgewiesen, dass die Vorratsdatenspeicherung völlig sinnlos ist", sagte padeluun. "Und auch das Bundesverfassungsgericht hat gesagt: So geht das nicht!" Das Gericht hatte die deutsche Regelung zur Vorratsdatenspeicherung im März gekippt. Seitdem dürfen Telefon- und Internetdaten nicht mehr ohne Anlass für sechs Monate gespeichert werden. Die Verfassungsbeschwerde war von foebud mitorganisiert worden. Der Verein verleiht jährlich die "Big Brother Awards" an "Datensünder".
"Jemand, der etwas Böses plant, weiß natürlich, dass die Daten gespeichert werden und kann sich davor schützen", unterstrich padeluun. "Um das zu verdeutlichen bieten wir eine kleine Software an, mit der man überall kommunizieren kann, ohne dass jemand mitlesen oder herausfinden kann, wer wo wann kommuniziert oder welche Daten heruntergeladen hat."
"Das heißt im Klartext: Die arglistigen Menschen entziehen sich der Überwachung, die 350 Millionen unbescholtenen EU-Bürger werden aber mitüberwacht." Zudem habe eine Erhebung des Bundeskriminalamtes gezeigt, dass man nur einen verschwindend geringen Anteil der Straftaten mit der Vorratsdatenspeicherung besser aufklären könnte, sagte der Datenschutz-Aktivist.
Zugleich kritisierte er: "Wir sind dabei, uns von irgendwelchen Interessengruppen in einen Sicherheitskokon sperren zu lassen." Es gebe eine Überwachungsindustrie, die mit Daten sehr viel Geld verdienen wolle. "Und Sicherheitsbehörden sammeln Daten, damit sie später, wenn etwas passiert ist, sagen können: Ich habe alles getan, um das zu verhindern."
Kölner Stadt-Anzeiger, 19. November 2010
Original: http://www.ksta.de/html/artikel/1289495347804.shtml