Aus einem gerade öffentlich gewordenen internen Dokument des EU-Ministerrats (1) geht hervor, dass die Innenminister der EU dabei sind, den Datenschutz praktisch abzuschaffen. Die Forderungen der Minister geben der Wirtschaft freie Hand und kehren das in Deutschland geltende "Verbotsprinzip" um. Für die Wirtschaft gelten damit in Zukunft keine Beschränkungen mehr, wenn sie Daten verarbeiten will. "Der massive Lobby-Einfluss zeigt Wirkung. Die Persönlichkeitsrechte der Bürgerinnen und Bürger werden Industrie-Interessen geopfert ", so eine Pressemitteilung von Digitalcourage.
Dagegen regt sich jetzt Protest in Deutschland. Mit einem Offenen Brief und einem Video (2) fordern Bürgerrechtsgruppen den Innenminister Hans-Peter Friedrich auf, das deutsche Datenschutzniveau nicht aufzugeben. Zum Bündnis gehören neben Digitalcourage unter anderem der Chaos Computer Club, die Deutsche Vereinigung für Datenschutz, European Digital Rights, die Humanistische Union und der Deutsche Journalisten-Verband.
"Um das Funktionieren des Binnenmarkts zu gewährleisten, ist es erforderlich, dass der freie Fluss personenbezogener Daten (...) nicht beschränkt oder verboten wird", so das Ministerrats-Papier. Mit diesen Änderungen würden Werbe-Industrie, Schufa, GEZ und andere Adresshändler unbegrenzt Zugriff auf Daten bekommen und diese auch für jeden Zweck weiterverkaufen dürfen. Ein millionenschweres Geschäftsmodell auf Kosten der Bürger. Die Minister setzen sich auch für eine noch umfänglichere Selbstregulierung der Unternehmen, die Daten verarbeiten ein, obwohl hier schon lange feststeht, dass diese keine Gesetze ersetzt.
Der deutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich, hat zwar angekündigt, den internationalen Konzernen, die die Persönlichkeitsrechte der Bürger verletzen, die Zähne zeigen zu wollen. In den Verhandlungen in Brüssel war davon jedoch nichts zu sehen, wie das veröffentlichte Dokument zeigt.
Am 6. Juni tagt der Ministerrat erneut – mit der Datenschutzreform auf der Agenda. Bis dahin will das Bündnis eine klare Position vom deutschen Innenminister. Der Offene Brief kann noch bis zum 2. Juni unterschrieben werden. "Damit der Minister nicht einfach damit durchkommt, deutsches Datenschutzrecht aufzugeben", so die Pressemitteilung von Digitalcourage. Unter https://digitalcourage.de/im-briefen steht der Brief allen zur Unterzeichnung offen. (PK)
Rena Tangens ist Pressesprecherin von digitalcourage, mail@digitalcourage.de, 0521-16391639
digitalcourage – bis zur Umbenennung im November 2012 FoeBuD (Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs e. V.) – ist ein 1987 gegründeter Verein für technik- und gesellschaftspolitisch interessierte Menschen mit Sitz in Bielefeld, der sich vor allem für die ungehinderte Kommunikation (Informationsfreiheit) und Datenschutz einsetzt. Auch andere Themen wie Politik, Umwelt und Menschenrechte sind Betätigungsfelder des gemeinnützigen Vereins. Zudem besteht eine enge Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung. Bekannt geworden ist digitalcourage vor allem durch die Ausrichtung der deutschen Big Brother Awards. Mit diesen Negativpreisen werden Unternehmen, Institutionen und Einzelpersonen "ausgezeichnet“, die nach Ansicht der Jury besonders eklatant gegen die Grundsätze der Informationellen Selbstbestimmung verstoßen haben.
Rena Tangens
Neue Rheinische Zeitung, Köln, 29. Mai 2013
Original: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19102&css=print