Mehr als 2.000 Menschen gingen am Samstag in Köln für den Schutz der Bürgerrechte und gegen die zunehmende staatliche Überwachung und Kontrolle auf die Straße. Zur Demonstration „für ein Morgen in Freiheit“ hatte ein Aktionsbündnis aufgerufen, das vom DGB über Linkspartei und Grüne bis zu Chaos-Computer-Club und Piratenpartei reichte. Prominenteste Rednerin war Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau von der LINKEN, die auf der Abschluss-Kundgebung am Roncalliplatz sprach.
Zur Auftaktveranstaltung gegen 14 Uhr sprach nach einem musikalischen Vorprogramm von Klaus der Geiger und der Begrüßung durch Demo-Organisator Klaus Wockenfoth unter anderem Dr. Frank Überall von der Kölner Journalistenvereinigung (KJV) Er betonte in seiner Rede, dass "Politiker machen was sie wollen, ohne auf geltende Gesetze zu achten - und das unter dem Vorwand, dass sie darauf achten wollen, dass die Gesetze eingehalten werden." Frank Überall wies auf die Gefahren der von Innenminister Schäuble geplanten massenhaften Datenspeicherung hin: "Wo Daten einmal vorhanden sind, wachsen die Begehrlichkeiten, sie auch zu nutzen. Und wenn wir heute schon Wirtschaftsspionage nicht wirksam verhindern können, wie wollen wir dann garantieren, dass sich niemand an unseren Daten hinterrücks bedient?"
Für den Bielefelder "Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs“, FoeBuD e.V., dessen Name eine Parodie auf die skurrilen und komplizierten Abkürzungen der Deutschen Bundespost darstellt, als diese in Deutschland noch für die Telekommunikation zuständig war, sprach der Künstler und Netzaktivist „padeluun“. Er zeigte sich optimistisch für die Zukunft, weil er in der Gesellschaft ein "Fenster für eine breite Datenschutz- bewegung" geöffnet sehe. Die Kommunikationsgesellschaft beginne allmählich „zu verstehen, dass Überwachung immer Unsicherheit bedeutet und niemals Sicherheit."
Anschließend bewegte sich der Demonstrationszug durch die Kölner Innenstadt und kehrte gegen 16 Uhr zur Abschlusskundgebung auf den Roncalliplatz zurück. Besonders häufig tauchte in der Demonstration - neben Kölner BürgerInnen, Mitgliedern von Bürgerrechtsorganisationen, Berufsverbänden und Initiativen - Innenminister Wolfgang Schäuble auf. Dem dürften allerdings seine Abbildungen auf t-shirts, Plakaten, Transparenten und Flugblättern als Stasi-Spitzel, „Big Brother“ oder Spanner kaum gefallen haben. Trotz einer sehr bunten Mischung blieb die Demonstration friedlich, so dass die zurückhaltend agierende Kölner Polizei im Wesentlichen nur mit dem Regeln des Straßenverkehrs zu tun hatte.
Eröffnet wurde die Abschlusskundgebung von Annika Kremer vom Bürgerrechtsbündnis "Freiheit ist Sicherheit", die in ihrer Rede betonte, dass "Freiheit und Sicherheit keine Gegensätze sind, sondern zwei Werte, die eine große Rolle für unsere Gesellschaft spielen... Und deswegen sollten wir denjenigen Einhalt gebieten, die genau das von uns verlangen.... Wir können in Sicherheit leben, ohne unsere Privatsphäre dafür aufzugeben - wir müssen dies sogar anstreben, denn langfristig kann unsere Gesellschaft weder ohne das eine noch ohne das andere auskommen."
Als - neben JournalistInnen wie Frank Überall - besonders Betroffene sprach unter viel Beifall Dr. Andrea Kamphuis vom Verband der freien Lektorinnen und Lektoren (VFLL e.V.). "Lektoren untersuchen die ihnen vorgelegten Artikel und Bücher auch auf inhaltliche Fehler“, erklärte sie. „Dazu ist es unumgänglich, unter anderem im Internet zu recherchieren und Webseiten zu besuchen, die sich mit teils fragwürdigem Inhalt befassen, so zum Beispiel mit Rechtsextremen, Selbstmordbombern, aber auch militärischen Anlagen, Waffen und ähnlichem. Interpretiert man diese Besuche auf den Webseiten falsch, dann kann sehr schnell ein ganz falsches Bild von der Person entstehen... Wir müssen uns die nötigen Informationen da beschaffen, wo wir sie kriegen können. Ich habe schon Webseiten besucht, mit deren Betreibern ich unter keinen Umständen in Verbindung gebracht werden möchte. Neugier gehört zum Metier. Wo im Netz ich mich herumtreibe, geht aber keinen etwas an; niemand hat das Recht, daraus ein Profil zu erstellen oder Rückschlüsse auf meine Gesinnung zu ziehen." Im Bundestag seien eben „Menschen am Werke, die nicht auf die Grundrechte achten“, bestätigte der Kölner Parlamentarier Volker Beck von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag.
Gut kam auch die Rede der Kölner DGB-Vertreterin Liv Dizinger an, die sich mit Datenschutz am Arbeitsplatz befasste. “Heutzutage ist eine lückenlose Überwachung und Kontrolle der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an fast jedem Arbeitsplatz möglich. Dadurch ist unsere Freiheit gefährdet”, betonte sie und forderte: “Damit wir nicht zu gläsernen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern werden, brauchen wir auch am Arbeitsplatz einen weitreichenden Datenschutz! Um die Beschäftigten vor der Totalüberwachung, Totalkontrolle und Totalbeaufsichtigung durch den Arbeitgeber zu schützen, brauchen wir auch am Arbeitsplatz enge datenschutzrechtliche Grenzen!”
Die Bundestagsvizepräsidentin lobte mit dem einleitenden Satz „Engagierte Bürger sind der beste Verfassungsschutz“ das auf der Kundgebung sichtbar gewordene Engagement der TeilnehmerInnen für den Datenschutz und die Grundrechte. Petra Pau: „Wir sind hier, weil es immer mehr Anschläge gibt: gegen unsere Privatsphäre, gegen unsere Souveränität, gegen unsere Grundrechte. Das nehmen wir nicht länger unwidersprochen hin. Über 30.000 Bürgerinnen und Bürger haben in Karlsruhe beim Bundesverfassungsgericht Klage gegen die Vorratsspeicherung von Kommunikationsdaten eingereicht. Ich gehöre dazu. Und so viel ich weiß, ist es das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, dass gleich zwei Vizepräsidenten des Bundestages gegen ein Gesetz des Bundestages klagen. Das muss sein und das ist gut so. Denn die größten Angriffe gegen verbriefte Grundrechte kommen derzeit nicht von Terroristen, auch nicht von Extremisten, sondern von vermeintlichen Spezialisten für Innere Sicherheit… Ohne Datenschutz kann es keine Demokratie geben.... Gegenwärtig erleben wir, wie ein demokratisch verfasster Rechtsstaat Stück für Stück zu einem präventiven Sicherheitsstaat umgebaut wird. Andere sagen Überwachungsstaat. Ich finde, das ist nicht hinnehmbar."
Zwischen den Reden gab es zur Auflockerung Live-Musik, vor allem von der Gruppe AnyWay. Für den erkrankten Rolli Brings sprang als zusätzliche Künstlerin Blue Flower ein. Wie geplant war die Demonstration gegen 18 Uhr beendet. Die Veranstalter zogen ein positives Fazit. “Ich möchte mich vielmals bei den Teilnehmern der Demonstration bedanken. Mein besonderer Dank gilt auch allen Organisatoren, die tatkräftig zum Gelingen dieser Veranstaltung beigetragen haben. Wir sehen uns auf jeden Fall in Köln wieder. Ich möchte auch der Kölner Polizei meinen besonderen Dank für die gute und partnerschaftliche Zusammenarbeit aussprechen”, so Demo-Organisator Klaus Wockenfoth. Waren es im November letzten Jahres gerade einmal 500 Menschen die sich an der Kölner Demonstration beteiligt hatten, waren es diesmal gut 2.000, laut Kölnische Rundschau sogar „mehr als 3.000“. Der Widerstand gegen die aktuelle Sicherheitspolitik der Bundesregierung scheint weiter zu wachsen.
Markus Pachali und Peter Kleinert
Neue Rheinische Zeitung, Köln, 19. März 2008
Original: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=12191