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Gegen die Datensammelwut

Neugierige

Nur noch wenige Tage, dann läuft die Frist für eine Verfassungsbeschwerde gegen das Verfahren des elektronischen Entgeltnachweises ELENA ab. Doch drei Monate nach der Einführung formiert sich der Widerstand.

Elena, das klingt nach der schönen Unbekannten. Hinter ELENA verbirgt sich aber das Gesetz über das Verfahren des elektronischen Entgeltnachweises, ein Gesetz, dass im Frühjahr 2009 ziemlich geräuschlos Bundestag und Bundesrat passierte. Im Bundesrat gab es noch etwas Vermittlungsbedarf, der jedoch die Finanzierung betraf und nicht etwa inhaltliche Bedenken.

Danach muss jeder Arbeitgeber für jeden Beschäftigten, also jeden Angestellten, Arbeiter, Beamten, Richter und Soldaten, einmal im Monat sämtliche einkommensrelevanten Daten an die Zentrale Speicherstelle ZSS bei der der Deutschen Rentenversicherung melden. Dort werden die Daten verschlüsselt gespeichert. ELENA geht auf eine Idee aus rot-grünen Regierungszeiten zurück. Mit der so genannten Job-Card sollten Arbeitnehmerdaten, die für die Entscheidung über Sozialleistungen benötigt werden, befristetet zentral gespeichert werden.

Regierungsübergreifendes Projekt

Unter Schwarz-Rot wurde aus der Job-Card ELENA, wie es auf der offiziellen ELENA-Seite der Bundesregierung heißt, der "Meilenstein zum Abbau bestehender Bürokratie, aber auch ein Signal für mehr Innovation". Noch immer geht es vor allem um die mögliche Beantragung von Sozialleistungen. Seit dem 1. Januar 2010 geben die Arbeitgeber ihre Datenmeldungen ab. Ab dem 1. Januar 2012 sollen dann Arbeitsbescheinigungen für die Beantragung von Arbeitslosengeld I sowie die Einkommensnachweise für Wohngeld und Elterngeld über ELENA direkt von den Behörden abgefragt werden.

Von Vorteil ist dabei sicher ohne Zweifel, dass Arbeitgeber künftig nicht mehr erfahren, wie das jetzt teilweise der Fall ist, ob ein Arbeitnehmer eine Sozialleistung beantragt oder nicht. Auch die Tatsache, dass weniger Papier beschrieben und gehandhabt werden muss, spricht für das Verfahren.

Erhebliche Bedenken

Doch die Liste der "Aber" ist erheblich länger. Was das Bundeswirtschaftsministerium als Innovationssignal beschreibt, meint die "qualifizierten Signaturkarten". Mit denen müssen die Bürger den Zugriff auf ihre gespeicherten Daten gestatten, wenn sie ab 2012 beispielsweise eine Sozialleistung beantragen. Die digitalen Signaturen für diese Erlaubnis können auf Bank- oder Gesundheitskarten aufgebracht werden oder auf dem digitalen Personalausweis. Die neue ELENA-Signatur könnte aber auch das Einkaufen sicherer und Bankgeschäfte einfacher machen. Deshalb arbeitet die Industrie schon jetzt an Lesegeräten in Computern oder Tastaturen für die Chipkarten. Kritiker bemängeln, dass die Wirtschaft mit den ELENA-Daten rechnet. Wer beispielsweise künftig einen Kredit möchte, muss dann bei der Bank nicht nur der Schufa-Abfrage zustimmen, sondern vielleicht auch der ELENA-Abfrage. Damit kann der Bankberater nicht nur das Jahreseinkommen überblicken, sondern auch die Zahl der Krankheitstage oder mögliche Abmahnungen.

Ein weiteres Aber betrifft nach wie vor den Umfang der übermittelten Daten. 40 (!) Seiten umfasst die monatliche Meldung, darunter sind nachvollziehbare Daten wie Bruttoentgelt und Steuerklasse, Kinderfreibeträge, Renten-, Sozialversicherungs-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherungsabzüge, Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag, Kirchensteuer, Name und Anschrift, Geburtsort, -datum und –name oder Angaben zum Arbeitgeber. Doch es gibt nicht nur anzukreuzende Felder, der Arbeitgeber hat in den sogenannten Freitextfeldern auch die Möglichkeit, Bewertungen abzugeben. Da könnte es dann um Angaben zu Kündigungen gehen oder um Vorwürfe des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer. Normalerweise würde der Arbeitnehmer davon Kenntnis erhalten und die Rechtmäßigkeit dieser Angaben vor dem Arbeitgericht klären lassen. So aber muss er die einseitige Darstellung von arbeitsrechtlichen Konflikten zunächst bemerken und sich dann dagegen wehren. Ein möglicher neuer Arbeitgeber verweigert aber unterdessen vielleicht auf Grund der Informationen den neuen Job und sucht sich einen vermeintlich pflegeleichteren Bewerber. Noch sind das mögliche Szenarien, mit ELENA könnten sie Realität werden.

Auch wenn nach erster Kritik Streiktage nun nicht mehr gemeldet werden, bleiben nach Ansicht von Datenschützern genug Daten übrig, für die sich allerlei Begehrlichkeiten entwickeln könnten. Nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil zur Vorratsdatenspeicherung hat sich die Kritik noch einmal verstärkt, denn auch die ELENA-Daten werden auf Vorrat gespeichert. Zunächst wird zwei Jahre gesammelt, erst dann ist der Zugriff überhaupt vorgesehen. Und die Daten werden gespeichert, auch wenn der Bürger X niemals soziale Leistungen beantragt. Die Erfahrung lehrt; Sind die Daten erst einmal da, will sie auch jemand nutzen. Ab 2015 sollen auch Krankenkassen, Pflegekassen, Studentenwerke, die Renten- und Unfallversicherungen, die Sozialämter und Jobcenter Zugriff bekommen. Noch sind für Finanzämter oder die Polizei keine Auswertungsmöglichkeiten vorgesehen, aber warum soll das Jugendamt Daten abgleichen dürfen und das Finanzamt nicht?

Speicherung auf Teufel komm raus

Datensensible Bürger beklagen zudem das Misstrauen, das der Staat ihnen entgegenbringt. Als ordentlicher Bürger habe ich nichts zu verbergen, aber warum werde ich behandelt, als sei ich ein Betrüger? Das Freiheitsgefühl und das Gut der Selbstbestimmung, auch was den Umgang mit eigenen Daten angeht, sind gegen die geldwerten Einsparungsschätzungen immaterielle Werte. Doch laut Bundesverfassungsgerichtsurteil zur Vorratsdatenspeicherung gehört es zur Identität der Bundesrepublik, "dass die Freiheitswahrnehmung der Bürger nicht total erfasst und registriert werden darf".

Ein Jahr nach der Verabschiedung läuft die Frist für eine Verfassungsbeschwerde gegen das ELENA-Gesetz am 25. März ab. Der Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs (FoeBuD) und der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung haben zur Teilnahme an der Verfassungsbeschwerde aufgerufen und wollen das Gesetz kippen und die Löschung der Datenbank erreichen. Die Zahl derjenigen, die der zunehmenden Datensammelwut nicht länger tatenlos zusehen wollen, wächst offenbar.

Solveig Bach

n-tv, 18. März 2010
Original: http://www.n-tv.de/politik/Gegen-die-Datensammelwut-article782659.html

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