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Wem gehört das Internet

20 Jahre alternative Online-Geschichte

“Wem gehört das Internet?“, so fragte ein Kongreß in München anläßlich des 20-jährigen Bestehens der ehemaligen Mailbox Link-M. Denen, die es einst groß gemacht haben, jedenfalls schon lange nicht mehr, doch das war auch nie ihr Ziel.

Es klingt aus heutiger Sicht kurios: Alternative, “rot-grün-bunte” Datennetzenetze? Waren in Deutschland doch “Grüne” und auch “Rote” doch eher als Technikfeinde bekannt, nur “Braune” machten und machen bis heute immer wieder mit rechtsradikalen Online-Aktivitäten von sich reden und sind neben Online-Pornos ein willkommenes Argument, eine Netz-Zensur und ein vom Rest des WWW abgekoppeltes “Deutschnet” einzuführen.

Doch die Geschichte der Online-Bewegung verlief anders. In den frühen Jahren, in denen technisch interessierte “Spinner” die ersten Datennetze aufbauten und dafür oft genug mit dem Gesetz in Konflikt gerieten, weil sie die noch verbotenen amerikanischen Modems mit Wählfähigkeit statt langsamer 300-Baud-Akustikkoppler verwendeten, war ein gewisses politisches Engagement und eine Abneigung gegen die Behörden zwar nicht Voraussetzung, aber spätestens nach der ersten Hausdurchsuchung eine fast zwangsläufige Folge der digitalen Aktivitäten.

In Amerika begann das Mailbox- und Ökozeitalter im Gegensatz zu Deutschland sehr friedlich, obwohl diese Kreise ausgerechnet aus Regierungs- und Militärexperimenten entstanden waren. Doch die Abneigung gegen die ehemaligen Sponsoren entstand erst mit dem Desaster des Vietman-Kriegs; im Kalten Krieg der 60er mit mangelndem Überblick über die ablaufenden Experimente waren “Alternative” und Militär noch eng verbunden. Auch der amerikanische Umgang mit Drogen entstand hier, nicht erst in Vietnam.

Die kalifornische Kybernetik- und LSD-Szene entwickelte sich aus Personen wie dem Schriftsteller Stewart Brand, der 1960 an LSD-Tests der US-Regierung teilnahm, Gefallen an der Droge fand und sie nun selbst promotete. Er gründete auch einen Versand alternativer Artikel, unter anderem für landwirtschaftliche Kommunen, die im “Whole Earth Catalog” aufgelistet wurden, den er im LSD-Rausch erdacht hatte. Brand erfand auch den Begriff “Personal Computer” und installierte “The Well”, das erste alternative Computernetzwerk, auf seinem Hausboot in Sausolito bei San Francisco.

Da Hippies als Außenseiter galten und die Computer-Nerds ebenso, trafen sie sich in den 60ern und 70ern als Gleichgesinnte - ganz anders als im Deutschland der 80er, wo man schon als Elektronikbastler bei den “Alternativen” komplett unten durch war und als Computernerd und Feind galt. In Amerika startete erst der “Unabomber” den Krieg zwischen “Ökos” und “Geeks”.

So fanden sich auch im “Whole Earth Catalogue” zwei für deutsche Begriffe sehr gegensätzliche Beiträge: “Wie benutze ich einen Computer?” und “Wie baue ich mir eine Hütte in der Wildnis im Stile Thoreaus?”. Henry David Thoreau ist die Ikone der US-Grünen, der dies Anfang des 20. Jahrhunderts vorexerziert hatte. Also Technik und Nicht-Technik in einem Buch. Die Technik wurde nicht wie in Deutschland als von Natur aus böse eingestuft, sondern ganz pragmatisch gesagt “sie ist da, also macht etwas draus, nur wenn wir sie den Bösen überlassen, wird sie böse”.

Die Ikone der alternativen Nicht-Techniker, Thoreaus Waldhütte, wurde dagegen mit Theodore J. Kaczynski, der 1971 seine Professur an der Uni Berkeley kündigte und dann 25 Jahre in einer selbstgebauten Waldhütte in Montana hauste, um nicht entdeckt zu werden, unerwartet zum Symbol des Terrors. Kaczynski lehnte die Technik ab und sagte, sie ist per sé böse und könne niemals demokratisch genutzt werden. Wohin würde beispielsweise eine Personal Atom Bomb für jeden führen?

1993 wurde Kaczynski das erste Mal verhaftet, als der Computerwissenschaftler David Gelernter Opfer seiner Bomben wird. Von 1978 bis 1995 starben drei Menschen unter Kaczynskis Bomben und 23 wurden teils schwer verletzt, Chefs von Fluggesellschaften und Wissenschaftler. Daraus entsteht der Codename Una-Bomber von Universities und Airlines. Und seitdem sind auch in Amerika Technik und Umweltschutz in vielen Gruppierungen Feinde geworden, obwohl gerade veraltete Technik Ursache für unnötige Umweltbelastungen ist.

Die Link-M-Mailbox wurde einst, ihrer beabsichtigten politischen Ausprägung entsprechend, unter dem Namen “Links” gegründet - und dann gleich Opfer einer der ersten Markenrechtsstreits um Online-Dinge: Eine Zeitschrift hieß nämlich auch “Links”. Fortan war die Mailbox nun nicht mehr links, sondern nur noch link. Das sollte nun aber keine Ausrichtung mehr darstellen. Und die war unter den Aktivisten auch nie einheitlich.

Heute, 20 Jahre später ist dies nicht anders. Peter Kratz, Diplom-Psychologe des Berliner Instituts für Faschismus-Forschung BIFFF, protestierte gegen die Teilnahme von “Junger Welt” und “LabourNet” am Kongreß, da diese seiner Meinung nach gar nicht links, sondern rechts seien. Und mit sechs bis auch Links komme man von Klaus Wowereit und der offiziellen Seite der Stadt Berlin zu Militaria-Händlern und Nazis. Eine interessante Ansicht, doch sicher nicht mehrheitsfähig, auch nicht unter Antifaschisten. Doch über das Anti-Porno-Urteil des BGH vom 18. Oktober würde nun derartiges bald unmöglich, da man nun für die Inhalte verlinkter Seiten verantwortlich sei, so Kratz.

Größere Zustimmung fanden die Vorträge zur Überwachung und Vorratsdatenspeicherung von Rena Tangens, Padeluun und Werner Hülsmann . Letzterer brachte dabei auch viele unbekannte Aspekte ein. So darf ein Provider 500.000 Euro zahlen, wenn er es nicht schafft, alle Verbindungsdaten seiner Kunden sechs Monate aufzuheben, beispielsweise infolge eines Festplattencrashs.

Und es wäre einfacher, im Falle von strafrechtlichen Ermittlungen statt der vorbeugenden Allessammelei über einen sogenannten “Quick Freeze” Verbindungsdaten einige Tage einzufrieren und so zu sichern, bis ein richterlicher Bescheid zur Verwendung der Daten vorliegt. Die Vorratsdatenspeicherung birgt dagegen ähnliche Probleme und Gefahren wie die frühere Rasterfahndung, bei der ein Mitglied der Jungen Union in Terrorverdacht geriet, wenn er nichtswissend im “falschen” Zugabteil saß. Man spricht von “Kontaktschuld”.

Die Vorratsdatenspeicherung ist zwar nach Abstimmung im Bundestag inzwischen beschlossene Sache, auch wenn der Bundespräsident noch zustimmen muß, doch liegen bereits 13.000 Beschwerdeführer für eine Verfassungsbeschwerde vor, sollte sie Gesetz werden.

Auch dazulernen konnten die Kongreßbesucher bei Markus Mandalka, der zeigte, daß die grenzenlose Datenerhebung keinesfalls nur paraniode Mitbürger nervös zu machen habe, da längst aus den bei Händlern und Webseiten gesammelten Daten Profile der Websurfer erstellt und auch von einschlägigen Firmen angeboten werden. Ebenso wird in Digitalfotos die Seriennummer der verwendeten Kamera gespeichert. Oder wer in einer bestimmten Straße beispielsweise in Haan wohnt, gilt als nicht kreditwürdig.

Heute versuchen jedoch alte Männer mit Kugelschreibern das Internet zu regieren und mit dessen Überwachung auch das Privatleben mit zu überwachen. Wenn dann ein musikunkundiger Mitarbeiter der Staatssicherheit eine Amazon-Einkaufsliste mit den CD-Titeln “Dark Passion Play” (Nightwish), “Schmutzige Liebe” und “Rock’n Roll Sexgott” (Ohrenfeindt) in die Hände bekommt, darf man nur hoffen, daß er kein Psychologe ist .

Angesichts des Spams sind sogar einstige Online-Aktivisten dazu übergegangen, bei Bedarf lieber wieder anzurufen oder persönlich zu erscheinen, so Friedrich Erbacher von x-tausendmal quer . Nicht nur die Mailboxzeit hat also ihren Höhepunkt für wichtige Dinge hinter sich, sondern auch die ganze Online-Kommunikation, so die Meinung.

Seinerzeit arbeiteten die Online-Netz nicht in Echtzeit wie heute, sondern per “Store and Forward”: Nachts, wenn es billiger war, rief eine Mailbox die nächste an und schickte so kostengünstig ihre Daten weiter, auch wenn so eine E-Mail schon mal Tage oder gar Wochen unterwegs war, im Hobby-Fido-Netz, das 1995 durch Polizeiaktionen auf der (ergebnislosen) Suche nach Pornografie ausgedünnt wurde, wie in den Z- und CL-Netzen der politischeren Onliner. Eine echte ständige Internet-Verbindung war damals unbezahlbar.

Heute ist jedoch die Alternativität des Online-Mediums Geschichte . Gabriele Hoofacker faßte den Lauf der Dinge so zusammen: