Die SPD will in Nordrhein-Westfalen eine massive Verschärfung von Videoüberwachung, Rasterfahndung und von Platzverweisen. Der grüne Landesparteitag hat sich im Mai dagegen ausgesprochen. Druck gegen die Verschärfung machen jetzt Bürgerrechtler, Unterstützung erhalten sie von der SPD-eigenen »Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen«.
Mit ihrem Papier »Bündnis für Erneuerung - Aufbruch für NRW« fordert die SPD in den Verhandlungen über eine Neujustierung der rotgrünen Koalition, die »landesgesetzlichen Voraussetzungen für einen breiteren Einsatz von Videoüberwachung, Rasterfahndung und des Platzverweises« zu schaffen. Die Landesdelegiertenkonferenz der Grünen hatte genau das am 23. Mai mit Zweidrittelmehrheit abgelehnt, auch die »Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen« (ASJ) senkte den Daumen.
Jetzt macht ein breites Bündnis von Datenschützern und Bürgerrechtlern gegen die Verschärfung des NRW-Polizeigesetzes mobil. Im Vorspann des Papiers (www.foebud.org) formuliert die NRWSPD, Regierungen erhielten Zustimmung der Menschen für ihr Tun und nicht für Nichtstun und Unterlassen. Bürgerrechtler fragen sich allerdings, ob es sich bei deren Forderungen zur »inneren Sicherheit« nicht um blinden Aktionismus handelt. In einer gemeinsamen Erklärung, die auch Hans Lisken, ehemaliger Düsseldorfer Polizeipräsident, unterzeichnete, werden die Vertreter der Grünen wie der SPD in den Koalitionsgesprächen aufgefordert, sich den »undurchdachten und populistischen Vorschlägen zu verweigern«. Die geplanten Verschärfungen seien »unverhältnismäßig« und würden die Grundrechte zahlloser unbescholtener Bürger verletzen, ohne einen Beitrag zur Verbesserung der Kriminalitätsprävention zu leisten.
Durch Überwachungs-Kameras werde ein »Konformitätsdruck erzeugt, der geeignet ist, die Bürgerinnen und Bürger von der Ausübung ihrer Grundrechte, so der Teilnahme an Versammlungen, abzuhalten«. Der Druck auf soziale Randgruppen erhöhe sich, die Innenstadt zu meiden. Dass sich die Videoüberwachung in immer mehr Städten durchsetze, sei kein Argument dafür. Es gebe keinen Beleg für deren behaupteten Nutzen. Eine im Auftrag der britischen Regierung durchgeführte Studie ergab, dass Videoüberwachung zu keinem signifikanten Rückgang der Kriminalität führt. Vielmehr trage verbesserte Straßenbeleuchtung zur Kriminalitätsverhütung bei.
Umstritten endete auch ein Pilotversuch in Bielefeld, wo vom Februar 2001 bis März 2002 Kameras einen so genannten »Kriminalitätsschwerpunkt«, einen Park in der Innenstadt, überwachten. Während das NRW-Innenministerium sich bestärkt sieht, vermerken Datenschützer, dass die Zahl der Straftaten in dem Park sogar von sechs im Jahr 2000 auf neun 2001 angestiegen war. Die Zahl der Delikte sei bereits vor Installation der Kameras zurückgegangen, weil im Jahr 2000 Sträucher zurückgeschnitten und neue Beleuchtung installiert wurden. Gleichzeitig seien in der Stadt die Angebote für Alkohol- und andere Suchtkranke deutlich verbessert worden, weshalb sich weniger in dem Park aufhielten.
Nach den Plänen der SPD soll Videoüberwachung zukünftig nahezu schrankenlos ermöglicht werden. Innenminister Fritz Behrens (SPD) hofft auf eine abschreckende Wirkung. Die Beschränkung auf »Straftaten von erheblicher Bedeutung« wird aufgegeben, Aufzeichnungen können dann bis zu einem Monat gespeichert werden. Nach geltendem Recht sind Videoaufzeichnungen an Kriminalitätsschwerpunkten nur möglich, wenn sie zur Strafverfolgung benötigt werden. Die Bürgerrechtler sprechen sich ebenso gegen die Rasterfahndung aus. Es sei unverständlich, warum die SPD dieses »ineffiziente, ungeheuer teure und aufwändige polizeiliche Mittel nunmehr auch noch ausweiten will«. Allein in NRW wurden bei der Rasterfahndung nach den Anschlägen vom 11. September Daten von fünf Millionen Männern erhoben. Trotzdem führte dies weder in NRW noch in einem anderen Bundesland zu einem einzigen Fahndungserfolg. Unzutreffend sei auch, dass die geplanten Verschärfungen des Polizeigesetzes eine Anpassung an Vorgaben der Rechtsprechung darstellten. Vielmehr habe das Oberlandesgericht Düsseldorf die Rasterfahndung weitgehend für rechtswidrig erklärt.
Auch die ASJ lehnt die Positionen ihrer regierenden Genossen ab. Sie verlangt den Nachweis, dass die vorgesehenen Maßnahmen »notwendig, tauglich und verhältnismäßig« sind und dass sie bei »möglichster Schonung der Bürgerrechte mit vertretbaren Kosten eine deutliche Steigerung der Effizienz der Gefahrenabwehr mit sich bringen«. Bei der geplanten Ausweitung von Platzverweisen durch die Polizei auf bis zu drei Monate für eine Gemeinde oder ein ganzes Stadtgebiet sei nicht einmal der »Versuch eines Belegs« zu erkennen.
Manfred Hoern
Neues Deutschland, Berlin, 13. Juni 2003
Original: Nicht bekannt